Milch von Tieren, die ein ganzes Leben lang nie mit Antibiotika in Kontakt kommen. Das ist ein Label, das insbesondere in den USA nachgefragt wird. Der US-Standard heisst «National Organic Program» (NOP).
Auch die Schweiz produziert in diesem Kanal. «Das Interesse an der Produktion gemäss dem US-Standard NOP ist seitens der Biobetriebe gering», erklärt Lukas Inderfurth, Bereichsleiter Kommunikation bei Bio Suisse. Das liege einerseits an den hohen Anforderungen an die Produktion, andererseits sei die Logistik eine Herausforderung.
«Die Betriebe müssen relativ nahe beieinanderliegen, damit eine Sammlung effizient durchgeführt werden kann. Beide Faktoren limitieren die Betriebe, die überhaupt für eine NOP-Produktion infrage kommen. Zudem ist die Nachfrage nach Schweizer Bio-Milchprodukten im Zielmarkt USA gering und beschränkt sich auf Schweizer Bio-Milchschokolade», weiss Inderfurth und ergänzt: «Einige Biobetriebe, die überzeugt von den Vorteilen der NOP-Produktion sind, sind trotz aller Hindernisse vorausgegangen.» Für den Mehraufwand einer NOP-Produktion werden sie mit einer Prämie von rund 10 Rp./kg entschädigt.
Während Bio Suisse den Produzenten die Wahl lässt, nach NOP-Standard zu produzieren, ist «diese Schiene» für IP-Suisse kein Thema, wie die Marktorganisation auf Anfrage ausführt.
Solche Ansätze bekämpfen
Andreas Raemy, Präsident Schweizerische Vereinigung für Wiederkäuergesundheit (SVW), lehnt eine solche Bewegung gar ganz ab. «Es gibt Bestrebungen von Detailhändlern, welche eine antibiotikafreie Milch oder Fleisch propagieren wollen. Solche Ansätze und Werbungen sind von allen Seiten zu bekämpfen», ist der Tierarzt überzeugt.
Ein solches Label, welches von Bio Suisse unterstützt werde, verlange, dass Tiere, welche auf einem Betrieb mit Antibiotika behandelt werden müssten, den Betrieb umgehend verlassen. «Das verstösst gegen alle ethischen Grundsätze der Tierhaltung und eine möglichst lange Nutzungsdauer», ist er sicher und ergänzt: «Es kann doch nicht sein, dass ein Kalb bis zu seinem dritten Lebensjahr ohne Antibiotika aufwachsen kann und dann plötzlich aufgrund einer Verletzung oder einer Erkrankung durch einen Fremdkörper mit Antibiotika behandelt wird und darum den Betrieb verlassen muss.»
Bester Ansprechpartner
Für die Tierärzteschaft stehe das gesunde Tier im Fokus. «Natürlich immer mit dem Wissen, dass es sich um Nutztiere handelt und die Lebensmittelqualität und die Sicherheit zu gewährleisten ist. Hier waren die Nutztierärzte schon immer die besten Ansprechpartner für die Landwirte», sagt Andreas Raemy. Die Nutztierärzte seien genau wie die Landwirte im Fokus der Öffentlichkeit. «Zusammen meistern sie den Spagat zwischen Tierwohl und Tierschutz, sichere Lebensmittel und Wirtschaftlichkeit», so der Tierarzt.
Auf die Frage, wie realistisch diese Bestrebungen nach einem noch tieferen Antibiotika-Einsatz sind, erklärt Andreas Raemy, dass man dauernd versuchen könne, die Haltung und das Management per se zu verbessern. «Gewisse Betriebe sind aber schon heute an einem Punkt angekommen, wo ein noch tieferer Einsatz praktisch nicht mehr geht. Genau wie bei den Menschen können die Ställe im Herbst und Winter von einer Grippewelle erfasst werden. Wenn dann in einem Stall mit 30 Kühen und 20 Kälbern alle Tiere mit starker Lungenentzündung über 40 Grad Fieber haben, kann kein Landwirt etwas dafür», sagt der Tierarzt. Hier gelte es den Tieren so schnell als möglich zu helfen, und das mit bestem Wissen und Gewissen. «Ein Antibiotikaverbot oder wie heute die Verteufelung des Antibiotika-Einsatzes würde zu massiven Verstössen gegen das Tierwohl und den Tierschutz führen», ist er sicher.
Neben der allgemeinen Verteufelung und der Diskussion um zunehmende Resistenzen (wir berichteten) sind auch immer wieder Rückstände ein Thema. «Nach jedem Tierarzneimitteleinsatz wird die offizielle Absetzfrist bei Milch und Fleisch eingehalten», sagt SVW-Präsident Andreas Raemy. Diese Werte würden genau ermittelt, und der Hersteller hafte, wenn nach dieser Zeit die erforderliche Nachweisgrenze nicht unterschritten sei. «Somit gibt es absolut keinen Grund, potenzielle Rückstände als Argument für ein Antibiotikaverbot aufzuführen», erklärt er.
«Die Landwirte fürchten um ihr Einkommen.»
Andreas Raemy, Präsident Schweizerische Vereinigung für Wiederkäuergesundheit
Vorsicht bei Zellzahl
Auch die Diskussion um möglichst tiefe Zellzahlen, die über vielen Landwirten wie ein Damoklesschwert hängt, sei mit Vorsicht zu geniessen. «Die Zellzahlen bestehen nicht nur aus Bakterien, sondern bestehen grösstenteils aus körpereigenen Zellen. Eine Erhöhung findet bei einer Euterentzündung statt. Es gibt gesunde Kühe mit sehr wenigen Zellzahlen im 10 000er-Bereich. Es gibt aber auch gesunde Kühe mit Zellzahlen im 120 000er-Bereich», erklärt der Tierarzt.
Milchindustrie geht tiefer
Die Milchindustrie setze mit immer tieferen Zellzahlanforderungen einen falschen Anreiz. «Die Landwirte fürchten um ihr Einkommen, und es kommt zu vermehrtem Antibiotikaeinsatz», weiss Raemy und erinnert sich, dass er vor Jahren im Studium gelernt habe, eine gesunde Kuh solle unter 150 000 Zellen haben. Mittlerweile müsse sie unter 100 000 Zellen haben. Im Ausland dürfe eine Kuh teilweise nicht mehr als 400 000 Zellen haben, sonst gelte sie als krank.
Aussagen von Bundesangestellten, Antibiotika sollten 2050 bei Nutztieren nur noch in Ausnahmefällen zum Einsatz kommen, kommentiert der Tierarzt mit fehlendem Praxisbezug. «Hier zeigt sich wieder einmal, dass der Bund bei gewissen Aussagen weit weg von der alltäglichen Praxis steht und das Verständnis der Tiergesundheit völlig verloren hat», so Andreas Raemy. Natürlich sei ein Ziel, den Einsatz von Antibiotika auf ein Minimum zu bringen. «Aber Tiere sind Lebewesen, und die werden in den besten Haltungssystemen krank. Eine solche Zielsetzung zu definieren, ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Es gefährdet das Tierwohl. Im Tierschutz steht klar und deutlich, dass einem kranken Tier geholfen werden muss.»
Suche nach Alternativen
Präventiv eingesetzte Antibiotika geraten im Nutztierbereich zunehmend unter Druck; so auch der Trockensteller. Alternativen wie Trockensteller mit Bismut sind aufgrund schwarzer Flecken im Käse ebenfalls in Verruf geraten. Die Sortenorganisation Gruyère AOP hat einen entsprechenden Einsatz gar verboten.
Die Zitzenversiegler sind laut Andreas Raemy aber ein gutes Hilfsmittel, um den Einsatz von antibiotischen Trockenstellern zu verringern. «Die Inhaltsstoffe der Zitzenversiegler sind für Mensch und Tier völlig unbedenklich», betont er. Wenn die Versiegler korrekt angewendet würden, werde es auch keine Probleme im Käse geben. «Hier hat unserer Meinung nach die Milchbranche mit einem sofortigen Verbot falsch gehandelt. Hier braucht es eine gross angelegte Aufklärung für die Landwirtinnen und Landwirte, damit das Wissen über den korrekten Einsatz verbreitet wird. Der Rindergesundheitsdienst hat für eine korrekte Anwendung ein Merkblatt ausgearbeitet.
Alternativ bietet die Firma LGC SA aus Vaulruz FR eine Lösung ohne Bismut an. Die Firma, die laut eigenen Angaben einen natürlichen Weg einschlägt und Alternativenfür den Einsatz von Antibiotika und Hormonen in der tierischen Produktion bietet, hat ein Produkt im Angebot, das einen Schutzfilm über der Zitze bildet.
Weiter bietet die Firma Animalmed im Kanton Solothurn ein Mittel an, das pflanzliche Wirkstoffe enthält, welche mild abstillend wirken. Durch die höheren Leistungen seien die Kühe heute zum Teil zwar am Ende der Laktation, aber nicht am Ende der Milchproduktion.

