Kühe rülpsen Methan, ein äusserst klimaschädliches Gas, und werden damit in vielen Studien als Klimasünder dargestellt. Nach Ansicht von Anita Idel ist diese Betrachtung zu einseitig und greift zu kurz. «Rinder tragen einen Beitrag zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und zur Begrenzung des Klimawandels bei», sagte sie und erklärte an einem Forum an der Tier&Technik, weshalb das so ist.

Gras wollte anfangs auch nicht gefressen werden

Grasland habe eine unglaublich grosse Bedeutung für die fruchtbaren Gegenden auf der Erde, so Idel: die Prärien Nordamerikas, die Pampas Südamerikas, die Mandschurai in China, die Steppen in Afrika. Diese fruchtbaren Böden sind nach der letzten Eiszeit über Jahrtausende entstanden.

Die Geschichte der Gräser ist wesentlich älter. Vor 60 Millionen Jahren gab es schon die ersten Gräser, diese wuchsen vereinzelt und noch nicht rasenartig. Das änderte sich, als Tiere begannen, die Gräser abzuweiden. «Zuerst wollte das Gras wie alle anderen Pflanzen nicht gefressen werden», führte Idel aus. «Aber das Gras machte aus der Not eine Tugend, es kam so weit, dass der Biss zum Wachstumsimpuls wurde.» Das Weidetier gehöre deshalb zum System Gras dazu und sei mitverantwortlich für die weltweite Erfolgsgeschichte Grasland, die grösste Pflanzengemeinschaft, die es gibt.

Intensiver Ackerbau schadet der Bodenfruchtbarkeit

Grasland habe eine grosse Bedeutung im Klimaschutz, betonte Anita Idel mehrfach. In Graslandökogesellschaften wird nämlich weltweit mehr Kohlenstoff gebunden als in Waldökosystemen. Gräser haben ein hohes Bodenbildungspotenzial. «Das liegt daran, dass sie unterirdisch mehr Wurzelmasse als oberirdisch Biomasse bilden. Wird beweidet, löst der Biss den Wachstumsimpuls aus, es wird mehr Kohlenstoff im Boden gebunden und zu Humus umgewandelt. Die Gräser von heute sind der Humus von morgen», erklärte die Referentin.

Angesichts dieses Potenzials ist der Verlust der Bodenfruchtbarkeit auf intensiven Ackerböden für Idel umso beunruhigender. In den USA hat die Bodenfruchtbarkeit innerhalb von 150 Jahren um 30 Prozent abgenommen. «Eine Millisekundenzeit im Vergleich zur Dauer vom Bodenaufbau», bemerkte Idel. Pro Hektar gehen dort jedes Jahr 13 Tonnen fruchtbarer Boden verloren. «Das zeigt, dass unser System falsch ist. Solange wir nur reparieren wollen, können wir den Rückgang der biologischen Vielfalt nicht stoppen. Wir brauchen einen Systemwechsel», ist sie überzeugt.

Zweinutzungsrassen fördern

Einen Systemwechsel bräuchte es nach Ansicht von Anita Idel auch in der Tierzucht. Durch die einseitige Züchtung (auf Milch oder auf Fleisch) habe sich die Kuh immer weiter von der Basisressource Gras entfernt. «Hochleistungskühe oder Schlachtvieh in sogenannten Feedlots sind zwei Extreme, die nicht der Weg sein können.» Idel findet, dass Zweinutzungsrassen wieder vermehrt in den Fokus rücken sollten. Die Politik müsste Rahmenbedingungen schaffen, die solche Systeme auf die Dauer fördern. «Immer nur Maximieren und ans Risiko gehen, mit der Überzeugung, mit Antibiotika oder Pflanzenschutzmitteln kann ich das schon abfedern, funktioniert auf die Dauer nicht.»

Es sei nicht die vorrangige Aufgabe der Landwirtschaft, das Klima zu retten, sondern die Ressourcen nachhaltig zu nutzen, meinte die Referentin. Nicht Klimagase an sich seien das Problem, sondern die unsinnige Nutzung von fossiler Energie aus dem Boden durch den Menschen. «Was in Jahrmillionen eingelagert wurde, holen wir in ein paar hundert Jahren an die Oberfläche und verbrennen es. Dass das die Ökosysteme nicht aushalten, sollte eigentlich einleuchten.»

Gras von heute ist der Humus von morgen

Das erfolgreichste Biom der Welt, das Grasland, werde total unterschätzt, findet Anita Idel. «Aber es kommt noch schlimmer: die Kuh steht am Klimapranger.» Das Problematische an diesen Studien sei das Forschungsdesign. «Die Kuh wird nicht an dem gemessen, was sie am besten kann, nämlich Gras zu Milch und Fleisch veredeln.»

Die höchsten Emissionen würden des Übrigen nicht von den Kühen ausgehen, sondern von der synthetischen Düngung der grossen Monokulturen Mais und Sojabohnen. «Das verbraucht viel Energie und setzt Lachgas frei, das 295 mal klimaschädlicher ist als CO2

Idel erinnerte daran, dass das CO2 in Atmosphäre erst die Voraussetzung war, dass Pflanzen grün wurden und Tiere sie in der Folge nutzen konnten. Der Dung, den die Kühe auf der Weide hinterlassen (pro Jahr über zehn Tonnen), ist wiederum Ernährungsbiomasse für über 100 Kilogramm Insekten. «Das zeigt, dass alles irgendwie zusammenhängt.» Idel wies darauf hin, dass Grasland mit seiner gewaltigen Biomasse in der Lage ist, CO2 aus der Atmosphäre aufzunehmen und im Boden in Kohlenstoff und schliesslich in Humus umzuwandeln. «Dieses Potenzial gilt es weiterzuentwickeln. Das Grasland und damit das Potenzial der Kuh werden heute völlig unterschätzt», schloss Idel ihr Referat.