«Die Kuh ist keine Klimakillerin» – wie oft hat man diesen Satz schon aus Landwirtschaftskreisen gehört. Meist wird damit argumentiert, dass die Wiederkäuer Teil des natürlichen Kohlenstoffkreislaufs sind und nur das freisetzen, was Pflanzen zuvor gespeichert haben. Dies im Gegensatz zu fossilem Methan, das aus dem Untergrund stammt und daher als klimaerwärmender gilt. Die neue Argumentation des Schweizer Bauernverbands (SBV) ist weniger eingängig, markiere aber einen «Wendepunkt in der Debatte».
Langlebigkeit einberechnen
[IMG 2]Kurz gesagt geht es darum, wie lange ein Treibhausgas seine klimaschädliche Wirkung entfaltet. Methan ist kurzzeitig um ein Vielfaches klimaschädlicher als CO2, verweilt aber im Gegensatz zum langlebigen Kohlendioxid nur rund zwölf Jahre in der Atmosphäre. Somit kann sich ein ungefähres Gleichgewicht einstellen zwischen Emissionen und natürlichem Abbau von Methan . Um die Wirkung dauerhafter Veränderungen – also von Klimaschutzmassnahmen – zu messen, muss die unterschiedliche Langlebigkeit vom Treibhausgasen berücksichtigt werden. Wie Selina Fischer, die beim SBV im Bereich Energie und Umwelt arbeitet, in ihrem Bericht ausführt, geschieht das heute beim Umrechnen der Treibhausgase in das Vergleichsmass CO2-eq – z. B. für das Schweizer Treibhausgasinventar – nicht.
Mit angepasster Berechnung resultiert, dass die Klimawirkung der Methanemissionen für das Jahr 2021 nur 0,6 Millionen t CO2-eq* statt 4,3 Millionen t CO2-eq entspricht (der * steht für die andere Berechnungsweise). Methan, das vor allem aus der Tierhaltung stammt, ist demnach mehr als 7,6-mal weniger klimaschädlich, als die bisherige Rechnungsweise suggeriert. Daraus gilt es nun die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Die Wirkung anders berechnen
Heute wird in der Regel für die Umrechnung der Klimawirkung verschiedener Treibhausgase auf CO2-eq als Vergleichsmass die Berechnung GWP100 verwendet. Die Abkürzung steht für das globale Klimaerwärmungs-Potenzial (Global Warming Potential) im Zeitraum über 100 Jahre. Für kurzlebige Gase funktioniert das nur bedingt, da sie sich wie z. B. Methan innerhalb von weniger als 100 Jahren in der Atmosphäre wieder abbauen können. Es kommt also, anders als bei langlebigen Treibhausgasen, nicht auf eine ausgestossene Menge an, die für «immer» in der Atmosphäre bleibt, sondern vielmehr auf das Gleichgewicht zwischen Emissionen und Abbau.
Diesem Umstand trägt das GWP* Rechnung, das mit einem zusätzlichen Faktor in der Berechnung unter anderem die Lebensdauer einer Substanz in der Atmosphäre berücksichtigt.
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Lachgas wird wichtiger
Gemäss dem aktuellen Treibhausgasinventar ist die Landwirtschaft für 14,3 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in der Schweiz verantwortlich. Doch dabei geht es nicht um absolute Mengen, sondern um die klimaschädigende Wirkung. Unter Berücksichtigung der Kurz- und Langlebigkeit dank neuer Berechnungsweise kommt es innerhalb der landwirtschaftlichen Emissionen bezüglich Klimawirkung jedoch zu einer Verschiebung: Methan sinkt von 72 auf rund 26 Prozent, dafür nimmt Lachgas von 27 auf 72 Prozent zu. Lachgasquellen sind laut Agrocleantech in erster Linie das Hofdüngermanagement und die Bodenbewirtschaftung. Ineffizienter Stickstoffeinsatz (z. B. durch Überdüngung) und Bewirtschaftungsfehler wie das Schaffen von Verdichtungen im Boden wären somit eher als Klimakiller zu bezeichnen als die oft beschuldigten Kühe.
Sollte man sich nun also darauf konzentrieren, die landwirtschaftlichen Lachgas-Emissionen zu reduzieren? Schliesslich gilt die Landwirtschaft bei diesem starken und langlebigen Treibhausgas als Hauptemittentin. Selina Fischer relativiert: «Bedeutend ist, dass der Klimawandel die Landwirtschaft stark betrifft.» Daher seien seit Jahren entsprechende Bemühungen zur Reduktion verschiedener Klimagase unternommen worden. «Zudem sind wir an einem Zeitpunkt angelangt, an dem es wichtig ist, die Bemühungen zur Reduktion aller Treibhausgase in allen Sektoren weiterzuführen und zu verstärken.»
Kühlenden Effekt nutzen
Methan hat gegenüber CO2 den Vorteil, dass eine Emissionsreduktion nicht nur die bestehende Erwärmung des Klimas stabilisiert, sondern bei einer ausreichend grossen Reduktion sogar einen kühlenden Effekt hat. Um das zu nutzen, schlägt Selina Fischer insbesondere vor, auf Biogasanlagen zu setzen. Dort wird beim Vergären freigesetztes Methan gesammelt und energetisch genutzt, statt dass es als klimaschädigendes Treibhausgas in die Atmosphäre entweicht. Zur Reduktion von Lachgas ist es wichtig, Dünger gezielt einzusetzen – sowohl in der richtigen Menge als auch was den Zeitpunkt der Ausbringung angeht –, den Pflanzenbau z. B. durch die Nutzung von Fruchtfolgeeffekten an den Standort anzupassen und den Boden nur bei geeigneten Bedingungen zu befahren.
Ob ein deutlicher Ausbau bei den Biogasanlagen gelingt, bestimmen baldige Weichenstellungen in der Politik. «Es werden zurzeit diverse Geschäfte im Parlament behandelt, die entscheidend für den Ausbau erneuerbarer Energien sind», sagt Selina Fischer. Allen voran wird im Herbst der Mantelerlass verabschiedet, der bessere Fördermittel für neue und bestehende Biogasanlagen sowie raumplanerische Vereinfachungen für Neubauten verspricht. «Grundsätzlich sind Biogasanlagen eine Win-Win-Situation für alle», ist Fischer überzeugt. Denn sie bedeuten Umweltschutz, produzieren erneuerbare Energie, schliessen Kreisläufe und ermöglichen die Diversifizierung von Landwirtschaftsbetrieben.
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Methanreduktion ist notwendig
Der Bericht illustriert das Prinzip unterschiedlich langlebiger Treibhausgase mit einem Wasserfass: Oben läuft aus einem Hahn Wasser hinein, das unten wieder abläuft. Es steht für das kurzlebige Methan, das hauptsächlich während rund 20 Jahren in der Atmosphäre das Klima erwärmt. Davon kann stetig gleich viel emittiert werden (Wasserfluss aus dem Hahn). Solange der Abfluss den Pegel im Fass stabil hält, erwärmt sich das Klima nur wenig zusätzlich. Wegen Rückkoppelungseffekten stellt sich aber trotz des kontinuierlichen Abbaus kein Gleichgewicht ein, wie es in einem echten Wasserfass der Fall wäre. Das bedeutet laut neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass eine durchschnittliche Reduktion von etwa 0,3 Prozent des Methanausstosses pro Jahr notwendig ist. Erst dann ist die «Methan-Neutralität» erreicht. «Der Kreislauf des biogenen Methans ist nicht gleich Neutralität. Wir haben schon einiges erreicht, aber es liegt noch Arbeit vor uns», stellt Selina Fischer klar.
CO2 ist im Gegensatz zu Methan langlebiger, es reichert sich daher an und bleibt über Jahrhunderte in der Atmosphäre. Man stellt das CO2 als Steine dar: Im Fass erhöhen sie den Wasserpegel und müssen aktiv entfernt werden, um ihn wieder zu senken
Im Einklang mit dem Konsum
Auch eine Reduktion des Tierbestands würde die Methanemissionen reduzieren. Eine altbekannte Forderung der «Kuh ist Klimakillerin»-Diskussion. Zwar sollte die Landwirtschaft jedes Potenzial zur Treibhausgas-Reduktion nutzen, findet Selina Fischer. Die Nahrungsmittelproduktion dürfe dadurch aber nicht eingeschränkt werden: «Wesentliche Veränderungen müssen stets im Einklang mit dem Konsummuster der Bevölkerung geschehen», ergänzt sie. Ansonsten würden Emissionen lediglich ins Ausland verschoben, «und das bringt dem Klima leider nicht viel».