Im Bündnerischen Segnas waren am Pfingstwochenende viele Freiwillige unterwegs. Es wurde gemäht, ein- und umgezäunt, Schafe getrieben und vieles mehr. Die Freiwilligen trafen sich im Rahmen von «Pasturs Voluntaris», einem gemeinsamen Projekt von Pro Natura Graubünden und WWF. Aus dem Rätoromanischen übersetzt heisst ­Pasturs Voluntaris «freiwillige Hirten». Ziel des Projekts ist, dass Landwirtinnen und Landwirte bei der Umsetzung von Herdenschutzmassnahmen von Freiwilligen unterstützt werden.

Wo bleiben die Landwirte?

Für das Projekt meldeten sich bisher 75 Personen an. «Wir sind sehr positiv überrascht ob so viel Interesse und Einsatz», sagt ­Patrizio Decurtins, Projektverantwortlicher der Pro Natura Graubünden. So können die Organisatoren dieses Jahr drei Ausbildungskurse anbieten, statt wie vorgesehen deren zwei. Über das Pfingstwochenende waren die ersten 17 Freiwilligen in Segnas beim Ausbildungskurs.

Doch wo bleibt das Interesse der Landwirte? Warum meldeten sich erst sechs Landwirte an, die gerne Hilfe entgegennehmen würden? «Unser Projekt ist vielleicht noch zu wenig bekannt. Wir hoffen natürlich, dass sich noch mehr Landwirte anmelden. Spätestens wenn die Alpsaison beginnt, könnte unsere Hilfe willkommen sein», sagt Patrizio Decurtins. Wie Decurtins in Segnas beobachten konnte, sind die Freiwilligen sehr interessiert und motiviert. Sie gingen mit grossem Einsatz an die Arbeit.  Natürlich müssten einige noch viel lernen, sagt der Projektverantwortliche. Nach zwei Tagen sei es unmöglich, alle Arbeiten zu beherrschen. Während der Einsätze würden die Freiwilligen jedoch sicher immer mehr dazulernen.

 

Vorerst steht die Surselva im Vordergrund

Im schweizerischen Alpenraum wächst die Wolfspopulation. Kleinviehhaltung ohne Herdenschutzmassnahmen ist im Streifgebiet der Wolfsrudel nicht mehr möglich, ohne ein hohes Risiko einzugehen, dass Nutztiere gerissen werden. «Pasturs Voluntaris» ist ein Projekt von Pro Natura Graubünden und WWF. Die Projektleitung liegt bei Pro Natura Graubünden. Zusammen mit den Projektpartnern Gruppe Wolf Schweiz und Center sursilvan d'agricultura möchten die Organisationen die Landwirtinnen und Landwirte bei der Umsetzung von Herdenschutzmassnahmen unterstützen. «Pasturs Voluntaris» baut auf den Erfahrungen des eingestellten Projekts «Hirten-Hilfen» von WWF auf. Im Pilotprojekt werden vorerst prioritär Betriebe in der Surselva unterstützt, in der gegenwärtig vier Wolfsrudel leben. 2021 sind Einsätze von Freiwilligen zwischen Mitte Mai und Ende September geplant. Die Einsätze reichen von kurzen Abendeinsätzen auf Heimbetrieben bis zu mehrtägigen oder gar mehrwöchigen Einsätzen auf Alpen. Beim Ausbildungskurs können die Freiwilligen ihre Verfügbarkeit und Einsatzwünsche angeben. Jeder Einsatz wird im Voraus mit dem Landwirt oder der Landwirtin abgesprochen. Danach kontaktiert Pro Natura Graubünden die verfügbaren Freiwilligen und vermittelt sie an die Betriebe weiter. 

 

Kompetente Leiter

Für die Ausbildung in Segnas ist es gelungen, kompetente Kursleiter zu engagieren; so zum Beispiel die Landwirte Armin Manetsch aus Mumpé Medel und Marcus Berther aus Segnas. Mit dabei waren auch Ladina Bearth und ihre zwei Herdenschutzhunde. Theorie und Praxis gab es bei David Gerke, dem Präsidenten von «Wolf Schweiz». Er konnte aus verschiedenen Perspektiven berichten, denn er ist auch Schafhalter, Jäger und arbeitete viele Jahre auf verschiedenen Alpen. Viele Informationen gab es auch von Bruno Zähner, Herdenschutz-Beauftragter der Kantone Zürich und Schwyz.    

«Handeln und weniger reden»

Sibylle Sommerer aus Winterthur ist eine der Freiwilligen. Sie ist wie die meisten Helfer ziemlich flexibel und möchte sich engagieren, wenn sie gebraucht wird. Sommerer ist selbstständig und kann ihre Ferien einteilen wie sie möchte. Bei den «Pasturs Voluntaris» hat sie sich angemeldet, um sich intensiver mit den Themen Wolf und Herdenschutz auseinanderzusetzen. «Handeln und weniger reden», das ist ihre Devise, wenn es um gewisse Themen geht. So war sie auch schon in einem Flüchtlingscamp in Griechenland im Einsatz. In Segnas seien Wolf und Herdenschutz aus verschiedenen Perspektiven besprochen worden, sagt sie. «Jeder hat ein bisschen recht mit dem, was er sagt», stellte Sibylle Sommerer fest. Ihr hat das Zäunen, Mähen und Schafetreiben gefallen. Jetzt ist sie so richtig motiviert, um sich für den Herdenschutz einzusetzen. 

Ein Thema, das polarisiert

«Der Wolf ist ein Thema, das polarisiert, trotzdem gilt es zusammenzuarbeiten.» Das sagt der Landwirt Marcus Berther aus Segnas. Am Kurs in Segnas hätten Personen – die eher für den Wolf einstehen – gesehen, welche Arbeit und welche Risiken die Bauern haben: «Das ist gut.» Berther besitzt eine grosse Schafherde und ist einer der wenigen Landwirte, der sich für das Projekt «Pasturs Voluntaris» interessierten. In Segnas half er den Organisatoren bei der Schulung der Freiwilligen und stellte fest: «In der Gruppe, die wir heute hatten, gab es einige Personen, die wir sehr gut für Arbeitseinsätze auf der Alp brauchen könnten. Eine Frau mit Alperfahrung könnten wir sogar spontan rufen, falls ein Hirte sich verletzten oder seinen Einsatz vorzeitig abbrechen sollte.