Norwegen ist für seine atemberaubenden Fjorde, majestätischen Berge und die spektakulären Nordlichter bekannt. Doch hinter dieser dramatischen Naturkulisse verbirgt sich auch eine weniger bekannte, aber ebenso faszinierende Seite des Landes: die Landwirtschaft, insbesondere die Milchproduktion und die Zucht des Norwegischen Rotviehs. All dies entdeckten und erlebten die Teilnehmenden während einer viertägigen Reise, die vom Lely Center in Härkingen organisiert und durchgeführt wurde. VIele reizte es, ein Land zu besuchen, dessen Landwirtschaftsbetriebe ähnliche Strukturen aufweisen wie jene in der Schweiz, das sich aber doch unter anderem klimatisch stark unterscheidet.
Vergleichbare Zahlen
Auch in Norwegen werden Rinder und Kühe während ein bis drei Monaten auf höher gelegenen Sömmerungsweiden gehalten. Die Landwirtschaft wird vom Staat unterstützt, die klimatischen und topografischen Gegebenheiten machen die Konkurrenz mit dem Weltmarkt schwierig. Die Vegetationszeit dauert von Mai bis Oktober. Diese kurze Dauer und das kühlere Klima lassen die Maisproduktion nur an sehr wenigen Standorten zu und auch Raigras ist nur wenig in den Grünflächen zu finden. Vergleicht man die Zahlen zur Landwirtschaft in Norwegen mit jenen der Schweiz, zeichnet sich ein ähnliches Bild ab: In Norwegen gibt es noch 37 500 Landwirtschaftsbetriebe, in der Schweiz sind es rund 47 700 Betriebe. In Norwegen werden rund 200 000 Milchkühe gehalten, die 1,4 Milliarden Kilogramm Milch produzieren. Im Durchschnitt werden 30 Kühe pro Betrieb gehalten und die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche macht nur knapp 3 % der Landesfläche aus, also 882 200 ha. Davon ist ein Viertel reine Weidefläche. In der Schweiz werden 530 000 Milchkühe gehalten, mit denen 3,7 Milliarden Kilo Milch produziert werden. Eine Herde zählt im Durchschnitt ebenfalls 30 Kühe und die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche beträgt 1 042 000 ha.
Der Betrieb Westby
Schon am Flughafen in Zürich machte sich die Spannung auf Norwegen und die dortige Landwirtschaft bemerkbar. Auf den Betrieben einiger Teilnehmender bestehen denn auch züchterische Verbindungen nach Norwegen, da mit Genetik des Norwegischen Rotviehs gearbeitet wird. Das Ursprungsland dieser Genetik, die im eigenen Stall steht, kennenzulernen, zog viele auf diese Fachreise.
Mit dem Besuch des Betriebs von Familie Westby in Auli im Südosten Norwegens wurde ein Betrieb mit 85 ha und 60 Holsteinkühen vorgestellt. Damit ist dieser vergleichsweise grösser und zugleich auch intensiver geführt, als dies in Norwegen üblich ist.
Die Fütterung der Kühe besteht aus Grassilage und Kraftfutter. Während der Vegetationszeit stehen den Tieren noch 10 ha Weideland zur Verfügung, das sie permanent aufsuchen können, doch 90 % des Futters werden im Stall aufgenommen.
Betriebsleiter Bjørn Westby ist stolz auf den Stalldurchschnitt von 11 000 l Milch mit 4,71 % Fett und 3,66 % Eiweiss. In dieser Region können maximal drei Schnitte realisiert werden. Die Kühe werden mit gesextem Sperma von Norwegisch-Rotvieh-Stieren besamt oder mit Blonde d’Aquitaine.
Ohne Zaun auf der Weide
Die Jungtiere sind während der ganzen Vegetationszeit auf der Weide, dabei wird mit dem No-Fence-System gearbeitet. Es dauert nur zwei Wochen, bis die Tiere das System kennengelernt haben und damit umgehen können. Die Vorteile sind für Bjørn Westby klar: Er hat viel weniger Arbeitsaufwand und benötigt weniger Zaunmaterial. Zudem werden die Tiere über GPS konstant überwacht. Daher weiss er immer, wo sich seine Tiere aufhalten. Weiter zeichnet das System auf, wo die Tiere vermehrt liegen und wo sie bereits gefressen haben. Da es in dieser Gegend viele Elche gibt, muss Westby nun keine kaputten Zäune mehr reparieren, die vom Wild zerstört wurden.
No Fence ist eine Firma aus Norwegen, die ein virtuelles Zaunsystem entwickelt hat. Dieses funktioniert so, dass jedes Tier einen Sender um den Hals trägt. Mit einer App kann ein virtueller Zaun eingezeichnet werden. Nähern sich die Tiere dieser virtuellen Abgrenzung, gibt der Sender verschiedene Töne von sich. Insgesamt sind es acht verschiedene Töne, die wechseln, je näher sich das Tier an die Grenze bewegt. Falls das Tier nach diesen akustischen Signalen nicht zurückgeht und die Abgrenzung übertritt, wird ein elektrischer Impuls gegeben. Das Tier lernt dann, die akustische Warnung zu erkennen, und dreht sich um, um dem elektrischen Impuls auszuweichen. Das System wird bereits in mehreren Ländern eingesetzt. In Norwegen arbeiten bereits 5000 Betriebe mit dem System. In der Schweiz wurden erste Versuche durchgeführt.
Der Genetik auf der Spur
Auch ein Besuch bei der Zuchtorganisation Geno stand auf dem Lely-Reiseplan. Geno spezialisiert sich schon viele Jahrzehnte auf die Zucht und Vermarktung des Norwegischen Rotviehs, das seit 1935 gezüchtet wird. Aktuell beträgt die gesamte Population rund 180 000 Tiere. 85 % der Milchkühe in Norwegen gehören dieser Rasse an. Sie wird ausserhalb von Norwegen vor allem in Rotationskreuzungssystemen eingesetzt, um ihre guten Fitnessmerkmale einzubringen.
Eine durchschnittliche Rotviehkuh wiegt 610 kg, hat ein Stockmass von 137 cm und eine Milchleistung von 8600 l mit 4,34 % Fett und 3,52 % Eiweiss. Besonders zeichnet sich die Rasse in ihren Fitnessmerkmalen aus. Dies ist auf die langjährige Zuchtstrategie zurückzuführen, denn bereits 1975 erhielt jede Kuh ihre eigene Gesundheitskarte, auf der die Behandlungen vermerkt wurden. Damals wie heute werden die Behandlungen ausschliesslich von Tierärzten durchgeführt, was auch die Sicherheit der Daten garantiert.
Durch diese strikte Aufzeichnung wurden über Generationen Tiere gezüchtet, die eine gute Gesundheit aufweisen. Die durchschnittliche Zellzahl aller Rotviehkühe in Norwegen beträgt 113 000 und ist damit eher tief. Weiter haben nur 6,6 % der erstlaktierenden Kühe und 16,6 % der mehrlaktierenden Kühe eine Mastitis. Diese beiden Werte zusammen zeigen eine gute Eutergesundheit über die ganze Rasse.
Kraftfuttereinsatz fällt auf
Die Reisegruppe besuchte verschiedene Betriebe, die vorwiegend Norwegisches Rotvieh halten. Vereinzelt werden Jerseys gehalten oder mit Holsteintieren eingekreuzt. Die Fütterung besteht immer aus Grassilage und Kraftfutter. Nur auf einem Betrieb kann Mais angebaut werden.
Die Tiere haben auf allen besuchten Betrieben Zugang zu einer Weide, aber der Hauptanteil der Ration wird auf allen besuchten Betrieben im Stall gefressen. Aus Schweizer Sicht ist der hohe Kraftfuttereinsatz von 22 bis 30 kg pro 100 kg Milch auffällig. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Kraftfutter in Norwegen vom Staat subventioniert wird, um allen Bauern die gleichen Möglichkeiten zu schaffen. Die Ställe sind alle so gebaut, dass sie im Winter komplett geschlossen werden können, um die Temperaturen von minus 20 Grad unbeschadet zu überstehen. Aktuell werden in Norwegen 53 % der Kühe mit einem Melkroboter gemolken.
Eine interessante Reise
Die Reisegruppe hatte eine gute Gelegenheit, nicht nur die norwegische Landwirtschaft kennenzulernen, sondern auch das Land selbst sowie dessen Kultur und die typischen Speisen. Ein Höhepunkt war die Skisprungschanze in Lillehammer, wo gerade die norwegische Nationalmannschaft trainierte. Und ein weiteres Mal ging es hoch hinaus: Die Reisenden schliefen zwei Nächte im höchsten Holzhotel der Welt, das malerisch am längsten See Norwegens liegt. Dieser verführte am Ende sogar einige Unerschrockene zu einem Bad.
