Seit Ende März ist die erste Untersuchungsperiode des schweizweiten Bekämpfungsprogramms der Moderhinke abgeschlossen (wir berichteten). Im Interview ziehen Camille Luyet, Projektverantwortliche beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), und der Berner Kantonstierarzt Reto Wyss Bilanz. Mit mehr als 70 000 Schafen werden im Kanton Bern weitaus am meisten Schafe gehalten.
Frau Luyet, können Sie uns eine kurze Zusammenfassung geben, wie weit man mit der Sanierung bereits ist?
Camille Luyet: Während der ersten Untersuchungsperiode wurden 12 432 Schafbetriebe in der Schweiz kontrolliert. Von diesen wurden 11 000 Betriebe beprobt. Davon waren 2250 positiv, der Rest war negativ. Das heisst, wir hatten nach der ersten Beprobung eine initiale Prävalenz von 20,4 % – dies haben wir in etwa erwartet. Am Ende der Untersuchungsperiode hatten wir noch eine Prävalenz von 12 %. Diese Zahl wird weiter sinken, denn einige Betriebe sind noch in der Sanierung.
Somit wurden die Erwartungen des Bekämpfungsprogramms erfüllt?
Camille Luyet: Ja, man kann durchaus sagen, dass dies ein erfolgreicher Anfang ist. Ich möchte auch betonen, dass wir diesen Erfolg insbesondere der guten Kommunikation und der engen Zusammenarbeit mit den Veterinärdiensten, den Tierärzten, der Schafbranche sowie weiteren Akteuren wie den Laboren und Fachspezialisten zu verdanken haben.
Herr Wyss, wie beurteilen Sie die Mitmachbereitschaft der Schafhaltenden im Kanton Bern?
Reto Wyss: Die meisten Schafhalter(innen) beurteilen das Bekämpfungsprogramm positiv und machen engagiert mit. Insbesondere Betriebe, die jahrelang Probleme mit Moderhinke in ihrem Schafbestand hatten und nun erfolgreich saniert haben, stellen deutliche Verbesserungen fest. Sie haben gesündere Schafe, weniger Aufwand bei der Klauenpflege und weniger Behandlungskosten oder Verluste durch schwere Lahmheiten.
Welches sind die häufigsten Fehler, die in Bezug auf die Sanierungsmassnahmen gemacht werden?
Reto Wyss: Bei zwei Dritteln der von Moderhinke betroffenen Betriebe im Kanton Bern ist die Sanierung im ersten Anlauf gelungen. Auf sämtlichen anderen betroffenen Betrieben hat das Berner Amt für Veterinärwesen in Zusammenarbeit mit Moderhinke-Beratern Betriebsbesuche durchgeführt, um gemeinsam mit den Tierhaltenden die Ursachen für den Misserfolg zu eruieren. Häufigster Fehler ist ein ungenügender Klauenschnitt. Weiter wurde öfters festgestellt, dass deutlich an Moderhinke befallene Tiere nicht separiert und intensiver kontrolliert wurden. Während der Sanierung ist es wichtig, dass die Betriebsabläufe konsequent auf die Behandlung ausgerichtet werden.
Und was sind die Hauptgründe, dass immer noch Betriebe positiv sind?
Reto Wyss: Die Beprobungsphase dauerte bis zum 31. März. Es liegt in der Natur der Sache, dass spät beprobte Betriebe nun noch am Sanieren sind. Weiter hat es Betriebe, bei denen die Sanierung nicht auf Anhieb gelungen ist. Dies hätte sich wohl in vielen Fällen verhindern lassen, wenn bereits zu Beginn der Sanierung ein Moderhinke-Berater auf dem Betrieb hinzugezogen worden wäre.
Konnte dank der Sanierung bereits ein Rückgang des Antibiotika-Verbrauchs festgestellt werden?
Camille Luyet: Die Schafhalter haben bereits zuvor vorwiegend mit Klauenbädern saniert und nicht immer Antibiotika eingesetzt.
Reto Wyss: Dazu liegen noch keine Daten vor. Rückmeldungen von Schafhalter(innen) sowie Tierärzt(innen) zeigen aber, dass durch die Verbesserung der Herdengesundheit nach einer Moderhinke-Sanierung insgesamt weniger Antibiotika zum Einsatz kommen, da die Tiere dank weniger Stress und Schmerzen auch weniger anfällig für andere Krankheiten wie Euterentzündungen oder Aborte sind, die ebenfalls oft mit Antibiotika behandelt werden müssen.
«Drei tragende Säulen sind Klauenbad, Schnitt und Biosicherheit.»
Camille Luyet, Projektverantwortliche für das Thema Moderhinke beim BLV
Die Bekämpfung dauert fünf Jahre. Und was dann? Wie wird auch im Anschluss dafür gesorgt, dass der Anteil an positiven Betrieben so tief bleibt?
Camille Luyet: Derzeit erarbeiten wir einen Lösungsvorschlag, um die Prävalenz auch nach Abschluss des Bekämpfungsprogramms unter einem Prozent zu halten. Ein plötzlicher Anstieg – etwa auf 20 % – ist nicht zu erwarten, solange Biosicherheitsmassnahmen und Tierverkehrsregelungen eingehalten werden.
Wo liegen bei der Biosicherheit die grössten Schwachstellen auf den Schafbetrieben?
Reto Wyss: Das grösste Risiko besteht beim Verstellen von Tieren zwischen den Betrieben, also beim Tierverkehr. Schon durch das vorübergehende Einstellen oder den Zukauf eines Schafbocks kann der Erreger eingeschleppt werden. Entsprechend sind vor der Aufnahme fremder Schafe in den Betrieb eine Klauenkontrolle und ein Klauenbad zu machen. Idealerweise werden fremde Schafe erst in die eigene Herde integriert, nachdem während einer Quarantäne festgestellt wurde, dass sie gesund sind.
Europa wird aktuell von verschiedenen Tierseuchen heimgesucht. Hoffen Sie, sich durch die Sensibilisierung auf die Biosicherheit auch für anderweitiges Seuchengeschehen vorzubereiten?
Camille Luyet: Ja, ich denke, dies spielt eine sehr grosse Rolle. Die Grundprinzipien der Biosicherheit sind bei vielen Tierseuchen ähnlich. Insofern trägt die Bekämpfung der Moderhinke dazu bei, die Schafhaltenden, Veterinärdienste und weitere Akteure nochmals für die Biosicherheit zu sensibilisieren und vorzubereiten.
Für die Moderhinke gab es während der Bekämpfungsphase in der TVD die Status «frei», «gesperrt» oder «nicht getestet». Bleibt dieser Status auch in der Zwischenuntersuchungsperiode in der TVD sichtbar?
Camille Luyet: Ja, dieser Status bleibt. Nur der Status «nicht getestet» wird nun nicht mehr gebraucht. Tritt auf einem Betrieb mit Status «frei» ein Verdachtsfall auf, muss dieser gemeldet werden. Ein amtlicher Tierarzt oder Probenehmer nimmt dann Proben und das Labor führt einen PCR-Test durch. Fällt dieser positiv aus, wird der Betrieb auf «gesperrt» gesetzt.
Einige Schafhalter kritisieren, dass nur ein Teil der Herde und nicht alle Tiere beprobt werden.
Camille Luyet: Die Beprobung ist risikobasiert. Das heisst, dass man die Tiere beprobt, die zum Beispiel schon Klauenprobleme haben, hinken oder neu in diese Herde kamen. Um gute Laborresultate zu erhalten, müssen die Risikotiere – Stichworte Lahmheit, Zukauf, Ausstellungen, Widder, schlechte Klauenqualität – richtig und konsequent ausgewählt werden. Dieses risikobasierte Beprobungsschema wird seit mehreren Jahren erfolgreich in Graubünden und Glarus angewendet.
Kann es vorkommen, dass erkrankte Tiere noch keine Lahmheiten zeigen und die Herde fälschlicherweise negativ getestet wird?
Camille Luyet: Ziel der Probenehmer ist es, auch Tiere zu beproben, bei denen erst Rötungen an den Klauen sichtbar sind. Die Probenehmer können oft frühzeitig erkennen, ob es sich um einen möglichen Moderhinke-Fall handelt. Wie zuvor erwähnt, soll der Kontrolleur Tiere auswählen, die zum Beispiel Klauenprobleme aufweisen, da diese anfälliger für Moderhinke sind.
Also werden jedes Jahr während der Untersuchungsperiode alle Betriebe angeschaut?
Camille Luyet: Ja, kontrolliert oder sogar getestet.
«Die meisten Schafhalter machen engagiert beim Programm mit.»
Reto Wyss, Berner Kantonstierarzt beim Amt für Veterinärwesen (AVET)
Ausserdem wird kritisiert, dass aktuell nur ein Mittel für das Klauenbad zugelassen ist. Sind weitere in der Überprüfung?
Camille Luyet: Desintec ist momentan das einzige Produkt für Klauenbäder, das als Biozid zugelassen ist. Wir haben auch schon andere Produkte getestet. Ein weiteres Mittel ist momentan aber leider nicht in Sicht. Neue Produktvorschläge werden wir jedoch prüfen, sobald sie vorliegen.
Darf man unterstützend auch mit Alternativmedizin arbeiten?
Camille Luyet: Klauenbäder mit Desintec müssen auch von weiteren Massnahmen begleitet werden. Es braucht einen sehr guten Klauenschnitt, dies bestätigt auch die Schafbranche. Man darf unterstützend auch mit Homöopathie, pflanzlichen Mitteln oder anderen Pflegeprodukten arbeiten. Aber die drei tragenden Säulen einer erfolgreichen Sanierung sind das Klauenbad mit Desintec, die Biosicherheit und der Klauenschnitt.
Auch Ziegen können an Moderhinke erkranken. Müssen Schafhalter bei einem positiven Testergebnis auch ihre Ziegen sanieren?
Reto Wyss: Da auch Ziegen als Überträger des Moderhinke-Erregers infrage kommen, müssen sie ebenfalls in die Sanierung einbezogen werden. Ziegen von wegen Moderhinke gesperrten Betrieben dürfen ebenfalls nicht verstellt oder in die Sömmerung gegeben werden.
Für die Sömmerung von Schafen gibt es nun Einschränkungen. Damit es nicht zu Reinfektionen auf den Alpen kommt, dürfen nur Schafhaltungen mit dem Moderhinke-Status «frei» gesömmert werden. Gibt es Ausnahmen?
Camille Luyet: Unter strengen Auflagen kann der Kantonstierarzt eine Bewilligung für eine Sömmerung mit dem Status «gesperrt» erteilen. Auf eine solche Sömmerung dürfen dann bestimmte gesperrte Betriebe ihre Tiere bringen – allerdings nur unter klar definierten Bedingungen.
Wie muss ein Schafhalter von einem gesperrten Betrieb vorgehen, damit er ein Gesuch für seine Tiere einreichen kann?
Camille Luyet: Er muss sich beim kantonalen Veterinärdienst melden. Der Kantonstierarzt wird von Fall zu Fall die Situation analysieren und schauen, ob er auf eine gesperrte Alp gehen kann oder nicht.
Wie viele Alpungs-Gesuche wurden im Kanton Bern bereits eingereicht?
Reto Wyss: Im Kanton Bern wurde noch kein Gesuch für eine Ausnahmebewilligung für die Sömmerung von Schafen aus Moderhinke-gesperrten Betrieben eingereicht. Im Vordergrund steht weiterhin die Sanierung aller Betriebe, die 2025 ihre Schafe in die Sömmerung geben wollen. Ein Grossteil der Betriebe hat dieses Ziel bereits erreicht oder steht kurz vor dem Abschluss der Sanierung.
Wie lange dauert es ungefähr, bis ein Gesuch bewilligt oder abgelehnt wird? Welche Frist wird im Gesuch empfohlen?
Reto Wyss: Der Alpbewirtschafter muss zuerst ein Gesuchformular beim Amt für Veterinärwesen anfordern. Es sind detaillierte Angaben zu den einzelnen Bestössern, zur Organisation der Alpauf- und abfuhr, zur Topografie, den angrenzenden Alpen, zur Umzäunung und zur Klauenpflege und -behandlung erforderlich. Das Gesuch muss spätestens einen Monat vor Alpauftrieb per Post oder E-Mail beim Amt für Veterinärwesen eingereicht werden.
In welchen Fällen oder Situationen könnte ein Gesuch bewilligt werden?
Reto Wyss: Zum Schutz der Moderhinke-freien Alpen können Ausnahmebewilligungen für die Sömmerung von Tieren aus gesperrten Tierhaltungen nur sehr restriktiv erteilt werden. Voraussetzung ist, dass die Alpbewirtschafterin oder der Alpbewirtschafter nachweisen kann, dass für andere Schafe keine Gefahr einer Ansteckung besteht und dass Massnahmen zur Gewährleistung des Tierwohls und zum Schutz der Wildtiere getroffen werden. Die Bestösser müssen zudem früh genug ihren Bestand beprobt und alles Erforderliche für eine rechtzeitige Sanierung unternommen haben.
Was sind die Regelungen für Viehschauen und Märkte?
Camille Luyet: Wie auch Sömmerungen haben Märkte und Ausstellungen ihre eigene TVD-Nummer. Alle Märkte und Ausstellungen haben seit anfangs April den Moderhinke-Status «frei». Dorthin dürfen nur Tiere aus «freien» Schafhaltungen gebracht werden. Die gesperrten Betriebe dürfen keinen Tierverkehr durchführen.
Weitere Informationen zur Sanierung
Zur Biosicherheit
Folgende Massnahmen empfiehlt das BLV auf seiner Webseite:
- Keine Tiere aus einer nicht sanierten Herde einführen (Kauf, Widdertausch)
- Nach Märkten, Ausstellungen und Sömmerungen: Klauenbad und Quarantäne
- Transportfahrzeuge nach jeder Benutzung reinigen und desinfizieren
- Vor und nach dem Betreten eines Stalls durch eine Externe Person Stiefel desinfizieren
- Biosicherheitsmassnahmen beim Klauenschneiden beachten
- Nur Weiden nutzen, auf denen seit mindestens vier Wochen keine fremden Schafe gehalten wurden.