Kälberiglus haben einen entscheidenden Vorteil: Sie reduzieren die Gefahr der Übertragung von Infektionserregern von einem Tier auf das andere durch fehlenden Kontakt mit Artgenossen. Das ist auch der Grund dafür, dass sich die Einzelhaltung in Iglus derart etabliert hat. Diese Haltungsform ist auch vom Bund weitgehend akzeptiert, schliesslich wird die Haltung von Kälbern in Iglus für die Umsetzung des RAUS-Programms anerkannt.
Die Tierschutzverordnung fordert allerdings in Art. 38 Abs. 3 für Kälber bis vier Monate grundsätzlich Gruppenhaltung. Im Sinne einer Ausnahme ist gemäss demselben Artikel aber die Haltung von einzelnen Kälbern in Hütten (Iglus) mit dauerndem Zugang zu einem Gehege im Freien gestattet. Als Kompensation für den fehlenden Kontakt zu den Artgenossen müsse die Haltung in Hütten daher möglichst «optimal» gestaltet werden, indem den Kälbern Sichtkontakt zu Artgenossen sowie jederzeit Zugang zu frischer Luft, Aussenklima- und Umweltreizen geboten werden, wie das zuständige Bundesamt ausführt.
Weltweit verbreitet
Die Haltung von jungen Kälbern in Einzelboxen mit oder ohne direktem Auslauf ist indes weltweit verbreitet. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) prangert die Haltungsform nun aber an. Wissenschaftliche Erkenntnisse würden zeigen, dass Kälber mit begrenztem Kontakt zum Muttertier häufig unter Isolationsstress leiden und nicht säugen könnten. «Um ihr Wohlbefinden zu verbessern, sollten die Jungtiere mindestens einen Tag lang zusammen mit dem Muttertier gehalten werden, wobei ein längerer Kontakt aufgrund der Vorteile hinsichtlich des Tierwohls sowohl für das Kalb als auch für die Kuh empfohlen wird», ist einer Mitteilung der EFSA zu entnehmen.
Die EFSA-Wissenschaftler bewerteten die in der Europäischen Union für Kälber verwendeten Haltungssysteme und ermittelten die Gefahren, denen die Tiere ausgesetzt sind, sowie die damit verbundenen Folgen für das Tierwohl. Die Bewertung liefert wissenschaftliche Ratschläge zur Unterstützung der Entscheidungsfindung durch die Gesetzgeber im Rahmen der laufenden Überarbeitung der Tierschutzgesetzgebung der Europäischen Union. Ein Legislativvorschlag der Europäischen Kommission wird voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2023 vorgelegt.
Die Europäische Kommission ersuchte die EFSA im Rahmen ihrer Strategie «Vom Hof auf den Tisch» um mehrere wissenschaftliche Gutachten zum Schutz von Nutztieren. Die EFSA hat bereits Bewertungen zum Wohlergehen von Zuchtschweinen, Masthühnern und Legehennen sowie Tieren beim Transport veröffentlicht. Derzeit sei man damit beschäftigt, Bewertungen zum Wohlergehen von Milchvieh sowie von Enten, Gänsen und Wachteln zu erfassen. Die gewonnenen Erkenntnisse dürften Einfluss auf die Gesetzgebung im Tierwohlbereich haben. Die Resultate aus den Studien sollen alsbald publiziert werden.
Höhere Tageszunahmen
Dass die Haltung von jungen Kälbern in Gruppen auch wirtschaftlich sinnvoll sein kann, zeigt eine Studie amerikanischer Forscher aus dem Jahr 2021: So erzielten Holstein-Kälber, die direkt nach der Trennung von der Mutterkuh in Gruppen gehalten wurden, sowohl vor als auch nach dem Abtränken höhere Zunahmen. In Gruppenhaltung waren die Kälber zum Zeitpunkt des Abtränkens 7,1 Kilogramm schwerer als die Tiere in Einzelhaltung, da die während der Tränkeperiode in Gruppenhaltung um 150 g höher lagen als bei einzeln gehaltenen Tieren.
KGD sieht es identisch
Der Schweizer Kälbergesundheitsdienst (KGD) teilt die Meinung der EFSA, wie Geschäftsführer Martin Kaske auf Anfrage der BauernZeitung sagt. Einerseits sollte vermieden werden, viele Kälber unterschiedlichen Alters gemeinsam in einer Gruppe aufzustallen – um die Übertragung von Krankheitserregern von bereits infizierten älteren Tieren auf die besonders gefährdeten neugeborenen Kälber zu vermeiden. Gleichzeitig aber sei die Gruppenhaltung förderlich für das Tierwohl, sagt Kaske.
«Einige Landwirte haben Bedenken.»
Martin Kaske, Geschäftsführer Kälbergesundheitsdienst.
Kleingruppen wären ideal
So seien gesunde Kälber neugierig und hätten einen ausgeprägten Spieltrieb – sie würden deshalb von einer gemeinsamen Haltung sehr profitieren. Zudem würden sich die Kälber gegenseitig bei der Futteraufnahme stimulieren – das erkläre die höheren Tageszunahmen. «Kleingruppen, das heisst die gemeinsame Haltung von zwei oder drei Kälbern, bieten die Möglichkeit, die Vorteile der Gruppenhaltung bei gleichzeitig geringer Infektionsgefahr zu nutzen», erklärt Kaske.
Inzwischen würden auf dem Markt auch unterschiedliche Kälberbuchten bzw. -iglus für die Haltung von zwei oder drei Kälbern angeboten, die den rechtlichen Vorgaben im Hinblick auf den Platzbedarf entsprechen. «Einige Landwirte haben zwar Bedenken, dass das gegenseitige Besaugen der Kälber bei Gruppenhaltung zunimmt», sagt Martin Kaske, relativiert aber, dass bei reichlicher Versorgung der Kälber mit Milch (ad libitum) und ausreichend Platz das kein wesentliches Problem darstelle.
