Es ist ein kühler, regnerischer Herbsttag in Horrenbach ob Thun BE. Gemütlich liegen die Mastkälber von Familie Graber im Stroh draussen unter dem Dach. Keine Frage, diesen Tieren ist es wohl: «Seit wir den Auslauf gebaut haben, sind die Kälber kaum noch im Stall, sondern fast bei jedem Wetter draussen», bestätigt Rebekka Graber diesen Eindruck. Doch darüber, ob ein gedeckter Auslauf die RAUS-Vorschriften erfüllt oder nicht, streitet sich die Branche. «Wir arbeiten mit der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern, IP-Suisse, der Viehhandelsorganisation ASF, dem Coop Fonds für Nachhaltigkeit und Bell zusammen und haben darum diesen Auslauf so gebaut», betont Roger Graber. Beim Projekt geht es darum, die Gesundheit von Mastkälbern zu verbessern und den Antibiotikaeinsatz zu reduzieren. Für den Betrieb dieses Laufhofs braucht es eine Ausnahmebewilligung.

Roger Graber fehlt die Solidarität

Doch eigentlich plagen die Kälbermäster viel dringendere, existenzielle Fragen. «Auch wir haben uns überlegt, ob wir die Milch nicht besser abliefern», erzählt Roger Graber. «Das grösste Problem für uns Mäster sind die starke Saisonalität und die grossen Schwankungen der Preise von Tränkern und Schlachtkälbern». Mittlerweile sei die bäuerliche Kälbermast, wie er sie betreibt, schon fast wieder eine Nische. Dabei bräuchte es die gesamte Branche, die an einem Strick zieht: «Aber so ist es doch immer, wenn jeder ein bisschen mithelfen und solidarisch sein sollte zum Wohl der gesamten Milchbranche», stellt Graber fest.

Der Branche fehlen zunehmend die Mäster

Viele bäuerliche Kälbermäster sind ausgestiegen, denn die Risiken und die Arbeitsbelastung sind hoch. Doch mittlerweile fehlen diese Mastbetriebe zumindest im Winter. So müssen im Winterhalbjahr regelmässig Tränker geschlachtet werden, die keinen Platz in der Mast finden. Doch Roger Graber, der sich im Vorstand der Berner Kälbermäster engagiert, sieht wenig Hoffnung, dass neue Betriebe einsteigen werden. 

Im Gegenteil: «Wir verlieren allein im Kanton Bern jedes Jahr zehn bis zwölf Mitglieder.» Für ihn ist die Lösung des Problems auf den Geburtsbetrieben zu suchen, die weniger saisonal abkalben sollten und überzählige Tränker selber aufziehen oder mästen könnten. Während nämlich der Kalbfleischmarkt stockt, wären Mutterkuhremonten oder auch Fresser gesucht. Sie könnten ohne zusätzliche Investitionen auf Milchbetrieben aufgezogen werden.

Kälbermast wegen schwieriger Milchabfuhr

Der Weg durch das Teuffenthal hinauf nach Horrenbach ist eng und steil. «Im Winter gibt es ein paar Tage, an denen man lieber nicht wegfahren will», sagt Roger Graber. Das war auch der Grund, warum es hier in der Vergangenheit viele Kälbermäster gab. Im Sommer waren die Kühe auf der Alp und im Winter wurden mit der Milch Kälber gemästet. Somit musste die Milch nicht weggeführt werden. 

Doch diese Zeiten sind vorbei. Heute ist der Betrieb Graber einer der wenigen, die noch Kälber mästen. Auf vielen Weiden stehen heute «Hobby-Exoten». Wer noch Milch produziert, der liefert sie lieber ab. Das ist weniger risikobehaftet als die Kälbermast.

Offener Neubau sorgt für zufriedene Tiere

«Hast du gesehen, der kleine Muni hat heute Durchfall», sagt Roger Graber zu seiner Frau Rebekka. «Ja, dem habe ich schon gestern Pulver in die Milch gegeben», erwidert sie. Die beiden erfahrenen Kälbermäster bringt ein Kälberdurchfall nicht aus der Ruhe: «Aber um Kälber muss man sich kümmern. Wer nicht zu ihnen schauen will, der hält besser keine», betont der Landwirt. 

Mit dem neuen, offenen Stall, den sie für ihre Mastkälber gebaut haben, erhoffen sie sich eine weitere Verbesserung der Tiergesundheit. «Wir wissen nicht, wie lange das Projekt der Uni noch geht und ob unser Stall in Zukunft die Bedingungen für RAUS erfüllen wird», betont Roger Graber. Dennoch haben die beiden den Neubau gewagt und sind davon überzeugt: «Uns macht es Freude, wie zufrieden die Tiere in diesem neuen Stall sind», meint Rebekka Graber. So habe sich die Investition gelohnt, auch wenn unter Umständen künftig RAUS nicht mehr erfüllt sein sollte. Auch sonst, hätten sie durch das Projekt gute Inputs bekommen. So sind Grabers von der Zukunft ihrer Kälbermast überzeugt. Über die gesamte Branche hinweg gesehen, ist ihr Bild jedoch weniger positiv.

Kälbermast bringt ein hohes Risiko mit sich

Insbesondere bei den Geburtsbetrieben sehen Grabers noch Verbesserungspotenzial. Das sehe man auch bei der Umsetzung der Impfung, die seit 1. Juli obligatorisch wäre, die aber kaum jemand ernst nehme. Viele Geburtsbetriebe wollten ihre Tränker einfach nur möglichst schnell weg haben. Schon bei der Verabreichung von Kolostrum seien viele Betriebe nachlässig. Die Frischgeborenen würden nicht sofort nach der Geburt, sondern erst beim nächsten oder übernächsten Melken getränkt. 

Es fehle vielfach an der Zeit für eine umsichtige Betreuung, finden die beiden. Oft würde den Kälbern aus Angst vor Durchfall auch zu wenig Milch geben. Oder man wolle schlichtweg die Milch lieber abliefern, anstatt sie zu vertränken. «Oft ist es darum gar besser, wenn die Tränker dort möglichst jung wegkommen, damit sie in professionelle Betreuung kommen», sieht es Roger Graber pragmatisch.

Er mästet pro Jahr rund 40 Kälber und kauft diese auf Betrieben in der Umgebung selber ein, pflegt mit diesen eine gute Zusammenarbeit. Die erste Zeit leben die Kälber bei ihm in Einzeliglus, bis sie sich an das neue Umfeld gewöhnt haben und er sich sicher ist, dass sie gesund sind. An diesem Morgen strecken diese Tiere nur zögerlich ihre Köpfe aus dem Iglu raus in den Auslauf, denn der ist hier weder gedeckt noch trocken eingestreut. Würde man die Kälber hier an diesem Morgen fragen – sie wüssten, wo sie lieber «RAUS» möchten.

 

Motion zur Kälberhaltung ist hängig

Vom Berner SVP-Nationalrat Ernst Wandfluh ist eine Motion hängig mit dem Titel: «Weniger Antibiotika-Einsatz in der Kälberhaltung dank gedecktem Aussenbereich». Darin fordert er, dass die Kategorie Rinder bis zum Alter von 160 Tagen auch bei einem gedeckten Aussenbereich weiter RAUS-beitragsberechtigt ist. Für die Gesundheit der Kälber sei ein Witterungsschutz ausschlaggebend. 

Der Bundesrat ist in einer ersten Stellungnahme anderer Meinung. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass unabhänig von der Tierkategorie die Kernforderung von RAUS der Zugang zu einem Bereich unter freiem Himmel sei. Zwar zeige ein überdachter Auslauf bei Kälbern in Verbindung mit anderen Massnahmen eine positive Wirkung auf die Tiergesundheit, dies allein sei aber kein Grund, das Anforderungsniveau von RAUS grundsätzlich zu senken.