Der Schweizer Tränkermarkt steht vor einer ernsten Krise. Eine ausgeprägte Saisonalität, anhaltende Rentabilitätsprobleme in der Kälbermast und ein steigender Angebotsüberhang machen der Branche zunehmend zu schaffen. Was geschieht, wenn der Markt versagt? Wie lange geht es, bis das Vertrauen in die Branche nachhaltig geschädigt wird?
Peter Bosshard, Geschäftsführer des Schweizerischen Viehhändler-Verbandes, ist ein Kenner der Lage. Im Interview mit der BauernZeitung teilt er seine Sicht auf die aktuellen Probleme des Tränkermarkts und beleuchtet mögliche Lösungsansätze. Bosshard betont die Dringlichkeit, diesen Herausforderungen entgegenzutreten, um den Ruf der Milchproduktion nicht zu gefährden.
Peter Bosshard, was sind aus Ihrer Sicht die Hauptursachen für die aktuellen Probleme auf dem Schweizer Tränkermarkt und wie haben sich diese Herausforderungen in den letzten Jahren entwickelt?
Peter Bosshard: Die Saisonalität auf dem Tränkermarkt scheint sich jährlich ausgeprägter und schwieriger zu gestalten. Dazu kommt, dass zahlreiche Produzenten aus der bäuerlichen Kälbermast aufgrund fehlender Rentabilität und hoher Arbeitsbelastung ausgestiegen sind. Die Kälbermast wird zudem nicht mehr bereit sein, im Herbst und Winter ihre Ställe bis zur Obergrenze zu füllen, um im Frühjahr erneut mit Absatzproblemen konfrontiert zu werden. Ein weiterer Grund für diese Entwicklung ist sicher auch die Spezialisierung in der Landwirtschaft auf bestimmte Betriebszweige. Die Preistreiberei bei den Tränkern in den letzten Jahren hat ebenfalls ihren Teil zu dieser Entwicklung beigetragen.[IMG 2]
Welche Faktoren verschärfen die Probleme auf dem Tränkermarkt besonders und wie wirken sich diese auf den Handel und die Landwirtschaft aus?
Es ist auffallend, dass die Abkalbungen früher ausfallen, was sicherlich teilweise den Milchzuschlägen in den Sommermonaten geschuldet ist. Ein Blick auf die Produktionszahlen zeigt, dass von den jährlich rund 650'000 Geburten etwa 180'000 Tiere für die Remontierung benötigt werden. Rund 190'000 Tränker gehen in die Kälbermast und 255'000 in die Grossviehmast. Die Bilanz zeigt, dass über das Jahr betrachtet ein leichter Angebotsüberhang besteht. Das Problem ist die Saisonalität.
Welche konkreten Massnahmen sehen Sie, um die Probleme im Tränkermarkt zu lösen?
Ich glaube, es gibt nicht die eine Lösung. Es braucht viele Mosaiksteine, die zusammengeführt werden müssen. Man muss den Mut haben, neue Produktionsformen auszuprobieren. Ein Beispiel ist der Sommerochse, bei dem gezielt Tränker aus dem Kalb- und Bankviehmarkt genommen und dem Kuhmarkt in den Monaten Mai bis August – in denen immer ein Unterangebot besteht – zugeführt werden. Mir ist bewusst, dass bei diesem Pilotversuch die Rekrutierung der Geburts- und Ausmastbetriebe eine grosse Herausforderung darstellt. Man kann nichts tun – oder man kann es versuchen. Eine weitere Massnahme ist der vermehrte Einsatz von männlich gesextem Fleischrassen-Sperma.
Was müsste Ihrer Meinung nach kurz- und langfristig verändert werden, damit sich die Lage stabilisiert?
Wie bereits gesagt, braucht es jetzt den Mut für neue Lösungen und Produktionsformen. Wir haben genug diskutiert, nun müssen Taten folgen. Da ein Rind neun Monate tragend ist, ist der zeitliche Horizont für die Wirkung von Massnahmen eher lang.
Der Tränkermarkt steht im Spannungsfeld von Angebot und Nachfrage. Welche Ansätze gibt es, um das Ungleichgewicht in der Nachfrage nach bestimmten Tieren zu beheben, und wie könnte die Branche flexibler auf Marktschwankungen reagieren?
Etwas gegen den Markt zu tun, ist immer schwer, er ist immer stärker als jede regulatorische Massnahme. Der Tierhalter kann auch sein Produktionsumfeld nicht verändern, das ist ebenfalls gegeben. Auch der in einzelnen Regionen teils sehr hohe Alpanteil bei den Kühen lässt sich nicht von heute auf morgen ändern. Wir müssen die Saisonalität durchbrechen. Sicherlich sind auch preisliche Massnahmen auf der Tränkertabelle zu diskutieren. Damit meine ich zum Beispiel die Preisdifferenzierung von Oktober bis März und den Preis für Tränker bis 100 Kilogramm Lebendgewicht. Ein weiterer Ansatz wäre, die Besamungen von Juni bis Oktober zu verbilligen. In den USA etwa läuft der Tränkerhandel über Termingeschäfte. Durch die Verbilligung der Belegung sichert sich der Handel das Tränkekalb bereits bei der Belegung.
Welche Verantwortung tragen die Viehhändler im aktuellen Marktumfeld und was können sie konkret anders machen, um die Situation zu verbessern?
Der Viehhandel nimmt in der Vermarktung der Tränker – wie auch bei anderen Handelstieren – eine zentrale Rolle ein, und der Tränkermarkt ist ein ausgesprochener Händlermarkt. Es gibt wohl keinen anderen Markt, der so schnell und volatil auf Angebot und Nachfrage reagiert. Der Viehhandel sorgt für Wettbewerb und garantiert den Marktausgleich. Das richtige Tier zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu haben, ist die Kernkompetenz des Viehhandels. Um etwas auszuprobieren, hat der Viehhandel – zusammen mit Mästern, Abnehmern und der Proviande – das Projekt «Sommerochse» lanciert. Zudem sind wir bestrebt, die Vermarktungswege und Handelsstufen zu optimieren, um den zunehmenden Ansprüchen bei der Kälbergesundheit gerecht zu werden. Ich höre immer wieder Schuldzuweisungen gegenüber dem Viehhandel. Der Viehhandel, die Mäster und die Fleischverarbeiter sind ein sehr wichtiger Teil möglicher Lösungen.
Könnte denn die landwirtschaftliche Beratung helfen?
Bei all den Diskussionen um den Tränkerabsatz stelle ich immer auch einen innerlandwirtschaftlichen Konflikt fest: Milchproduktion versus Fleischproduktion und Milchbetriebe versus Mastbetriebe. Solche Grabenkämpfe bringen rein gar nichts und wir müssen die Probleme gemeinsam lösen. Von der landwirtschaftlichen Beratung erwarte ich, dass sie hilft, diese unnötigen Grabenkämpfe zu minimieren, und natürlich auch eine sachliche Fachunterstützung bei den Massnahmen zur Brechung der Saisonalität, beispielsweise die Möglichkeit, dass die Tränker länger auf den Geburtsbetrieben gehalten werden.
Welche Art von Tränkertieren wird derzeit auf dem Schweizer Markt am meisten nachgefragt und welche Tiere sind schwieriger zu handeln?
Vor rund einem Monat haben wir eine neue Tränkertabelle publiziert. Was wollen wir mit dieser neuen Tabelle erreichen? Es soll nicht mehr nur nach der Abstammung, also ob Mastrasse oder nicht, klassiert werden, sondern vermehrt auf das Erscheinungsbild und das Ausmastpotenzial geachtet werden. Eine Limousin-Kuh ist schliesslich auch nicht immer eine C- oder H-Kuh. Wir sind überzeugt, dass wir so den Käuferwünschen besser gerecht werden und eine Qualitätsbezahlung vermehrt zur Anwendung kommt. Gerade die Ausarbeitung dieser neuen Tränkertabelle hat gezeigt, wie vielschichtig dieser Markt ist und dass es eigentlich für jeden Tränker einen Markt gibt. Beim Tränkermarkt führen Sie zehn Telefongespräche und erhalten zehn verschiedene Meinungen.
Gibt es aus Ihrer Sicht bestimmte Tiere oder Tiergruppen, die aufgrund der aktuellen Marktbedingungen gar nicht mehr wirtschaftlich gehandelt werden können?
In diesem Jahr kann eine ausgeprägte Zweiteiligkeit des Marktes beobachtet werden, was mir Sorge bereitet. Die Grossviehmast verläuft zum Glück in geordneten Bahnen und auf einem soliden Preisniveau. Ein grosses Problem sind jedoch die Rentabilitätsprobleme in der Kälbermast. Diese kommt einfach nicht zur Ruhe, und es wird immer wieder an dieser Produktionsform herumgenörgelt. Machen wir die Kälbermast ganz kaputt, verschärfen sich die Absatzprobleme bei den Tränkern und es entsteht ein Imageschaden für die gesamte Milch- und Fleischbranche. Vergessen wir nicht, dass rund 85 Prozent der Tränker ein Koppelprodukt der Milchwirtschaft sind – wir müssen also auch die Geburtsbetriebe bei Laune halten. Preisdruck in der Kälbermast führt unweigerlich zu Preisdruck bei den AB- und A-Tränkern. Der gesamte Markt der gehandelten Tränker umfasst zudem ein Volumen von rund 250 Millionen Schweizer Franken. Tragen wir Sorge zu diesem Markt.
Wenn diese Probleme nicht bald gelöst werden, welche langfristigen Kollateralschäden befürchten Sie für die Schweizer Landwirtschaft, den Viehhandel und letztlich vor allem die Milchproduktion?
Ich habe die Wichtigkeit und die Bedeutung eines funktionierenden Tränkermarkts aufgezeigt. Aktuell ist meine grösste Sorge, dass die Angebote zunehmend höher sind als die Nachfrage, und zwar nicht nur saisonal, sondern über eine längere Zeitspanne. Wenn wir ein solches Imageproblem bekommen, leiden die Milch- und die Fleischwirtschaft enorm, und das muss nun prioritär verhindert werden. Die Bedeutung der Kälbermast ist dabei nicht zu unterschätzen, vor allem auch in der Verwertung der Nebenprodukte der Milchindustrie. Das ist nachhaltige Kreislaufwirtschaft, die schnell vergessen geht.
Was, wenn das alles nicht gelingt? Was, wenn es zu einem Versagen kommt?
Es darf und wird kein Versagen geben. Es steht zu viel auf dem Spiel.