Bis Ende April war Otto Ineichen während vielen Jahren beim Luzerner Veterinärdienst tätig, in den letzten Jahren als Kantonstierarzt. Dabei gab es vielfältige Berührungspunkte zur Landwirtschaft.
Was waren besonders prägende Erlebnisse beim Veterinärdienst?
Otto Ineichen: Für mich waren nicht einzelne spezielle Ereignisse prägend, sondern der starke Wandel im Veterinärdienst in den letzten Jahren. 2008 wurde die Fleischkontrolle kantonalisiert und die vom Bund geforderte Professionalisierung der Veterinärdienste umgesetzt. Unsere Aufgaben sind immer vielfältiger und fachlich komplexer geworden. Das hat dazu geführt, dass der Veterinärdienst mittlerweile auf 30 Vollzeitstellen angewachsen ist und in der täglichen Arbeit eine starke Spezialisierung Einzug gehalten hat.
Aber es gab doch sicher auch belastende Situationen?
Prägend und belastend ist die Tatsache, dass zunehmende Widerstände von fehlbaren Tierhaltern gegenüber den Vollzugsorganen unsere Arbeit erheblich erschweren. Speziell im Tierschutzvollzug sind unsere Kontrollpersonen zudem immer häufiger Beschimpfungen oder Drohungen ausgesetzt und in ihrer persönlichen Sicherheit gefährdet.
Offenbar ist Tierschutz zu einem Reizthema geworden?
Ja, die Sensibilisierung für das Tierwohl ist stark gestiegen. Es hat auch eine Entfremdung der Bevölkerung und damit der Konsumenten von der Nutztierhaltung stattgefunden, was zu falschen Vorstellungen über die Bedürfnisse der Tiere führt. Damit verbunden ist der Druck aus Politik und Öffentlichkeit zu einer immer höheren Regulierungsdichte im Tierschutz.
Aufgaben Veterinärdienst
Der Veterinärdienst ist das Kompetenzzentrum des Kantons für Tiergesundheit, Tierschutz und Lebensmittelsicherheit in der tierischen Produktion. Er setzt sich ein für gesunde Tiere, artgerechte Tierhaltung und sichere Lebensmittel tierischer Herkunft. Die Ansprüche und Erwartungen der Tierhaltenden, Politik und der Bevölkerung hätten sich stark verändert. Hinzugekommen sind neue Aufgaben
in den Bereichen gefährliche Hunde, Importe und Exporte von Tieren und Waren sowie den neu organisierten Veterinärkontrollen. Zudem haben die Beratungstätigkeit und Öffentlichkeitsarbeit einen hohen Stellenwert erlangt.
Die Dienststelle beschäftigt 38 Mitarbeitende, davon sind die Hälfte täglich auf Tierhaltungs-, Schlachtbetrieben und bei Fleischverarbeitern im Einsatz.
Weitere Informationen: www.veterinaerdienst.lu.ch
Auch bei Heimtieren?
Im Heimtierbereich ist eine Tendenz in Richtung Vermenschlichung von Tieren, verbunden mit ungeeigneten Haltungsformen, festzustellen. Zunehmend versuchen Menschen Vereinsamung oder fehlende Perspektiven mit der Haltung von Tieren zu kompensieren. Nicht selten haben sie jedoch mangelhafte Kenntnisse über die Bedürfnisse der Tiere, unterschätzen den Aufwand für die korrekte Haltung und sind in der Folge überfordert.
Oft haben Bauern das Gefühl, bei Nutztieren sei man im Tierschutzvollzug strenger als bei Heimtieren… Der Veterinärdienst kontrolliert den Tierschutz sehr wohl auch im Heimtierbereich. Stellen wir Mängel fest, schreiten wir ein, fordern Massnahmen zur Wiederherstellung des Tierwohls und nehmen die fehlbaren Tierhalter in die Verantwortung, genauso wie im Nutztierbereich. Ein Vergleich über die Jahre 2015 bis 2018 zeigt auf, dass wir jährlich je rund 200 Kontrollen im Heimtier- und im Nutztierbereich durchgeführt haben. Tierschutzmängel wurden bei den Heimtieren durchschnittlich drei mal häufiger festgestellt als bei den Nutztieren. Es mussten in 39 Fällen Heimtierhalteverbote verfügt werden, im Vergleich zu zwölf Fällen bei Nutztieren.
Wird heute mehr kontrolliert als früher?
Man muss unterscheiden zwischen den sogenannten Kontrollen im Rahmen des ökologischen Leistungsnachweises, im Zusammenhang mit Tierwohl- oder Labelprogrammen und den Tierschutzkontrollen des Veterinärdienstes. Wir vom Veterinärdienst führen Tierschutzkontrollen fast ausschliesslich aufgrund von Meldungen durch. Die grosse Mehrheit der Tierhaltenden, die Verbände, Produzentenorganisationen und Verarbeiter stehen unserer Vollzugsarbeit positiv gegenüber. Allen ist es wichtig, dass es den Tieren gut geht, dass einwandfreie Lebensmittel gewonnen werden können und dass das Vertrauen der Konsumenten und Konsumentinnen in die einheimischen Produkte gerechtfertigt ist.
Wie beurteilen Sie die Lebensmittelsicherheit heute?
Lebensmittel tierischer Herkunft waren auch vor 20 Jahren sicher und von guter Qualität. Im Vergleich besteht heute eine andere Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit, so in Bezug auf Produktionsformen, Produktevielfalt, Haltbarkeit, Deklaration von Inhalt und Herkunft. Die Risikoeinschätzung ist damit eine andere als früher. Dementsprechend wurden Produktions- und Verarbeitungsverfahren angepasst, wie auch die Anforderungen an die Selbstkontrolle und die amtlichen Kontrollen. Lebensmittel tierischer Herkunft sind nach wie vor die am strengsten kontrollierten Lebensmittel, sicher, und von hoher Qualität.
Vermehrt sind Krankheiten und Seuchen ein Thema, wie Blauzungenkrankheit, Schweinepest, BVD und mehr.
Die Risiken für Krankheits- oder Seucheneinschleppung in unsere Tierbestände haben sich im Gegensatz zu früher verlagert. Intensiver internationaler Tier- und Warenverkehr sowie Klimawandel bringen neue Herausforderungen mit sich. Bisher in der Schweiz unbekannte Tierseuchen wie Pferdepest oder Blauzungenkrankheit sind neue, ernst zu nehmende Risiken. Aber auch alte Tierseuchen, wie die Maul- und Klauenseuche oder die Schweinepest, können jederzeit zurückkehren. Aktuell ist die Einschleppungsgefahr für Afrikanische Schweinepest sehr hoch. Der Veterinärdienst hat
sich deshalb in den letzten Jahren intensiv auf die Bewältigung von Seuchenausbrüchen vorbereitet.
Die Tiergesundheit ist also nicht gefährdet?
Der Gesundheitsstatus der Schweizer Tierbestände war bereits vor 30 Jahren auf einem hohen Stand. Dazu haben die Tierhalter, Tierärzte und der Veterinärdienst Schweiz Sorge getragen und grosse Anstrengungen unternommen, die Tiergesundheit weiter zu verbessern. Denken wir an die Sanierung der Lungenkrankheiten der Schweine, die Ausrottung der IBR oder aktuell der BVD. Für den Erhalt und die Förderung der Tiergesundheit betreiben wir heute generell tiergerechtere Haltungsformen, arbeiten vermehrt mit Gesundheitsprogrammen und modernen Methoden der Tiermedizin, um Krankheiten zu verhindern.
Stichwort Antibiotika in der Nutztierhaltung. Was meinen Sie zu diesem Reizthema?
Die negativen Auswirkungen des Einsatzes von Antibiotika in der Veterinärmedizin, in der Humanmedizin und in der Umwelt sind ernst zu nehmen. In der Nutztierhaltung steht die Reduktion des Antibiotikaeinsatzes schon lange im Fokus. Mit zurückhaltendem Einsatz, alternativen Ansätzen und den bereits erwähnten vielfältigen Massnahmen zur Förderung der Tiergesundheit wurde schon viel erreicht. So ist in den letzten zehn Jahren der Verbrauch von Antibiotika in der Tierhaltung um die Hälfte reduziert worden.
Aber das genügt wohl nicht, oder?
Es sind weitere Anstrengen notwendig. Deshalb hat der Bund 2015 die Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR) lanciert. StAR hat zum Ziel, die Wirksamkeit von Antibiotika langfristig sicherzustellen und wird gemeinsam mit Ärzten, Apothekerinnen, Tierärztinnen und Landwirten umgesetzt. Konkrete Massnahmen im Bereich der Tiermedizin sind strengere Vorgaben für Einsatz, Abgabe und Aufzeichnung bis zur Verbrauchserfassung in einer zentralen Datenbank. Einen wichtigen Beitrag leisten auch neu lancierte Gesundheitsprogramme und geplante Krankheitsbekämpfungsprogramme.
Welche Tipps geben Sie Bauern in Bezug auf Tierhaltung und Tierschutz?
Ich muss hier zuerst betonen, dass weitaus die meisten Landwirte ihre Verantwortung gegenüber ihren Tieren gewissenhaft wahrnehmen und die gesetzlichen Tierschutzanforderungen einhalten oder sogar übertreffen. Mein Tipp: Sorgt dafür, dass es euren Tieren gut geht. Öffnet eure Ställe, zeigt eure Tierhaltungen der nichtbäuerlichen Bevölkerung, informiert über die Bedürfnisse der Tiere und den Aufwand, der hinter einer korrekten Tierhaltung steckt.
Zum Schluss, was werden Sie persönlich künftig tun?
Aktuell arbeite ich noch an einem Tierschutzprojekt im Rahmen der Tierschutzstrategie 2017+ des Veterinärdienst Schweiz mit. Hauptsächlich aber widme ich mich ab jetzt den Dingen, die in den letzten Jahren zu kurz gekommen sind.
Personalien
Otto Ineichen aus Gunzwil war nach seinem Studium und der Dissertation an der Uni Zürich seit 1987 als praktizierender Tierarzt im Kanton Luzern tätig, Ab 1997 zusätzlich nebenamtlich im Luzerner Veterinärdienst. Ab 2003 war Ineichen stellvertretender Kantonstierarzt, von 2014 bis zu seiner regulären Pensionierung mit 65 Jahren Ende April 2019 Leiter der Dienststelle und Kantonstierarzt.
Nachfolger von Otto Ineichen ist Martin Brügger, der bisherige stellvertretende Kantonstierarzt. Er nahm seine Funktion bereits am 1. April 2019 auf. Der 55-jährige Brügger arbeitet bereits seit 2012 beim Veterinärdienst. Vorher war er Tierarzt mit eigener Praxis im Kanton Schwyz und amtlicher Tierarzt des Veterinäramts der Urkantone sowie Beauftragter für Tierarzneimittel der Gesellschaft Schweizer Tierärzte.