Für Hans Romang vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) «passt es», das neue Jagdgesetz, das seit Februar in Kraft ist. Anders sehen das der Biologe Marcel Züger, der Schaf- und Herdenschutzhundezüchter sowie Präsident von Schafe Schweiz Martin Keller, der Nationalrat und Präsident des Schweizer Bauernverbands (SBV) Markus Ritter, und Christine Cavalera, Verantwortliche Herdenschutz im Kanton Wallis. Das Gesetz sei gut, aber noch lange nicht ausreichend. Daher werden Anpassungen gefordert. Dies wurde klar, als der Landwirtschaftliche Klub der Bundesversammlung zu einem ersten Fazit einlud. Auch wenn Themen wie Biber und Wildschweine angeschnitten wurden, lag der Fokus der Veranstaltung klar auf dem Umgang mit dem Wolf

Bedingungen für einen Abschuss sind immer noch zu streng

Das überarbeitete Jagdgesetz und die entsprechend angepasste Jagdverordnung sollen den Kantonen mehr Kompetenzen und Handlungsspielraum ermöglichen. Auch die präventive Regulation der Grossraubtiere ist nun erlaubt. Zwar sei das Verfahren zur Abschussbewilligung optimiert worden, schreibt der Schweizer Bauernverband (SBV) in einer Mitteilung, dennoch bleibe es oft langwierig, wird bemängelt. Weiter heisst es: «Zudem zeigen die Erfahrungen, dass die Bedingungen für einen Abschuss immer noch zu restriktiv sind.»

Der Schweizer Bauernverband fordert den Ständerat weiter auf, am 25. September die beiden Motionen «Abschüsse von Wölfen in Jagdbanngebiete ermöglichen» und «Im Rudel lebender Problemwolf. Handeln muss möglich sein!» zu unterstützen.

Die Population steigt exponentiell an

Laut Kora-Monitoring lebten im vergangenen Jahr über 300 Wölfe in der Schweiz. In ganz Europa sind es über 55 000 Tiere. «Heute haben wir hier 35 Rudel», zeigte Hans Romang auf. Diese Zahl sei stabil, «mit leichtem Trend nach unten». Darin eingerechnet seien diejenigen Rudel, die sich in Grenznähe aufhalten und mal hier und mal ennet der Landesgrenze unterwegs sind. Da die jährliche Wachstumsrate der hiesigen Wolfspopulation bei über 50 % liegt, nimmt deren Zahl exponentiell zu.

Jagen die Wölfe im Rudel anders?

Daher wurde bereits 2023 mit der Regulierung begonnen. Die Angriffe auf Nutztiere haben seitdem leicht abgenommen, darin sind sich die Referenten einig. Dies hänge laut Hans Romang einerseits mit dem vermehrten Herdenschutz zusammen. Andererseits sei aber auch die vermehrte Rudelbildung mit ein Grund.

Wolfsrudel hätten andere Möglichkeiten zur Jagd. «Deshalb haben sie eher die Tendenz, sich von Nutztieren fernzuhalten, insbesondere wenn sie auf Schutz treffen», erklärte er. Einzelwölfe hingegen würden eher Jagd auf einfach zu erbeutende Tiere wie kleinere Nutztiere machen. Dieser Meinung widerspricht der Biologe Marcel Züger. Es gebe keine wissenschaftlichen Belege dafür. Vielmehr hätten Rudel mehr Zeit, um sich auch ausgeklügelten Herdenschutzmassnahmen anzupassen und diese zu übergehen. Zur Veranschaulichung: ein einziger Wolf benötigt pro Jahr rund 1600 Kilogramm Fleisch (Lebendgewicht).

«Die Wölfe scheinen die Jagdstrategie geändert zu haben.»

Laut Biologe Marcel Züger werden weniger Tiere auf der Weide getötet, dafür Einzeltiere aus Herden mitgenommen.

Ob die tieferen Risszahlen denn nicht auch im Zusammenhang mit vorzeitigen Abalpungen stehen könnten, wollte Ernst Wandfluh, Nationalrat und Bergbauer wissen. Aus dem Stegreif konnte Hans Romang diese Frage jedoch nicht beantworten. Als Fazit seines Referats betonte der Bafu-Mitarbeiter, dass sich das angepasste Jagdrecht bewähre. Aus Sicht des Bundesrats solle es zuerst überall umgesetzt und vollzogen werden, bevor Anpassungen zur Diskussion stünden.

«Die Wölfe scheinen die Jagdstrategie geändert zu haben»

Auch hier ist Marcel Züger anderer Meinung: «Eile ist geboten, das Gesetz nachzuschärfen.» Er rechnet für dieses Jahr mit einer Zunahme der Risse, da die Wölfe in den vergangenen zwei Jahren gelernt hätten, die Herdenschutzmassnahmen zu umgehen. Zugenommen hätten heuer auch die vorzeitigen Abalpungen. Hingegen wurden insgesamt weniger Schafe gealpt. Und: «Die Wölfe scheinen die Jagdstrategie geändert zu haben. Sie töten weniger auf der Weide, sondern nehmen Einzeltiere mit und verzehren diese irgendwo.» Diese Tiere gelten als verschollen und würden nicht als Riss gezählt. Darunter leide die Vergleichbarkeit der Risszahlen, hielt er fest.

Bei der Wirkung der Regulation hat Marcel Züger festgestellt: «Wenn Leittiere entnommen wurden, dann nahmen die Risse ab.» Dies widerspreche der Meinung, «Rudelregulationen seien kontraproduktiv». Erkenntnisse aus Frankreich würden jedoch zeigen, dass jede Verstärkung des Managements, ob stärkere Bejagung oder Intensivierung beim Herdenschutz, nur etwa für ein bis zwei Jahre einen Effekt zeige. Danach passen sich die Wölfe wieder an und es brauche eine weitere Steigerung der Massnahmen – sonst würden die Schäden wieder zunehmen. Und das scheine sich heuer zu bewahrheiten. Das seit 2023 angewandte Management verliere die Wirkung, ist Züger überzeugt.

Züger plädiert für eine Bestandesobergrenze

Wolfsschäden entstehen aber nicht nur durch Risse an Nutztieren. Auch die Kulturlandschaft mit ihrer Artenvielfalt und der Tourismus seien in Gefahr, warnt der Biologe. Mit dem jetzigen Wolfsmanagement könne die Kulturlandschaft der Alpen nicht aufrechterhalten werden. Denn Herdenschutzmassnahmen hätten auch Kollateralschäden zur Folge.

Zäune sind für andere Wildtiere ein Wanderhindernis, sie können stranguliert werden oder durch Stromschlag ums Leben kommen. Die Anwesenheit von Herdenschutzhunden bedeute insbesondere in der Brut- und Setzzeit eine empfindliche Störung und Gefahr. Und nicht zuletzt störe die Präsenz von Menschen in den letzten störungsarmen Gebieten, verbunden mit Lärm und Lichteffekten in der Nacht, alle anderen Tiere. Marcel Züger plädiert dafür, eine Bestandesobergrenze von fünf bis höchstens 12 unauffälligen Rudeln einzuführen.

2026 ist das UNO-Jahr der Weiden und Hirten

Zum Schluss machte Markus Ritter klar, dass die UNO das Jahr 2026 zum «Internationalen Jahr der Weiden und Hirten» erkoren habe. «Es ist auch daher von grosser Bedeutung, dass das Jagdgesetz angepasst wird», betonte er.

«Gut» ist nicht gut genug
Kommentar
Die Alpwirtschaft gehört zur Schweiz wie der Wein zu Frankreich und die Fischerei zur Nordsee. Verschwindet sie, hat alles «typisch Schweizerische» jeden Kontakt zu den Wurzeln verloren. Schwingen, Jodeln, Trachten, Hobelkäse – alles nur noch Theater, Show, höchstens Nostalgie. Und die alpinen Ökosysteme stünden vor der grössten Umwälzung seit dem Ende der Eiszeit. Eigentlich alarmierend also, wenn ein Schweizer Bauernverband in einer Mitteilung trocken vermerkt: «…dann wird die Sömmerung von Nutztieren in verschiedenen Alpregionen nicht mehr möglich sein.» Es scheint mittlerweile nicht mehr ausgeschlossen, dass die staatlich protegierte Rückkehr der Grossraubtiere in den Alpenraum zum weiträumigen Zusammenbruch der über Jahrtausende gewachsenen Alpwirtschaft führen wird. Es ist die Logik des Politikers: Wichtig ist stets, dass es «in die richtige Richtung geht», dass jemand «aktiv wird», dass Anliegen «ernst genommen» und «Zeichen gesetzt» werden. Noch wichtiger natürlich, dass alle Instanzen angehört, alle Regeln eingehalten, allen Prozessen gefolgt wird. Die Wirklichkeit richtet anders: Das Raubtier, das nichts fängt, hat nicht weniger, es hat nichts. Wird das Ziel verfehlt, war alle Anstrengung umsonst. Wenn es wegen der Wölfe nicht mehr möglich ist, seit Jahrhunderten bestossene Alpweiden zu bewirtschaften, haben alle Gesetze und Verordnungen versagt – ganz gleich, ob sie «gut» waren oder nicht.[IMG 2]