Es sind happige Vorwürfe, welche die «NZZ» an die Adresse der Bauern richtet. Im Artikel «Zu viele Kälber werden geboren – wir entsorgen sie wie Müll», heisst es, dass diese Jungtiere aus Milchkühen niemand wolle. «Sie werden schlecht behandelt oder einfach getötet», wirft die Journalistin der Branche vor. Eine kurze Recherche reicht aus, um herauszufinden, dass die «NZZ»-Schreibende als Journalistin und Tänzerin in der «Metropolregion Berlin-Brandenburg» lebt, wie sie auf einem ihrer Social-Media-Kanäle schreibt.

Schon in den ersten Sätzen des Artikels wird klar: Die Frau hat viel Meinung für wenig Ahnung. So schreibt sie, dass gemäss einer bewährten Bauernregel eine Kuh ungefähr alle 205 Tage ein Kalb gebären muss, damit sie eine Spitzenleistung von bis zu 60 Liter Milch am Tag erzielen kann. «Jedes Jahr gebären deshalb Millionen Hochleistungsmilchkühe ebenso viele Kälber. Aber diese gigantische Herde Jungtiere brauchen die Menschen nicht. Nicht zum Essen. Nicht zum Aufziehen, noch dazu mit teurer Milch, die man auch an Menschen verkaufen kann», schreibt sie weiter.

Keine Antwort

Der Artikel enthält weitere Rechnungs- wie auch Denkfehler – insbesondere für Schweizer Verhältnisse. Die BauernZeitung reagiert noch gleichentags mit einer E-Mail an die Kollegen der «NZZ» und macht sie auf die vielen inhaltlichen Fehler aufmerksam. Die Redaktion der «NZZ» bleibt hingegen still – keine Reaktion. Allerdings werden einzelne Zahlen im Onlineartikel in der Folge angepasst.

Auch Verbände reagieren, so die Schweizer Milchproduzenten (SMP). Der erwähnte Artikel vermische eventuell bewusst Beispiele aus dem Ausland (EU, Nordafrika, Libanon, Marokko, Algerien etc.), womit die Schweizer Milchproduktion wirklich nichts zu tun habe. «In der Schweiz gibt es rund 0,5 Mio Milchkühe, wobei der Bestand jedes Jahr um 1 bis 2 % sinkt, und Kälber werden zudem keine exportiert, wie indirekt im Artikel suggeriert wird. Es finden sich auch keine Schweizer Kälber auf Schiffstransporten», so die SMP.

«Aussagen zu einzelnen Importeuren machen wir nicht.»

Mladen Tomic, Mitarbeiter Medienstelle Denner.

In der Schweiz werde indes jedes (lebendig oder tot) geborene Kalb in der staatlichen Tierverkehrsdatenbank (TDV) faktisch tagesaktuell registriert. «Kein Säugetierbestand – inkl. homo sapiens sapiens – in der Schweiz ist aktueller registriert als die landwirtschaftlichen Nutztiere. Da können keine Tiere verschwinden», so die SMP. Die TVD biete sich auch als Instrument an, Verendungen von jungen Kälbern durch die zuständigen staatlichen Stellen systematisch zu monitoren. «Wir haben nichts gegen solche Kontrollen einzuwenden», sagt Stephan Hagenbuch, Direktor SMP, dezidiert. Man habe kein Interesse daran, dass solche Missstände – falls es sie auch in der Schweiz geben sollte – unsanktioniert bleiben. «Das verstösst gegen unser Tierschutzgesetz und gegen unsere Ethik», so Hagenbuch, der an die Behörden den Anspruch hat, dass so etwas geahndet würde und unter Umständen ein Tierhalteverbot zur Folge haben könnte.

Ein Blick in die Tierverkehrsdatenbank verrät wenig Auffälliges. Klar ist, dass in den letzten Monaten des Jahres jeweils so viele Kälber geboren werden, dass das Angebot die Nachfrage übersteigt. Das drückt entsprechend auf die Preise. Das Phänomen und die daraus resultierende Marktproblematik sind der Branche bekannt und das nicht erst seit gestern. Was geht? «Wir arbeiten an Lösungen, doch diese sind noch nicht spruchreif», sagt Peter Bosshard, Geschäftsführer des Schweizerischen Viehhändler-Verbandes.

Extrem kalter Februar 2018

Die Totgeburtenrate der Kälber stieg im Februar 2018 kurzzeitig auf über 5,5 % an. Vorher und nachher lag sie stets darunter. Aktuell liegt sie allerdings wiederum auf über 5 %. Beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) kennt man die Gründe dafür – zumindest zum Teil. Den aktuellen Anstieg führt man beim BLV vorab auf Meldeverzögerungen zurück. Dadurch liege der Anteil der Totgeburten kurzzeitig höher, als er tatsächlich sei. «Wir erwarten, dass die Rate aufgrund von Nachmeldungen von Lebendgeburten in den nächsten Wochen auf unter 5 % sinkt», so Sarah Camenisch, Mediensprecherin. Für den Anstieg im Jahr 2018 könne es verschiedene Ursachen geben, etwa die Meldedisziplin, Veränderungen im Management oder bei den Haltungsbedingungen.

Ein Blick aufs Klimabulletin zeigt: Der Februar 2018 zeigte sich landesweit ausgesprochen trüb. In Berglagen gehört er zu den kältesten Februarmonaten der letzten 30 Jahre. Also könnte auch die Witterung ein Grund gewesen sein.

Das Angebot an Tränkern hat sich wie jedes Jahr im Frühling erholt. Aktuell beschreibt der Schweizer Bauernverband die Marktlage bei den Tränkern wie folgt: «Normale Angebote bei normaler Nachfrage.» Die Mastkälber haben es hingegen immer noch schwieriger. «Trotz kleinem Angebot nach wie vor genug Schlachtkälber auf dem Markt. Die Nachfrage verharrt auf tiefem Niveau», so der SBV.

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Früchte des Detailhandels

Obschon die Schweiz also eher einen Überhang von Schweizer Kalbfleisch zu verzeichnen hat, verkaufte der Discounter Denner jüngst Kalbfleisch aus den Niederlanden. Die BauernZeitung wollte wissen, was die Gründe dafür sind. «Als grösster Schweizer Discounter bevorzugen wir grundsätzlich heimisches Fleisch», schreibt die Medienstelle von Denner. Bei Promotionen entstehe allerdings gerade bei Kalbfleisch manchmal ein kurzfristiger Nachfrageüberschuss, weshalb Denner diese Nachfragespitze mittels Einfuhr von ausländischem Fleisch abdecke, wird begründet.

Auf der Suche nach dem Importeur des niederländischen Kalbfleisches wird die BauernZeitung nicht fündig. «Dieses Kalbfleisch stammt nicht von der Ernst Sutter AG», schreibt der erste verdächtige Befragte. Bei Migros-Tochter Micarna hält man sich bedeckt und gibt die Anfrage an den Discounter weiter, der wiederum im Besitz der Migros ist. «Aussagen zu einzelnen Importeuren oder Produzenten bzw. der Lieferkette machen wir nicht», erklärt schliesslich Mladen Tomic, Mediensprecher bei Denner.