Man hört es munkeln, aber wirklich sagen, will es niemand. Der Wolf M 76 soll den Bogen überspannt haben und beseitigt worden sein, gewildert also. Eine offizielle Meldung gibt es nicht, denn gefunden hat man ihn nicht. Aber hinter vorgehaltener Hand wird es breit abgestützt vermutet.

Doch auch mit dem möglichen Verschwinden des männlichen Raubtiers, das verschiedentlich im Gebiet Schangnau und Habkern gesichtet wurde und Nutztiere riss, steht eines fest: Es ist immer noch ein Wolf im Gebiet unterwegs Denn am 7. August wurde in Schangnau wiederum eine Ziege gerissen. Der letzte nachgewiesene Nutztierriss durch einen Wolf, den der Kanton Bern 2019 zu verzeichnen hat, geschah am 1. Januar. Verglichen mit den Fällen der Vorjahre, beinahe unbedeutend. So wurden 2018 29 und 2017 gar 69 Nutztierrisse dem Wolf zugeschrieben.

2006 erstmals in Bern

Derzeit soll laut Angaben der Behörden im Kanton Bern ein Wolf unterwegs sein. Im Moment geht man den Gerüchten zum Trotz immer noch von M 76 aus. 2006 wurde erstmals seit seiner Ausrottung wieder ein Wolf im Kanton Bern gesichtet. Danach regelmässig. Mit ihm kamen auch die Risse an Nutztieren zurück. Und verbunden mit den Rissen eine grosse Abwehrhaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung der natürlichen Wiederansiedlung der Grossraubtiere gegenüber. Umso erstaunlicher ist es, dass am vergangenen Samstag, am 2. Berner Wolfstag, der im Zoo Dählhölzli in Bern abgehalten wurde, kein einziger bekennender «Wolfsgegner» teilnahm. Auch die Landwirtschaft fehlte fast gänzlich.

Stattdessen tauschten sich rund 30 am Wolf interessierte Personen mit unterschiedlichem Hintergrund aus. Für Ansprachen gelistet waren Manuela von Arx, Biologin und Projektleiterin Kora; Niklaus Blatter, Jagdinspektor des Kantons Bern und Ueli Pfister, Züchter von Herdenschutzhunden, Schafhalter und Verhaltensbiologe.

Nach Europa blicken

«Eine Herausforderung: Weidehaltung und Wolf» war der Titel von Ueli Pfisters Referat und es begann stotzig: «Das Problem ist da, das redet man nicht einfach herbei», erklärte er. In einer guten halben Stunde zeigte Pfister auf, dass es nicht einfach eine pfannenfertige Lösung des Problems gibt. Und schon gar nicht, wenn man nicht bereit sei, seine Fühler zu strecken und nicht nur im eigenen Gärtchen, sondern europaweit zu beobachten. Und beobachten sei in Sachen Herdenschutz schwierig. «Wir sehen nicht, was passiert», so Pfister. Denn der Wolf greife als nächtlicher Räuber in der Dunkelheit an. Ein Zaun sei nur dort einsetzbar, wo das Gelände entsprechend «gäbig» zum Aufstellen sei. Und dort, wo Kühe zur Beweidung nicht hinkommen, kämen Schafe zum Einsatz und in diesen Fällen sei auch das Zäunen kaum möglich. Aus Pfisters Ausführungen wurde klar – Herdenschutz ist zwar effizient, aber aufwendig und kostspielig. Und für eine Herde unter 300 Tieren aus finanzieller und logistischer Sicht kaum gerechtfertigt. Für die kleinen Schaf- und Ziegenherden, wie sie vereinzelt Betriebe in Schangnau noch halten, also unrealistisch.

Tourismus und Herdenschutz

Neben der Herausforderung, den richtigen Hund für einen angemessenen und rentablen Einsatz zu finden und einzusetzen, kommt ein weiterer erschwerender Faktor hinzu. Der Mensch. Die Erfahrungen im Bereich des Tourismus zeigen, Herdenschutz mit Hunden braucht eine Anlaufzeit. «Die Schweiz hat keine Hirtenkultur», sagt Ueli Pfister. Diese hatte sie, zumindest bislang, auch nicht nötig. Denn die Hühner schützte man mit Ställen vor dem Fuchs und grössere Raubtiere rottete man aus. Das übrigens samt Hirsch, Reh und Steinbock. Einzig die Gemse blieb hierzulande im Bereich des Gebirges zumindest teilweise verschont. Mit der Zunahme der einst gerodeten Wälder kamen auch die Wildtiere zurück. Bis 2006 der erste Wolf über Berns Grenze trat. Und mit ihm die Frage nach seiner Berechtigung, welche die Bevölkerung zuweilen in höchst emotionale Diskussionen verstrickt. Wenig von diesen Emotionen hält der Berner Jagdinspektor Niklaus Blatter. Nicht etwa, weil er die Fälle der Risse herabspielt, sondern weil er die Form der Diskussionen, wie sie teilweise auch von Politikern geführt wird, nicht schätzt. «Wenn Landwirte Risse an Nutztieren zu verzeichnen haben, dann gehen wir immer hin», so Blatter. Für ihn sei zentral, dass der grossen Betroffenheit dieser geschädigten Personen Rechnung getragen werde. Aber die ewige Diskussion um Hybriden und eine mögliche künstliche Ansiedlung der Wölfe samt der teils unsachlichen Argumentationen, schätzt Blatter nicht. «M 76 ist ein Wolf und kein Mischling, das ist ein harter wissenschaftlicher Fakt», sagt der Jagdinspektor unmissverständlich. Im Kanton Bern seien zwei Hybriden unterwegs gewesen, «die aber nicht mehr sind». Derzeit geht man von einem Solitärtier aus. Mit Sicherheit kann aber auch Niklaus Blatter nicht sagen, ob es nicht auch mehr sein könnten. Er glaubt zwar nicht, dass es sich um ein Rudel handelt, «aber ich schliesse nichts aus», hält er fest. Allerdings erachte er es als unwahrscheinlich, dass ein Rudel entstehe und «wir es nicht merken», ergänzt er.

Wie viele sollen es werden?

Niklaus Blatter wird in seiner Funktion nicht selten mit der Frage konfrontiert, wie viele Wölfe man denn noch wolle. In diesem Zusammenhang erklärt er einmal mehr, dass der Kanton nur Vollzugsebene sei. Auch wenn Kantone vereinzelt den Wunsch äussern, in dieser Thematik mehr Selbstständigkeit zu erlangen, die Wolfspolitik passiere auf Bundesebene. Und auch wenn ein revidiertes Jagdgesetz eine Lockerung des Wolfschutzes in Aussicht stellt, werde der Entscheid, einen Wolf abzuschiessen, künftig nicht einfach beim Kanton liegen.

Den Begriff Problemtier verwendet Blatter in seinen Ausführungen zum Wolf nicht gern. «Den Spezialisten, der Herdenschutzmassnahmen überwindet, will man nicht», steht für ihn fest und sagt damit aber auch, dass die Herden Schutz brauchen.

Die Schlussfolgerung

Das Fazit aus dem zweiten Berner Wolfstag ist nicht in einem Satz zusammenzufassen. Die Erfahrungen im Zusammenleben mit dem Wolf fehlen. Zu lange war er aus der Schweiz verschwunden. Forschungen und Beobachtungen sind in den Kinderschuhen, Erfahrungen aus dem Ausland nur teilweise auf Schweizer Verhältnisse übertragbar. Die Abneigung aufgrund der Konfrontation des Grossraubtiers mit der Landwirtschaft ist gross. Aus der Auflistung dieser Punkte wird klar, es wird nicht von heute auf morgen eine Lösung geben.

Die dritte Referentin am vergangenen Samstag in Bern, Wolfsexpertin Manuela von Arx, ist sicher, nichts sei so dringend wie eine angemessene Kommunikation, genau das habe man viel zu lange vernachlässigt. Dann würden auch mehr Fakten und weniger Fakes verbreitet, wie der Titel der mehrstündigen Veranstaltung auch war.