In der Nacht vom 19. auf den 20. Mai wurde auf einer neu eingezäunten Schafweide zwischen Beatenbucht und Merligen BE ein Jakobsschaf gerissen. Gemäss dem vom Besitzer dieser Schafe, Erwin Häfliger, aufgebotenen Wildhüter stammen die Rissverletzungen eindeutig von einem Wolf.

Keine Warnung erhalten

Ein paar Tage zuvor wurde im Justistal BE ein Wolf gesichtet. Da diese Sichtung aber nicht bestätigt werden konnte, wurden die Nutztierhalter nicht über die offiziellen Kanäle gewarnt. Bereits Mitte Dezember 2019 wurden am Dorfrand von Sigriswil BE drei Heidschnucken gerissen. Über die Auswertung der damals entnommenen DNA-Probe ist Tierbesitzer Bruno Saurer bisher nicht informiert worden. «Sollte es sich um den Wolf M76 handeln, der in Sigriswil die Tiere reisst, dann war dieser Wolf bereits 2017 Ursache 31 toter Schafe und Ziegen und 2018 weiterer 27 Nutztiere», schreiben Erwin Häfliger und Eva Stössel, Präsidentin des Schafzuchtvereins Jakobschaf Schweiz in einer gemeinsamen Medienmitteilung.

Zäune bieten keinen hundertprozentigen Schutz

Gemäss Empfehlung der Herdenschutzfachstelle müsste der neu erstellte 105 cm hohe Knotengitterzaun noch mit einem elektrischen Vorspann verstärkt werden. Dabei werde auf der Aussenseite des Zaunes ein elektrifizierter Stoppdraht angebracht, der verhindern soll, dass der Wolf den Zaun untergräbt. Eine weitere Verstärkung sei ein stromführender Draht oder ein Weidezaunband auf 120 cm Höhe, beschriebt der Tierhalter die Aufwände, die auf ihn zukommen, will er seine Tiere gemäss Vorschrift einzäunen. Laut beigezogenem Herdenschutzbeauftragten sei diese Art der Verstärkung in seinem Fall jedoch nicht möglich. Zusätzliche Bodenanker sollen nun das Untergraben verhindern helfen. Kleinvieh-Zäune müssten immer höheren Anforderungen genügen, um wolfssicher zu sein, gibt der Tierhalter zu bedenken. Es könnten aber nicht überall Weidenetze aufgestellt und unter genügend Strom gesetzt werden. Zudem müsse das nachwachsende Gras regelmässig zurückgeschnitten werden. Für Klein- und Hobbyhalter bedeute das einen unzumutbaren Aufwand. Und trotz stetigem Aufrüsten der Zäune könnten sie dennoch nicht einen hundertprozentigen Schutz bieten. Stattdessen würden diese zur unüberwindbaren Barriere oder gar tödlichen Falle für Wildtiere.

Bildung eines Rudels ist erwünscht

«Wölfe, die regelmässig Nutztiere reissen, müssen entnommen werden können», fordert der Sigriswiler Kleinviehzüchter Erwin Häfliger. Er hofft deshalb auf das revidierte Jagdgesetz, welches ermöglichen würde, Wölfe wie den M76 zu entnehmen, weil dieser gelernt habe, wie er Zäune überwinde und auf Weiden zu leichter Beute komme. «Oder will man etwa gar zuwarten, bis ein weiblicher Wolf in sein Revier einwandert und sich im Hohgant-Gebiet ein erstes Berner Rudel bildet, von dem aus dann in ein paar Jahren Jungwölfe weiter ins Emmental und Entlebuch abwandern?», fragt sich Erwin Häfliger in seiner Medienmitteilung. Auch Bruno Saurer äussert die Befürchtung, dass ein Berner Rudel zur Bekämpfung der hohen Hirschbestände in der Region einigen mehr als recht wäre.

Acht tote Schafe im Wallis

Ebenfalls im Nachbarkanton Wallis hat der Wolf die Kleinviehhalter in Angst und Schrecken versetzt. So wurden in Orsières in der Nacht zwischen dem 10. und 11. Mai gleich acht Schafe aus einer geschützten Herde gerissen. Wie der Gemeinderat des Dorfes in der Folge mitteilte, sorgt er sich nach diesem Vorfall um die Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner. Dass die Risse auf einen Wolf zurückzuführen sind, bestätigte das Walliser Jagdinspektorat. In der Region Zwischenbergen existiert bereits ein Wolfsrudel. Die angegriffenen Schafe waren laut Gemeindeangaben eingezäunt. Ihr Pferch stand demnach nur gerade gut hundert Meter vom nächsten Wohnhaus entfernt. Der Schafhalter und seine Familie halten seit den Rissen bei ihren Tieren Nachtwache.