NOP steht für «National Organic Program», und ist ein amerikanisches Biolabel. Im Unterschied zur Knospe von Bio Suisse wird auf Antibiotika gänzlich verzichtet. Der Luzerner Edi Hess aus Müswangen geht in der Milchproduktion seinen eigenen Weg. Kein Kraftfutter, keine Silage, behornte Kühe und vor allem seit 2012 keine Antibiotika für Behandlungen der Milchviehherde.

Nicht nach Schulbuch

Geht das? Es geht, soviel vorweg. Aber dazu braucht es eine völlig andere Herangehensweise und ruhig Blut, wenn ein Tier erkrankt oder einen "Viertel" hat. Auch in der Schule Gelerntes, schiebt Meisterlandwirt Edi Hess, der erst mit 32 Jahren Bauer wurde hie und da ein wenig zur Seite.

 

Familie Hess: Über Umwege zur Landwirtschaft

Familie Hess, das sind Helen und Edi mit den Kindern Melanie, Raphael, Celine, Elena, Leonie und Elias. Mara Leonhardt absolviert derzeit das Agriprakti auf dem Bendlihof. Der 46-jährige Betriebsleiter lernte ursprünglich Landmaschinenmechaniker und arbeitete dann als Chauffeur. Die Lust am "Fahren" verging Hess. Er machte auf einem Hof in Baldegg ein Praktikum, absolvierte den Kurs zum Nebenerwerbslandwirt und zog die Ausbildung weiter bis zum Meisterlandwirt. 2009 kamen sie auf den Bendlihof.
In der BauernZeitung inserierten sie davor. 2011 konnten sie den Betrieb kaufen und kurz darauf auch noch einen Nachbarbetrieb. Auf einem Rundgang wird klar: Als Quereinsteiger ist Hess Betriebsblindheit fremd. Er arbeitet in verschiedenen Arbeitskreisen mit. Alles wird hinterfragt und «heilig» ist nichts, auch nicht die Milchproduktion. Der Betrieb umfasst heute rund 20,5 ha LN und liegt auf einem windigen Hügelzug. Aktuell ist die gesamte Fläche Grünland. Ziel ist, auch wieder Ackerbau zu betreiben. "Die Böden sind schwer hier", weiss Hess. Trockene Jahre sind eher gute Jahre. Ausser die Mäuse machen einen Strich durch die Rechnung. Seit 2013 produzieren 21 Kühe im umgebauten Laufstall. Zweites Standbein
auf dem Bio-Betrieb ist Pouletmast für Bell mit sechs "Hüttli" à 450 Tieren. Dazu kommen
30 Mastschweineplätze. Sollte eines Tages nicht mehr gemolken werden, sind Beeren oder auch Agroforst und Fleischschafe Alternativen, erklärt Edi Hess. Die ammengebundene Kälberaufzucht wird seit Anfang Jahr praktiziert. 

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Seit 2012 setzt Edi Hess keine Antibiotika mehr ein. Die Zellzahlen liegen im Schnitt um die 100 000. Solange ein Viertel nicht hart ist, wird ruhig weitergemolken,

auch wenn bei einer Kuh nach der Milchkontrolle eine Zellzahl von 300 000 in der Spalte steht. Bei akuten Vierteln wird häufiger ausgemolken und es kommt Homöopathie zum Einsatz.

Homöopathisch behandeln

Noch nie habe eine Kuh einen Viertel verloren, sagt Hess. Es gab aber schon eine Phase, wo er während kurzer Zeit eine hohe Zellzahl hatte in der Tankmilchprobe. Es wurde wieder besser, eine Erklärung dafür habe er nicht gefunden. Einmal stellte er eine Kuh mit einer Zellzahl von 2 Mio Galt. Nach dem Abkalben startete diese wieder mit 60 000 Zellen in die Laktation. Ein anderes Beispiel: Bei einer Kuh stellte Edi Hess 41 Grad Fieber fest. Zwei Viertel waren hart. 90 Minuten später lag die Körpertemperatur bereits wieder bei erträglichen 39,5 Grad. Am Abend kam die Kuh mit weichen Vierteln in den Melkstand. Hess behandelte in der Zwischenzeit mit Homöopathie (Aconitum und Belladonna).

"Nur ein kleiner Teil der NOP-Milch kann verarbeitet werden."

André Bernet, Leiter Milchvermarktung ZMP, Luzern

Kleiner Teil wird vermarktet

Die Milch wird an die Zentralschweizer Milchproduzenten (ZMP) verkauft. NOP läuft noch immer auf Sparflamme. Nur sieben bis acht Mal jährlich geht die Milch in diesen Kanal. Dann gibt es einen Franken das Kilo. Sonst, im Bio-Kanal sind es 89 Rappen. Die ZMP kaufen und verkaufen (Hochdorf) seit 2017 NOP-Milch. Aktuell seien es 19 Produzenten mit einer Jahresmenge von rund 3,5 Mio Kilo Milch, erklärt ­André Bernet, ZMP. "Es ist für die Milchproduzenten eine Herausforderung über Jahre ohne den Einsatz von Antibiotika zu arbeiten", weiss er aus Rückmeldungen. Im Jahr 2017 konnten zwei Lieferungen gemacht werden, 2018 waren es bereits acht Lieferungen und für 2019 sind elf Lieferungen geplant. Damit kann zwar nur ein kleiner Teil der Milch zu NOP-Produkten verarbeitet werden. Wer NOP-Milch produziert, macht es also kaum wegen finanzieller Anreize. "Viele Konsumenten meinen, dass Bio gleich antibiotikafrei ist", sagt Edi Hess dazu. Bio Suisse könnte hier ruhig etwas konsequenter sein, findet er, der seit 2015 Knospe-Betrieb ist und ab Sommer seinen eigenen NOP-Käse im Hofladen anbietet.

Leistungsfähig und gesund

Trotz vieler Erstmelken leistet die Herde Hess rund 6000 Kilogramm. Auf 800 m ü. M. gibt es im Sommer frisches Gras von

der Weide und ein wenig Heu, im Winter Heu und Emd. "Ich hatte schon Kühe mit 8500-Kilo-Abschlüssen, die problemlos in der Herde mitliefen", erklärt Hess. Ein Kalb pro Jahr brauche es für eine wirtschaftliche Milchproduktion, sagt man. Diesem Credo hat Hess abgeschworen. "Wir besamen unsere Kühe, wenn sie parat sind und nicht nach Schema F", sagt er. Es gibt Kühe, die auch als Altmelk konstant "schöne" Mengen weiterproduzieren. Und dies kostengünstig.

 

317 Franken Tierarztkosten

Es sei gar nicht so einfach, einen Tierarzt zu finden, der eine ähnliche Philosophie verfolge wie er, so die Erfahrung von Edi Hess. Der Betriebsleiter mag es nicht, wenn keine Diagnose vorliegt und einfach zur Sicherheit mediziniert wird. 317 Franken Tierarztkosten hatte Hess 2016. Nicht pro Kuh, sondern für den ganzen Betrieb.

Homöopathie und Geduld

Während ein Standardbetrieb mit Kosten für Tierarzt und KB von rund fünf Rappen pro Liter Milch kalkuliert, ist es bei Hess kein Rappen. Der Tierarzt kommt nur in ganz speziellen Fällen, wenn sich etwa ein Tier schwerer verletzt. Ansonsten setzt er auf Homöopathie und Geduld. Eine Kuh mit hoher Temperatur bringt ihn nicht aus der Ruhe. Hess besuchte Kurse und liest Bücher. Bei schwierigen Fällen lässt er sich telefonisch beraten.
Kein Problem mit Alternativmedizin hat Tierarzt Stefan Birrer, Gunzwil. Er ist auch Präsident der Zentralschweizer Tierärzte.

Tierschutz geht vor

Zu beachten gelte es aber immer auch den Tierschutz, Stichwort Schmerzlinderung. Und auch die Wirtschaftlichkeit. Etwa, wenn eine Kuh einen Viertel verliert, weil nicht behandelt wurde. Auch Know-how um Alternativmedizin und der Faktor Zeit seien nicht auf jedem Betrieb gleichermassen vorhanden. «Wird ein akuter Viertel nicht mit Antibiotika behandelt, muss er viertelstündlich ausgemolken werden», wirft Birrer als Beispiel ein. Grundsätzlich sei die Sensibilisierung im Umgang mit Antibiotika natürlich nur zu begrüssen, so Birrer. Dass der Verbrauch in den letzen zehn Jahren um 40% verringert wurde, sei ein gutes Zeugnis. 

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Saisonal und ammengebunden

Die Kühe von Hess werden auch so trächtig. 2015 beispielsweise haben 17 von den damals 20 Kühen bei der ersten Besamung aufgenommen. Seit zwei Jahren hat er einen Stier in der Herde und setzt auf saisonale Abkalbung. Die Kühe kalben im März ab. Die Arbeit im Winter sei damit einfach "ringer", sagt er. Melkferien bedeute gleichzeitig mehr Lebensqualität. Der Bestand ist gemischt mit einigen milchbetonten Tieren. Zuchtziel ist exterieurmässig eine mittelrahmige und langlebige Weidekuh. Nicht immer sei er kon­sequent, gibt Hess zu und schmunzelt. So habe er sich zur Heutrocknung einen mit Heizöl betriebenen Warmluftofen angemietet. Das koste ihn jährlich 1500 Franken. Dafür habe er nun junges Heu in Top-Qualität.

 

Anspruchsvolle Produktionsart

"Die Produktion von NOP-anerkannter Milch ist sehr anspruchsvoll", schreibt "Bio aktuell". In der Tat: Für diese Produktion dürfen keine Antibiotika in der milchproduzierenden Herde eingesetzt werden. Vor der Umstellung darf bereits während der letzten zwölf Monate kein Antibiotikum eingesetzt worden sein. Eine Hintertür, um den Tierschutz
zu gewähren, bleibt. Ein Tier, das mit Antibiotika (AB) behandelt wurde, muss "einfach" für immer aus der Herde entfernt werden. Und zwar spätestens zwei Wochen nach der letzten Behandlung mit AB. Die Kontrolle ist in die allgemeine Biokontrolle integriert. aem
Infos: www.bio-inspecta.ch

 

Tag der offenen Hoftüren auf dem Bendlihof am 2. Juni, im ­Rahmen der nationalen Kampagne. Rahmenprogramm mit modell­spielland32.ch. 10 bis 17 Uhr.