Da kommt sie an, meine Tochter, mit Krücken, den Strick vom Pferd am Griff eingeklemmt und das brave Tier trottet geduldig hinterher. Fast kann man auf seinem Gesicht ein kleines Schmunzeln darüber erkennen, wie mühsam sich der kleine Mensch fortbewegt. Gut, dann gehen wir reiten. Eigentlich fand ich es keine gute Idee, mit einem überdehnten Fussgelenk aufs Pferd zu sitzen. Aber der Wille und der Dickschädel haben wiedermal gesiegt. Die Krücke ans Pferd gelehnt, wird auf einem Bein der Schimmel geputzt und gesattelt, einen besseren Werbefilm für die Freibergerrasse gäbe es nicht, als dieser Moment des Vertrauens zwischen dem Pferd, das sich besonders artig benimmt und dem Kind mit dem verletzten Bein.
Der Sonne entgegen
Und dann traben wir flott über laubbedeckte Waldwege. Marschieren den Bergen und der Sonne entgegen, der schmerzende Fuss ist ebenso vergessen wie die kleinen Alltagsmühen und Sorgen. Und wir finden sogar einen neuen Weg, den wir natürlich sofort erkunden müssen. Ich habe nämlich ein Pionierpferd. Am liebsten und motiviertesten läuft sie, wenn es Neues zu entdecken gibt. So bleibt sie gerne an Kreuzungen stehen und fragt: «Könnten wir da nicht mal anders abbiegen als sonst immer?» Und seit wir fast nur noch zuhause sind, haben wir so viel Zeit zum Reiten, dass sie fast eine Athletin geworden ist. Da sind auch Steigungen und verschneite Wege kein Hindernis mehr.
Kein Pferd für die Armee
Das war damals, als ich sie kaufte, anders. So ein seltsames Zottelwesen schaute mir entgegen, latschte unmotiviert herum, hatte aber den Ruf, dass es auch mal seine Reiter abschüttelt, wenn es ihm nicht passt. Entsprechend vorsichtig waren wir beide zu Beginn und fanden irgendwann die Balance, wer wann das Sagen hat. Meistens dann, wenn es wichtig ist, versuche ich zu befehlen, dafür darf sie im Wald auch mal Routenvorschläge machen oder einen besonders leckeren Büschel Gras fressen. Ein Militärpferd wäre das nie geworden, in der Beziehung passen wir zusammen. Dafür hat man mit ihr ganz viel Spass, wenn sie wiedermal vor Freude einen Bocksprung macht oder einem auf der Weide so lange mit dem Kopf anstupst, bis das Leckerli aus der Tasche fällt. Ein Pferdeclown halt, einer, der das Leben trotz Schicksalsschlägen nicht zu ernst nimmt. Als in diesem Sommer ihr Fohlen starb, war sie eine Woche traurig, dann zwei Wochen wütend und dann ging meine Tochter mit ihr reiten. Weit und lange – raus aus dem Elend, ab auf neue Wege. Und zurück kam ein nassgeschwitztes Pferd, dessen Augen leuchteten.
Auf zu neuen Wegen
Neue Wege mussten auch viele von uns in diesem Jahr beschreiten. Ob wir wollten oder nicht, hat uns das Leben mit Schwung rausbefördert aus der Komfortzone. Und dann gab es diejenigen, die begannen statt Schnaps Desinfektionsmittel herzustellen und es gab die anderen, deren Gedanken sich seither noch nicht weiter als bis zu ihrer Mundschutzmaske bewegen konnten und dort hartnäckig hängen bleiben. Fast wie früher in den Stummfilmen, wenn etwas explodiert ist. Da gab es diejenigen, die panisch ihren Hut festgehalten haben und wie blöd im Kreis gerannt sind und es gab die anderen. Zu Weihnachten wünsche ich uns, dass wir zu den anderen gehören. Denjenigen, die neue Wege ohne Furcht geniessen können, deren Augen nach dem bestandenen Abenteuer leuchten und die immer mal wieder Anlass zu einem übermütigen Freudensprung haben.