«Tipptopp» sei die Vegetation derzeit auf der Alp, sagt Marco Kathriner. Er ist den Sommer über auf der Alp Iwi unterhalb der Mörlialp ob Giswil tätig. Schon Mitte Mai wurde das Vieh aufgeführt, eher früher als sonst. «Das Gras wuchs schnell, auch weil es immer schön regnete, so wie wir es gerne haben», meint der gelernte Forstwart und Landwirt. Zudem sei der wenige Schnee früh weggeschmolzen und die warmen Temperaturen begünstigten den Wuchs.
Alpen gut bestossen
Marco Kathriner arbeitet als Angestellter beim Alppächter, der neben seinem eigenen Vieh noch zehn Kühe von einem Nachbarn hier oben sömmert. Die zur Korporation Freiteil Sarnen gehörende Alp ist rund 30 ha gross und liegt auf 1200 bis 1400 Metern über Meer. Derzeit werden 45 Kühe, sieben Rinder und elf Kälber gesömmert. Während einer bis zwei Wochen, je nach zeitlichen Möglichkeiten, werde auch vor Ort gekäst, ansonsten geht die Milch von der gut erschlossenen Alp in die Käserei Seiler nach Giswil.
Von einem Super-Start der Alpung berichtet auch Daniel Blättler, er kennt als Geschäftsführer der Innerschweizer Bauernverbände die Situation in den Kantonen Uri, Ob- und Nidwalden. Nun hoffen die Alpbewirtschafter, dass nicht späte Kälteeinbrüche und Schneefälle die Saison beeinträchtigen. Die Bestossung mit Vieh sei etwa ähnlich wie im Vorjahr. «Die Alpen sind weder über- noch unterbestossen», weiss Blättler. Auch bezüglich Personal hat er kaum von Rekrutierungsproblemen vernommen. Gerade in der Innerschweiz mit vielen Familienbetrieben, welche z Alp gehen, gebe es auch viele Interessierte, die gerne den Sommer über auf einer Alp mithelfen.
Der Wolf macht Angst
Viel mehr Sorgen bereitet den Alpbewirtschaftern auch in der Innerschweiz die zunehmende Präsenz der Wölfe. «Viele haben ein mulmiges Gefühl und die Motivation für die Alpung leidet, aufgrund der Befürchtung, die Tiere dem Wolf vorzulegen», sagt Blättler. Vor allem im Kanton Uri sei die Stimmung sehr aufgeheizt und die Emotionen gingen hoch. Dies aufgrund der Nähe zu Glarus und Graubünden, wo bezüglich Wolf «die Post abgeht». Dort sei die Wolfdichte schlicht zu hoch, das werde zu Abwanderungen der Raubtiere ins Urnerland führen.
Bauern resignieren
Daniel Blättler verweist auch auf die kürzlichen ersten Risse von Schafen und Ziegen in Wassen. Dort schlug der Wolf bei Markus Baumann in einem eingezäunten Gehege unmittelbar neben dem Stall zu, und verletzte vier Schafe so schwer, dass diese abgetan werden mussten, wie das «Urner Wochenblatt» berichtet. Bei einem benachbarten Bauern wurden Mitte Mai vier Ziegen vom Wolf gerissen. Und die Alpsaison stehe erst bevor. Der betroffene Baumann weist darauf hin, dass es schlicht nicht möglich sei, die vielen kleinen Schafherden an verschiedenen Orten abends alle einzustallen. Resignation macht sich entsprechend breit. In der Region sei die Zahl an Kleinviehhaltern in den letzten zehn Jahren um die Hälfte zurückgegangen.
Von einer angespannten Lage berichtet auch der Urner Herdenschutzbeauftragte Andreas Baumann aus Wassen. Die neuen «Sofortmassnahmen» des Bundes für den Herdenschutz seien nicht so kurzfristig umsetzbar. Er verweist etwa auf Zaunmaterial, für welches es derzeit teils lange Lieferfristen gebe. Und wo erhältlich, soll dieses primär dort eingesetzt werden, wo der Wolfdruck am Grössten sei. Es sei erfreulich, dass der Bund zusätzliche Gelder gesprochen habe, das schaffe das Problem aber nicht aus der Welt.
Hunde teils verboten
Viele Urner Alpen seien technisch mit Zäunen gar nicht schützbar, beziehungsweise wäre das vom Aufwand her völlig unverhältnismässig. Schon heute sei die Arbeitsbelastung sehr hoch und für den Herdenschutz Angestellte einzusetzen, trotz der bessern Bundesabgeltung, schlicht nicht finanzierbar. Der Einsatz von Herdenschutzhunden brauche eine lange Vorlaufzeit und Angewöhnung, und sei zudem in einigen Tourismusregionen wie dem Urschnertal gar verboten. Auf Schafalpung zu verzichten und die Tiere daheim zu behalten, sei auch nicht die Lösung, auf dem Heimbetrieb die Tiere bei hohen Sommertemperaturen einzustallen gefährde das Tierwohl. Nur mit einigen Massnahmen, die Politiker gerne sähen, sei das Problem nicht gelöst. Im Urnerland stehe ein schwieriger Alpsommer bevor und viele Bauern hoffen einfach auf Glück, dass ihre Tiere vom Wolf verschont bleiben. Baumann versteht deshalb die Forderungen vieler Kantonsregierungen und Bauernverbänden, die präventive Abschüsse von Wölfen fordern, statt wie bisher, viele Risse bis zur Schadschwelle abzuwarten.
Auch Daniel Blättler begrüsst zwar die neuen Herdenschutzmassnahmen des Bundes. Nur auf Herdenschutz zu setzen, sei aber keine Lösung für die Zukunft. «Wo der Wolf rein will, da geht er rein.» Für einen blutrünstigen Wolf seien Zäune keine Abschreckung, die würden übersprungen. An präventiven Abschüssen führe kein Weg vorbei. Bis es politisch so weit sei, gehe es aber wohl noch lange.
In Obwalden und Nidwalden etwas ruhiger
Weniger vom Wolfdruck betroffen als Uri sind laut Daniel Blättler die übrigen Innerschweizer Kantone. In Obwalden gab es letztes Jahr lediglich einen Riss und einige Sichtungen. Allerdings sei im Sarneraatal bereits ein Reh gerissen worden und es würde ihn nicht erstaunen, wenn in der Region dieses Jahr mit einigen Ereignissen gerechnet werden müsse. «Auch hier gehen die Emotionen schon etwas hoch.» In Nidwalden sei es in den letzten Jahren ruhig gewesen, zahlreiche Risse von Schafen gab es in den Jahren 2015 und 2018. Gleichwohl will die Nidwaldner Regierung handeln und der Landrat überwies Ende letzten Jahres ein Postulat, worin ein vermehrter Schutz vor dem Wolf und Massnahmen geprüft werden. Zumal in naher Zukunft mit steigender Wolfspopulation auch in Nidwalden zu rechnen sei.
«Ist die uneingeschränkte Wolfsverbreitung wichtiger als Landwirtschaft und Tourismus?»
Unter diesem Titel werden in den Innerschweizer Kantonsparlamenten in diesen Tagen Interpellationen eingereicht, wie Daniel Blättler, selber SVP-Kantonsrat in Obwalden, gegenüber der BauernZeitung erklärt. Einige ähnliche Vorstösse seien zudem auch in weiteren Kantonen geplant. Es gehe darum, von den Regierungen ein klares Bekenntnis zu erhalten, wie sie zu Tourismus und Landwirtschaft stehen, in Anbetracht der Risiken durch den Wolf. Die vom Bund präsentierten, temporären Massnahmen für den Herdenschutz würden in erster Linie Alpen dienen, welche bereits Herdenschutzmassnahmen ergriffen hätten und als zumutbar schützbare Sömmerungsbetriebe gelten.
Nicht schützbare Alpen
In vielen Fällen seien Alpen aber nicht schützbar und Rinderalpen würden über keinen Herdenschutz verfügen. Genau solchen Alpen hätte aber mit der von der Obwaldner Nationalrätin Monika Rüegger geforderten Initiative Hilfe geboten werden sollen. Offenbar herrsche zwischen den beiden Bundesämtern für Landwirtschaft und für Umwelt der Konsens, dass nicht schützbare Alpen keine Existenzberechtigung hätten und zur Aufgabe gezwungen werden sollen, heisst es in der Interpellation. Das widerspreche aber dem verfassungsmässigen Auftrag der Landwirtschaft zur Pflege der Landschaft und dezentralen Besiedelung sowie der Strategie zur Nutzung regionaler Ressourcen zur Ernährungssicherung und es widerspreche auch den Zielen der Tourismusregionen. Die uneingeschränkte Ausbreitung der Wolfspopulation verursache weitgehende negative Effekte auf die Landwirtschaft, den Tourismus, die Umwelt und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Bergregionen.
Dialog mit Betroffenen
Die Interpellanten wollen deshalb vom Regierungsrat wissen, ob dieser bereit sei, die Entscheidung über in Zukunft nicht zumutbar schützbare Alpen der Bundespolitik zu überlassen, oder ob er sich uneingeschränkt für den Erhalt der einheimischen Land- und Forstwirtschaft einsetze. «Sollen die positiven Aspekte der flächendeckenden Bewirtschaftung bis in die entlegensten Berggebiete zugunsten einer uneingeschränkten Ausbreitung der Wolfspopulation geopfert werden?», lautet eine weitere Frage. Erwartet wird auch ein Dialog mit allen Betroffenen über die künftige Strategie der Grossraubtierpolitik, so mit Vertretern aus Tourismus, Landwirtschaft und Jägerschaft.
