Die genomische Selektion ist in der Rindviehzucht nicht mehr wegzudenken. Dank der bedeutend höheren Sicherheit der Zuchtwerte in allen Merkmalen sei eine strengere Selektion der Prüfstiere möglich. Auch auf der weiblichen Seite seien die Zuchtwerte genauer, Rinder und junge Kühe könnten gezielt als Stierenmütter eingesetzt werden, womit das Generationenintervall ohne Verlust von Genauigkeit verkürzt wird.

«Dank der genomischen Selektion konnte bei den Milch- und Zweinutzungsrassen in den letzten Jahren mit weniger Prüfstieren mehr Zuchtfortschritt in Leistungs-, Fitness- und Exterieurmerkmalen erzielt werden»

Silvia Wegmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin Genetik bei Swissgenetics

 

Aufbau des Datensets

Der Genetikanbieter war von Beginn an bei der Einführung der genomischen Selektion in der Schweiz dabei und ermöglichte mit der Bereitstellung von Samendosen von teilweise sehr alten nachzuchtgeprüften Stieren den Aufbau des notwendigen Trainingsdatensets, wie Silvia Wegmann ausführt. 2009 begann Swissgenetics mit der Genotypisierung von Stierkälbern. Offiziell eingeführt wurde die genomische Selektion im Jahr 2010 für Brown Swiss, Holstein (rot und schwarz) und zum Teil Swiss Fleckvieh. Original Braunvieh folgte 2014, Simmentaler 2017. In dieser Zeit nahm die Anzahl ausgewerteter Merkmale zu, damit seien wichtige Informationen über Gesundheit und Fruchtbarkeit schon für die Prüfstiere erhältlich. «Bei den Besamungen mit Milch- und Zweinutzungsrassen machen die Jungstiere schon beinahe zwei Drittel aus. Dies zeugt vom Vertrauen der Züchter in die genomischen Zuchtwerte, weil sich die Resultate auf ihren Betrieben mehrheitlich bestätigen», schlussfolgert Wegmann.

Die Akzeptanz in der Züchterbasis scheint hoch. Dennoch gibt es immer wieder kritische Stimmen. So beispielsweise, dass ein Jungstier seine hohen Werte aus der genomischen Selektion nicht halten könne. «Zuchtwerte sind immer eine Schätzung des genetischen Potenzials, welche die zum aktuellen Zeitpunkt verfügbaren Informationen zu einem Tier und seinen Verwandten optimal berücksichtigen. Die genomischen Zuchtwerte von Jungstieren stimmen im Durchschnitt besser mit den späteren Nachzuchtprüfungsergebnissen überein, als die reinen Abstammungszuchtwerte. Im Einzelfall kann es aber zu Abweichungen kommen. Je höher das ausgewiesene Bestimmtheitsmass ist, desto weniger solcher Schätzfehler sind zu erwarten. Das Risiko sollte durch den Einsatz von verschiedenen genomischen Jungstieren verteilt werden», erinnert Urs Schnyder, Fachbereichsleiter Zuchtwertschätzung bei der Qualitas AG, dem Marktleader für Zuchtwertschätzung in der Schweiz.

Wenn der Computer auswählt

Eine weitere Unsicherheit besteht in der Frage, ob das Streben nach Maximumwerten nicht einhergeht mit der Gefahr, dass die Inzucht in kleineren Populationen dadurch gefördert wird. «Unabhängig von der Genomik braucht es in einem Zuchtprogramm mehr als nur das Streben nach maximalem Zuchtfortschritt, da der Inzuchtzuwachs limitiert werden muss. Das Prinzip hat sich durch die Genomik nicht geändert. Was sich geändert hat, ist die Verkürzung des Generationenintervalls. Dadurch haben wir pro Jahr eher mehr Inzuchtzuwachs als vorher», weiss Franz Seefried, Genetiker bei der Qualitas AG. Es gäbe Methoden und Instrumente, die den Zuwachs an Inzucht limitieren könnten. Diese würden in einzelnen Holsteinpopulationen bereits mit Erfolg angewendet. «Die Populationsgrösse spielt dabei keine Rolle. Die Akzeptanz dieser Methoden ist hierzulande in der Praxis aber nicht besonders hoch, da eine Vorselektion von Computerprogrammen und weniger vom Züchter an sich getroffen wird», weiss Seefried.

 

Kontroverse Meinungen

Simone Barth und Peter Fankhauser von der BauernZeitungs-Redaktion sind bei der genomischen Selektion geteilter Meinung. Hier finden Sie das Pro und Kontra.

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Worauf achten Sie beim Züchten? Schreiben Sie in der Kommentarspalte, auf welche Weise Sie Ihr Zuchtziel verfolgen.

 

Nur Stiere?

Genomische Selektion ist für die Tierhalter(innen) insbesondere im Zusammenhang mit Stieren ein Thema. Aber wie sieht es mit den Kühen in den Ställen aus?

«Die genomischen Zuchtwerte ermöglichen eine Grundselektion der Tiere, welche für die Remontierung genutzt werden sollen und sich für eine gesexte Besamung anbieten»

Martin Rust, Vizedirektor bei Braunvieh Schweiz

Bei der Anpaarung könnten zielgerichtet Stärken gefestigt und Schwächen verbessert werden. Gerade auch im Bereich der Fitnessmerkmale könnten bereits beim Kalb die genetischen Eigenschaften mit einer guten Sicherheit beurteilt werden. «Neben den genomischen Zuchtwerten bekommt man gleichzeitig auch die Information zu den Genmarkern wie dem Kappa-Kasein, Beta-Kasein A2 sowie allfälligen Erbfehlern», so Rust. Anfänglich seien in erster Linie Spitzentiere typisiert worden, weiss er. «Aus Sicht des Betriebs kann man die Vorteile einer genomischen Typisierung erst richtig nutzen, wenn man die ganze Herde typisiert. Wir haben immer mehr Betriebe, die sämtliche weiblichen Tiere typisieren lassen. Ich schätze, es sind zwischen 600 und 700 Betriebe», so Rust.

Es geht voran

Bei Brown Swiss sei deutlich zu spüren, wie der erhoffte Zuwachs beim Zuchtfortschritt nun auch ankomme. «In den letzten zwei Jahren ist das genetische Niveau der Jungstiere massiv angestiegen. Heute haben wir deutlich über 20 Stiere, die einen Gesamtzuchtwert (GZW) von 1400 und mehr aufweisen, die Besten kratzen an der Grenze zu 1500 GZW. Das war bis vor kurzem noch in unerreichbarer Weite», erklärt Martin Rust. Bei aller Euphorie erinnert er aber auch daran, dass die Bäume auch weiterhin nicht in den Himmel wachsen. «Die Sicherheit der genomischen Zuchtwerte liegt auf einem guten Niveau, mit Enttäuschungen gilt es aber zu rechnen.» Zudem sei die Erhaltung der Blutvielfalt eine Herausforderung, «welche wir jetzt in Angriff nehmen müssen.»

 

Zur Person

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Seit Januar 2021 arbeitet Silvia Wegmann als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Swissgenetics. Sie ist Nachfolgerin von Fritz Schmitz, der Ende Februar in Pension ging.