«Wie gesund ist die Schweizer Fleischwirtschaft?» Diese Frage stellte Otto Humbel, Präsident des Schweizerischen Viehhändlerverbands, anlässlich der Delegiertenversammlung vergangenen Samstag im Neuenburger Jura. So ist es laut Humbel auffallend, dass doch einzelne Schlachtbetriebe und Abnehmer mit finanziellen Problemen zu kämpfen haben. «Die veränderten Konsumgewohnheiten beim Fleisch, der Abbau der Nutztierbestände, aber auch die hohen Produktionskosten und Rohstoffpreise lassen grüssen», so Humbel. Jeder Schlachtbetrieb, der schliesst, ist seiner Ansicht nach einer zu viel. Irgendeinmal sei der preisliche Zenit erreicht, worauf der Markt mit einer Verminderung der Nachfrage reagiere und die Konsumenten – gerade beim Fleisch – ihre Einkäufe im Ausland tätigen würden. «Hier befinden wir uns auf einer konfliktreichen Gratwanderung», weiss er.
Hoher Kuhpreis
Otto Humbel tätigte einen ausführlichen Rückblick auf die Marktlage. Der Kuhpreis habe sich im Jahr 2023 weiterhin auf einem sehr hohen Preisniveau stabilisiert. Im Berichtsjahr seien erstmals die Auswirkungen von limitierten Schlacht- und Verarbeitungskapazitäten spürbar geworden, vor allem gegen Ende 2023. Die Schlachtungen der Banktiere seien auf Vorjahresniveau erfolgt, wobei der Preis um rund 4,5 Prozent nachgelassen habe. Weiter gingen die Rindfleischimporte um fast 14 Prozent zurück und wurden laut Humbel «bedarfs- und marktgerecht freigegeben».
Rückläufige Kälbermast
Nachdem in den letzten Jahren die Kälberschlachtungen rückläufig waren, wurden im Berichtsjahr laut Otto Humbel rund ein Prozent mehr Bankkälber geschlachtet. «Nachdenklich stimmt, dass infolge Unwirtschaftlichkeit in den letzten Jahren vor allem die bäuerliche Kälbermast rückläufig ist», gab Humbel indes zu bedenken.
«Jeder Betrieb, der schliesst, ist einer zu viel.»
SVV-Präsident Otto Humbel zur Schliessung von Schlachtbetrieben.
Krise bei den Schweinen
Bei den Schweinen habe man eine noch nie dagewesene Krise erlebt, die ein Weiterführen der privatrechtlichen Marktentlastungsmassnahmen bis zum 9. März erforderlich gemacht hatte. Im Laufe des Berichtsjahres habe sich dieser Markt kontinuierlich erholt. «Er bleibt aber sehr volatil, und unter Beachtung dieses Marktes ist die Frage erlaubt, ob reines Umsatzdenken wirklich zielführend ist», gab Otto Humbel zu bedenken.
Der Präsident der Viehhändler ging in seinen Ausführungen denn auch auf die Anfang des Jahres vom Schweizer Bauernverband «sehr pauschal geforderte Erhöhung der Produzentenpreise zwischen 5 und 10 Prozent» ein. Es sei unbestritten, dass faire, kostendeckende Preise die Grundlage für den Tierhalter seien, denn ohne diese könne kein Vieh gehandelt werden.
Verbreitete Existenzängste
Die Bauernproteste in Deutschland und Frankreich, die dann auch teilweise und in abgeschwächter Form in die Schweiz überschwappten, haben bei Otto Humbel den Eindruck hinterlassen, dass die ganze Wertschöpfungskette sehr nervös, ja schon fast «grippig» sei, und so frage er sich immer öfter nach dem Warum. So komme er immer mehr zur Einsicht, dass die leider immer noch zunehmende Bürokratie und die steigende Aufzeichnungspflicht verbunden mit gestiegenen Produktionskosten und teilweise «wirklich realitätsfremden Auflagen und Kontrollen» Existenzängste auslösten. Diese Entwicklung sei ernst zu nehmen. Der Bundesrat habe letzte Woche wieder versprochen, die Bürokratie und die Kontrollen abzubauen. «Doch wie sagte schon Johann Wolfgang von Goethe so schön: ‹Die Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube›», bilanzierte Humbel.
[IMG 2]
«Hier haben wir immer noch Konfliktpotenzial»
Geschäftsführer Peter Bosshard jonglierte an der DV mit Zahlen aus der Tierverkehrsdatenbank (siehe Grafik). Zudem nannte er mehrere Herausforderungen beim Namen: «Wir sind auf den öffentlichen Märkten oftmals damit konfrontiert, dass konventionelle Tiere kommen, und diese sind sehr schwer verkäuflich.» Das wolle niemand, denn QM sei die Basis. Weiter würden Tiere aus kleinwüchsigen Robustrassen ein ähnliches Problem darstellen. Bei diesen beiden Kategorien soll es laut Bosshard nun in Absprache mit der Proviande und allen Marktpartnern zu einem Abzug kommen. Dieser privatrechtliche ausgearbeitete Vorschlag muss allerdings noch in der Kommission Märkte und Handelsusanzen der Proviande verabschiedet werden. Auch die Kälbergesundheit sei ein Thema. «Da sind wir unter Druck – politisch und von der Gesellschaft», so Bosshard.
Weiter sprach Peter Bosshard die Thematik Transportfähigkeit an, wo immer noch Probleme im Tagesgeschäft bestehen. Das sei oft nicht mehr kompatibel mit der Vermarktung. «Hier haben wir immer noch Konfliktpotenzial», so Bosshard. Dem SVV ist es weiter ein Anliegen, sich vermehrt politisch einzubringen, hierzu soll eine politische Lobbyinggruppe Viehhandel und Tiertransporte aufgebaut werden.
«Verschiedene Unternehmen haben Erfahrungen gesammelt und ein blaues Auge davongetragen»
Herr Santschi, welche Trends und Veränderungen im Konsum von Fleischprodukten sehen Sie auf dem Markt?
Christian Santschi: Wie die kürzlich veröffentlichten Zahlen von Proviande zeigen, bemerken wir natürlich auch eine höhere Nachfrage nach Schweizer Geflügel zulasten des Schweinefleischs. Angesichts der vielen Qualitäten von Schweinefleisch ist dies eine bedauerliche Entwicklung. Wir stellen auch immer mehr fest, dass sich eine Schere bei den Konsumenten bildet. Einerseits sind Label-Fleisch und Premiumprodukte gefragt, die auch attraktiv in der Vermarktung sind. Auf der anderen Seite steigt aber auch die Nachfrage nach günstigen Artikeln, vor allem im Discounter-Bereich. Beide Sortimente gewinnen an Bedeutung. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der veränderten Konsumgewohnheiten sind vermehrt kleinere Portionen gefragt. Zudem steigt die Nachfrage für Convenience-Produkte und Angebote für den Unterwegskonsum weiter.[IMG 3]
Wie beeinflusst das die Verkaufsstrategien?
Unsere Strategie ist klar: Zum einen bedienen wir Metzgereien schweizweit mit einem breiten und sogar individuellen Angebot. Dies wird abgerundet durch einen überdurchschnittlichen Kundenservice auf Seite Verkauf und Anlieferung. Zum anderen Teil bedienen wir den Schweizer Detailhandel mit abgepackten Fleischprodukten. Hier positionieren wir uns als Berner und Tessiner Metzgerei mit Spezialitäten aus unseren Regionen. Zudem sind wir spezialisiert auf Convenience-Artikel wie Sandwiches, belegte Brote oder auch Fertigsalate.
Angesichts der wachsenden Nachfrage nach pflanzlichen Alternativen zu Fleischprodukten: Wie plant Ihr Unternehmen, sich auf diese Entwicklung einzustellen?
Wir hatten bei der Bigler AG diese Entwicklung von Anfang an auf dem Radar. Mittlerweile ist der Mega-Hype ein bisschen abgeflaut. Verschiedene Unternehmen haben Erfahrungen gesammelt und ein blaues Auge davongetragen. Wir beobachten stetig eine Vielzahl von Produktneuheiten, auch aus dem Ausland. Diese verschwinden oft rasch wieder aus den Regalen, was angesichts der eher stagnierenden Nachfrage nicht überrascht. Für uns ergeben Alternativen nur Sinn, wenn sie auch in der Schweiz und vor allem mit Schweizer Rohstoffen hergestellt werden. Zu diesem Thema verfolgen wir zusammen mit einer anderen Firma ein Projekt etwas intensiver, spruchreif ist allerdings noch nichts.
Inwiefern spielen ethische und Umweltfragen eine Rolle bei der Vermarktung von Fleischwaren, und wie beeinflussen Sie Ihre langfristige Verkaufsstrategie?
Eine grosse und wichtige Rolle. In der vor zwei Jahren vom Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung erarbeiteten Unternehmensstrategie sind Tierwohl, Umweltschutz und Nachhaltigkeit zentrale Themen. Zu beiden Themen laufen derzeit Projekte in verschiedenen Arbeitsgruppen. Zudem engagieren wir uns in der Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit der Proviande, welche auch Vertreter des Bauernverbands hat und sich mit den Behörden abstimmt.
Welche Auswirkungen haben sich ändernde gesetzliche Vorschriften und Regulierungen auf den Fleischverkauf und die Geschäftsstrategien?
Wir sind uns strenge Kontrollen und genaue Rückverfolgbarkeit vom Tagesgeschäft her gewohnt. Meistens erhöhen neue Regulierungen und Vorschriften den administrativen Aufwand und beschäftigen unsere Teams. Grundlegenden Einfluss auf unsere Unternehmensentwicklung haben regulatorische Eingriffe jedoch nur, wenn z. B. eine Bundesinitiative wie die Massentierhaltung angenommen worden wäre. Dies würde vieles ändern.
Beobachten Sie eine steigende Nachfrage nach Fleischprodukten aus nachhaltiger und artgerechter Produktion oder zählt eher der Preis?
Wie schon erwähnt, gibt es beide Nachfragen. Ich denke aber schon, dass wir, was die Label-Landschaft angeht, jetzt an einem Punkt angelangt sind, wo es nicht noch weitere davon braucht. Die Herausforderung bei Fleisch aus nachhaltiger Haltung ist es, gleichmässig abzuverkaufen, ohne abzuwerten. Konsumenten, welche bereit sind, diese Art der Haltung auch zu bezahlen, suchen eher Edelstücke wie Filet und Entrecôte, was die Aufgabe erschwert und die Rechnung oft in Schieflage bringt.
Inwiefern beeinflussen technologische Entwicklungen, wie zum Beispiel künstliches Fleisch, die zukünftige Wettbewerbslandschaft im Fleischverkauf?
Diese Entwicklung ist natürlich spannend und zugleich auch umstritten. Hier sehen wir uns noch eher weniger betroffen und sind eher skeptisch. Zum einen können wir uns nicht vorstellen, dass Herr und Frau Durchschnittsschweizer in den nächsten 30 Jahren Fleisch aus dem Labor essen wollen, was auch mit gesundheitlichen Bedenken zu tun hat. Zum anderen sind der Energieaufwand und die Kosten für optimiertes Produzieren noch weitgehend ungeklärt.