Das Bauerndorf Hellsau BE hat zwar nur 211 Einwohner, aber überdurchschnittlich viele Solaranlagen. Es kann sich komplett selbst mit Strom versorgen. Und nun hat Hellsau auch noch eine CO2-neutrale Geflügelmasthalle, die erste, die mit dem Minergie-A-Zertifikat ausgezeichnet ist. Das heisst, dass das Gebäude mehr Energie produziert, als es verbraucht. Die Marke Minergie wird von der Wirtschaft, den Kantonen und dem Bund gemeinsam getragen. Gebaut haben die Halle  die beiden Landwirte Mathias Leuenberger und sein Vater Hans. «Ich bin schon etwas stolz auf diese Tatsache», sagt letzterer mit einem Lachen.

 

So wird die klimaneutrale Anlage betrieben

Photovoltaikanlage

Die für die Wärmepumpe benötigte Antriebsenergie stammt zum grössten Teil aus der Photovoltaikanlage. Beim Überschussstrom wird die Wärmepumpe zwangseingeschaltet und arbeitet auf einen Pufferspeicher, wo die Wärme zwischengespeichert wird.

Wärmerückgewinnung

Die Wärmerückgewinnung in der Lüftungsanlage ermöglicht Einsparungen beim Heizenergiebedarf von 50%. Die Wärmepumpe erzeugt Vorlauftemperaturen von bis zu 65 Grad, was zum Erreichen der notwendigen Raumtemperatur von 34 Grad in der Halle notwendig ist.

Erdsonden

Als Wärmequelle für die Wärmepumpe werden horizontal verlegte Erdsonden genutzt. Diese sind auf einer Landfläche von rund einer Hektare auf einer Tiefe von 1,20 bis 1,50 Metern eingepflügt und umfassen eine Gesamtlänge von über 3000 Metern.

Gebäudehülle

Die Geflügelhalle erfüllt die Anforderungen von Minergie A. Das heisst, sie produziert mehr Energie als sie verbraucht. Gleichzeitig erfüllt sie auch den Standard P, was heisst, dass das Gebäude optimal gedämmt ist.

 

40 t weniger CO2 pro Jahr

Die Halle zeichnet sich unter anderem durch eine Wärmerückgewinnung in der Lüftungsanlage aus (siehe Kasten). Die Wärmepumpe versorgt neben dem Stall auch das nahe gelegene Wohnhaus. Die Energie stammt von der grossen Photovoltaikanlage auf dem Dach. Gegenüber einer konventionell mit Gas beheizten und ohne Wärmerückgewinnung betriebenen Pouletmasthalle spare der Betrieb der Anlage pro Jahr über 40 Tonnen CO2 ein, heisst es im Baubeschrieb.

Aber wie kam es überhaupt dazu? Alles begann damit, dass Sohn Mathias Leuenberger einen neuen Betriebszweig suchte. Das war für ihn Bedingung, um den Betrieb zu übernehmen. «Für mich musste etwas her, das längerfristig Zukunft hat.»  Per Zufall erfuhr Leuenberger von seinem Klauenschneider, dass die Migros noch Pouletmäster suche. Der Berater kam also vorbei und zeigte sich vom Betrieb überzeugt. Die Migros schloss mit Leuenbergers einen Vorvertrag ab, was ihnen half, die Finanzierung für die neue Halle auf sichere Beine zu stellen. Der Sohn konnte bei der Bernischen Stiftung für Agrarkredit eine Starthilfe auslösen, der Vater einen Investitionskredit.
Die Vorschriften des Kantons für den Bau waren streng. Die Aussenfassade müsse aus Holz sein, hiess es etwa. Mathias Leuenberger hatte sich aber bereits für eine Stahlhalle des Anbieters Globogal entschieden: «Ich bin gelernter Landmaschinenmechaniker, mir ist kalter toter Stahl lieber. Holz lebt, macht die Poren auf und zu, irgendwann werden sie grösser.» Da habe er Bedenken gehabt, dass sich in den Poren irgendwann Keime festsetzen könnten.

«Euer Stall ist ja isoliert wie ein Minergie-Haus»

Da aber die Holzfassade ohnehin her musste, gab es einen zu isolierenden Zwischenraum. «Irgendwann sagte uns jemand, euer Stall ist ja isoliert wie ein Minergie-Haus», sagt Mathias Leuenberger. Sein Vater fügt mit einem Lachen an: «Man könnte auch sagen, der Kanton mit seinen Anforderungen ist schuld, dass die Halle jetzt einen Minergie-Standard hat.» Es folgte also die Anfrage bei der Berner Minergie-Zertifizierungsstelle, ob es möglich sei, die Halle zu zertifizieren.

Das war es, brauchte aber viel Aufwand von Familie Leuenberger und allen anderen Beteiligten. «Wir haben uns rasch dazu entschieden, aber die Tragweite unterschätzt», sagt Hans Leuenberger rückblickend. Es dauerte fünf Jahre vom ersten Baugesuch bis zur Baubewilligung. Der Bau selbst dauerte rund ein Jahr. Vieles machten die beiden Landwirte selbst. Mathias Leuenberger erledigte die Erdarbeiten und schweisste die Blitzanlage zusammen. Sein Vater betreibt nebenberuflich mit einem deutschen Partner eine Firma, die Solaranlagen plant und montiert. So konnte er die Photovoltaikanlage selbst planen, was etwas an Kosten einsparte.

Pouletmasthalle kostete eine Million

Trotzdem, der finanzielle Aufwand war gross: Die Halle kostete eine Million Franken. Rund 150 000 Franken davon waren nötig, um den Minergie-A-Standard zu erreichen. Davon erhalten Leuenbergers einen gewissen Betrag wieder zurück, denn für den Minergie-A-Standard gibt es 100 Franken pro Quadratmeter beheizter Fläche. «Wir hoffen, dass wir durch die diversen Einsparungen die Halle in zehn Jahren wieder reingeholt haben», sagt Hans Leuenberger.

Vater und Sohn führen den Betrieb in einer Generationengemeinschaft. Die Arbeitsteilung ist klar. Mathias Leuenberger ist der Hühnerbauer, er arbeitet ausserdem weiterhin 80 Prozent als Landmaschinenmechaniker. «Mir ist es wichtig, den Anschluss in meinem ersten Lernberuf nicht zu verpassen», sagt er dazu. Die Pouletmastproduktion war für den Landwirt Neuland. Auf seinen Lehrbetrieben gab es keine Hühner. «Am Anfang hat man von diesem Tier keine Ahnung, kennt die Krankheitsbilder nicht, ist auf komplett neuem Terrain», beschreibt er die Herausforderung.

Am Anfang sei es auch schwierig gewesen, kranke, verletzte oder zu kleine Tiere ausmerzen zu müssen. «Mein Ziel sind möglichst kleine Verluste, das gelingt uns recht gut.» Die Unterstützung durch die Micarna-Berater sei sehr gut gewesen, sie kamen während der ersten Mast zweimal pro Woche vorbei. Heute pro Mast noch einmal. Bei 30-tägiger Mast hat es in der Halle Platz für 12 450 Tiere oder bei 37-tägiger Mast für 8730 Tiere. Bei 30-tägiger Mast gibt es später im Laden ganze Poulets zu kaufen. Bei der längeren Mast handelt es sich um Zerlegungspoulets. «Es ist eine sehr planbare Produktion», fasst Mathias Leuenberger zusammen.

«Kühe können Gras selber hinterherlaufen»

Sein Vater ist für die 20 Mutterkühe und den Acker- und Futterbau verantwortlich. Die beiden bewirtschaften 26 Hektaren, 16 davon Eigenland. Sie produzieren Raps, Kartoffeln, Mais, Weizen, Gerste und Konservenerbsen. Das Futter für die Mutterkühe, die unter dem Label Swiss Black Angus vermarktet werden, wird auf dem Betrieb produziert. Überhaupt seien die Mutterkühe für die Topografie des Betriebs ideal. Oder wie es Mathias Leuenberger auf gut Berndeutsch ausdrückt: «Da hinten ‹geits ds Loch ab›. Unsere Kühe haben vier ‹Scheiche›, sie können dem Gras selbst hinterherlaufen.» Umgestellt auf Mutterkühe wurde vor fünf Jahren. Vorhin standen im Stall noch 30 Milchkühe, deren Milch an Emmi ging. Ausschlaggebend für den Entscheid, mit der Milchproduktion aufzuhören, war auch hier Sohn Mathias. «Ich habe gesagt, für diesen Milchpreis stehe ich morgens nicht auf», sagt er ehrlich – und damals sei der Preis bekanntlich noch höher gewesen als heute.

Sein Vater fügt an, es sei ihm nicht schwergefallen, mit Melken aufzuhören. Beiden war klar, dass der Betrieb ohne einen weiteren Betriebszweig nicht weiterbestehen würde. «Ich habe ihm gesagt, überlege dir etwas und mache Vorschläge. Dann kam er mit den Mastpoulets», sagt Hans Leuenberger. Vater und Sohn gehen davon aus, dass das Geflügel künftig etwa 60 Prozent vom Betriebsertrag ausmachen wird, Mutterkühe, Acker- und Futterbau die übrigen 40 Prozent.

Zuversichtlicher Jungbauer

In vier bis fünf Jahren wird Mathias Leuenberger den Betrieb übernehmen. «Ich bin auf jeden Fall noch positiv gestimmt, was die Zukunft der Landwirtschaft betrifft, sonst hätte ich nicht eine solche Halle gestellt», beantwortet er die entsprechende Frage der Journalistin. Klar sei aber, es gehe nicht mehr wie vor 30 Jahren. «Man ist heute viel mehr Unternehmer, man muss sich viel mehr mit Zahlen herumschlagen, sich mehr Gedanken machen.»

Aber jetzt freuen sich Sohn und Vater erst einmal darüber, die erste Pouletmasthalle mit Minergie-A-Zertifikat gebaut zu haben. Wer sie besichtigen will, hat am Tag der offenen Tür vom 23. und 24. August Gelegenheit dazu.

 

Tage der offenen Tür

Die Tage der offenen Tür bei der Familie Leuenberger  finden am Freitag, 23. August (von 13 bis 20 Uhr) und am Samstag, 24. August (von 10 bis 18 Uhr) statt. Adresse: Berghof 1, 3429 Hellsau. Verpflegung durch Güggeliwagen.

 

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