Kili ist tot. Der Abgangsgrund für die Kuh aus dem Stall von Adrian Sutter aus Gammen im Kanton Bern wiegt schwer: Kili erkrankte an einer Mastitis mit Enterococcus faecium. Ein Resistenztest zeigte, die Euterentzündung ist unbehandelbar. Der Keim war gegen alle Antibiotika, die für eine Behandlung in Frage gekommen wären, resistent. «Wir haben alles versucht, auch auf alternativem Weg. Nichts hat genützt. Wir konnten zwar homöopathisch das Fieber senken, aber die Krankheit hatte die Kuh fest im Griff. Wir mussten sie hergeben», sagt Adrian Sutter.
«Bei der diagnostizierten Bakterie handelt es sich um einen klassischen Umweltkeim, der massenhaft im Mist vorkommt, also ein typischer Darmkeim ist. Euterinfektionen macht er nur selten und gehört nicht zu den klassischen Eutererregern», erklärt Michèle Bodmer, Leiterin Bestandesmedizin Rind an der Wiederkäuerklinik in Bern. Der Keim gelte als sogenannter Opportunist, der sich der jeweiligen Lage anpasst und der bei hohem Umgebungskeimdruck auch mal eine Euterinfektion macht.
«Das bedeutet nicht zwingend den Super-GAU.»
Michèle Bodmer, Leiterin Bestandesmedizin Rind Wiederkäuerklinik in Bern
Zeigen Resistenzen
Das Problem an Enterokokken und insbesondere an E. faecium ist, dass sie in sehr vielen Fällen Resistenzen gegen verschiedene Antibiotika zeigen. Sogenannte Makrolidresistenzen, wie im Fall von Kili, sind angeboren. Die sogenannten Beta-Laktam-Resistenzen (Resistenzen gegen Penicillin und verwandte Wirkstoffe), die auch vorkommen, seien hingegen erworben und entwickeln sich oft durch vermehrten Antibiotikaeinsatz.
«Für die Tierhaltenden und den Kuhbestand bedeutet das nicht zwingend den Super-GAU», bilanziert die Tierärztin diesen einzelnen Fall, sie rät aber generell, vor jeder Mastitisbehandlung eine Milchprobe zu entnehmen und im Falle von Enterokokken auch immer einen Resistenztest zu veranlassen.
Ursachen für Resistenzen
Die Entwicklung einer Resistenz ist ein natürliches Phänomen. Sie wird jedoch durch den übermässigen und unsachgemässen Antibiotikaeinsatz bei Mensch und Tier verstärkt. Wie einem Merkblatt von Agridea zu entnehmen ist, sind folgende Gründe dafür hauptverantwortlich:
- Unnötige Verabreichung bei viralen Infektionen (Fehldiagnose)
- Verabreichung desfalschen Antibiotikums (unwirksam)
- Zu häufige Verabreichung im Sinne einer Prävention
- Zu schwache Dosierung oder vorzeitiger Abbruch der Behandlung.
Kann angeboren sein
Wie oben erwähnt, können Antibiotikaresistenzen angeboren sein. «Sie haben sich irgendwann einmal durch spontane Veränderungen der Erbinformation (Spontanmutationen) entwickelt. Träger dieser mutierten Gene haben dann mit dieser Resistenz einen Vorteil und können sich trotz Antibiotika vermehren und andere Stämme und Bakterienspezies dominieren. Dies nennt man Selektion resistenter Stämme», erklärt Michèle Bodmer den Hergang.
Es gibt aber auch Fälle, bei denen die Resistenz erworben wird. Ein wichtiger Faktor für die erworbenen Resistenzen – also die Neuentwicklung von Antibiotikaresistenzen sei der Antibiotikaverbrauch in der Herde. «Ist dieser sehr hoch, oder wird Antibiotika ungezielt verabreicht, können bestimmte Bakterienstämme im Gesamtspektrum aller Bakterien auf dem Betrieb eine gewisse Vormachtstellung einnehmen. Dies kann mittel- bis langfristig zu vermehrten Infektionen mit resistenten Bakterien führen, die nicht mehr zu heilen sind», erklärt die Tierärztin.
Kili ist kein Einzelfall. Befunde mit Enterococcus faecium kommen sporadisch vor, werden aber nicht beim Melken von Kuh zu Kuh übertragen wie z. B. Staphylococcus aureus. «Das Resistenzmuster ist aber immer kritisch und sollte in jedem Fall überprüft werden», rät die Tierärztin.
Nicht übertragbar
Obschon medial immer wieder, gerade in Publikumsmedien, die Gefahr zunehmender Resistenzen betont wird, sieht Michèle Bodmer keine dramatische Verschlimmerung der Situation «unmittelbar auf uns zukommen». Aufgrund der oben erwähnten Mechanismen sei der umsichtige Antibiotikaeinsatz die Stellschraube, mit der aktiv etwas gegen die vermehrte Resistenzbildung unternommen werden kann. «Zusätzlich können wir mit gutem Management im Bereich Hygiene, Melken und Fütterung den Infektionsdruck aus der Umgebung senken und die Abwehrsituation der Kühe stärken und damit die Häufigkeit von Mastitiden senken», sagt die Leiterin Bestandesmedizin und ergänzt, dass sie auch in der tierärztlichen Praxis eine deutliche Tendenz zum vorsichtigeren Umgang mit Antibiotika sehe, zumindest im Bereich der Mastitisbehandlungen.
«Es ist zu hoffen, dass sich die Praxis der gezielten Behandlung nach Identifikation des Erregers möglichst nach Antibiogramm noch weiter durchsetzt und fest in der Routine verankert wird. Damit bin ich überzeugt, dass wir mittel- bis langfristig die Resistenzentwicklung bremsen können», sagt sie.
Aber welche Konsequenzen hat so ein Fall nun konkret für die Medizin einerseits im Veterinär-, aber auch im Humanbereich? Ein solcher Fall zeige, dass Mastitisbehandlungen ohne vorherige Keimidentifikation unbrauchbar seien und da deutlich gezielter vorgegangen werden müsse, sagt Michèle Bodmer. Auch sei eine Diskussion der Behandlungswürdigkeit einer Euterinfektion mit dem Tierhalter zu führen. Chronisch infizierte Tiere hätten unabhängig vom verursachenden Keim eine Heilungschance von weniger als zehn Prozent und seien so nicht als behandlungswürdig einzustufen.
Frage der Entsorgung
«Da der wichtigste Ansatzpunkt die generelle Reduktion des Antibiotikaeinsatzes ist wird an der Vetsuisse-Fakultät im Bereich Antibiotikaresistenzreduktion geforscht. Da wird insbesondere auch nach Lösungen gesucht, wie Antibiotikahaltige Milch entsorgt werden kann, ohne dass die Resistenzproblematik befeuert wird.», schliesst Bodner.
Polemik über «bewilligten» Missbrauch
Die «Sonntagszeitung» berichtete in ihrer letzten Ausgabe von Hühnern, die mit Reserveantibiotika behandelt werden. Es gebe immer mehr Menschen, aber auch Tiere, die von Bakterien befallen sind, bei denen mehrere Antibiotika nicht mehr wirken, weil Bakterien Resistenzen entwickelt haben, ist dem Artikel zu entnehmen. Dann würden allenfalls noch Reserveantibiotika eingesetzt, die in der Tiermedizin nur sehr restriktiv eingesetzt werden dürften.
Hohe Resistenzen
«In Schweizer Hühnerställen war die Abgabe allerdings üblich», schreibt die «Sonntagszeitung» und nennt den vom Bund bewilligten Einsatz «Medikamentenmissbrauch». Das Resultat seien hohe Resistenzen in Hühnerställen und diese könnten vom Geflügel auf den Menschen übertragen werden, wird bilanziert. Geflügel werde von allen Nutztieren am meisten mit Reserveantibiotika behandelt, nämlich in 59 % der Fälle. Dass aber rund 90 % der Schweizer Nutzgeflügelbestände gar nie eine Antibiotikabehandlung erhalten, wird nicht ausgeführt.
Nur Reserve-AB zugelassen
Der Geflügelbranche sei das Problem indes schon lange bekannt, heisst es weiter. Ruedi Zweifel, Direktor des Aviforum, wird im Artikel zitiert: «Die Schwierigkeit ist, dass für etliche Infekte beim Geflügel heute nur Reserveantibiotika zugelassen sind.» Der Grund dafür ist nicht neu – auch die BauernZeitung hat bereits mehrfach dazu berichtet: Wegen des kleinen Markts haben Pharmafirmen kein Interesse an einer Schweizer Zulassung.
Tierärzte dürfen ausweichen
Wie das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) im Artikel der «Sonntagszeitung» schliesslich ausführt, habe sich ein Lösung für dieses Problem ergeben: «Bestehen bezüglich einer Resistenz Bedenken, dürfen Veterinäre seit letztem Jahr auf andere, nicht zugelassene Medikamente ausweichen.»Wie viele davon Gebrauch machen, sei nicht bekannt, so die «Sonntagzeitung».
