Auch kleine Tierchen sorgen manchmal für grosse Schlagzeilen: Im Herbst vergangenen Jahres teilte ein internationales Forschungsteam mit, dass jedes Jahr bis zu vier Milliarden Schwebfliegen wie Zugvögel zwischen Grossbritannien und dem europäischen Kontinent hin- und herpendeln. Die Wissenschaftler nutzten für ihre Studie spezielle, für die Beobachtung von Insekten ausgelegte Radargeräte.

Tonnenweise Nährstoffe

Angesichts des von der Forschung weltweit konstatierten Bienensterbens ist die Erforschung des Zugverhaltens von Schwebfliegen weit mehr als eine Spielerei von verrückten Insektenfans. Das Forschungsteam geht davon aus, dass die Tiere mit ihren Reisen zwischen Grossbritannien und Europa nicht nur tonnenweise Nährstoffe hin- und her bewegen, sondern auch Milliarden von Pollenkörnern transportieren.

«Schwebfliegen sind nebst den Bienen die zweitwichtigsten Bestäuber», sagt Myles Menz. Der gebürtige Australier war Mitglied dieser Forschungsgruppe und ist am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz (D) tätig.

Eine weitere, im Frühling 2020 publizierte Studie über die Befruchtung von 105 weltweit relevanten Nahrungspflanzen zeigt, dass Schwebfliegen mehr als die Hälfte davon besuchen und damit als Befruchter einen Wert von über 300 Milliarden Dollar pro Jahr generieren. Für die Schweiz gibt es noch keine entsprechenden Zahlen, doch auch hierzulande haben die Schwebfliegen das Interesse der Wissenschaft längst geweckt.

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Myles Menz vor der Insektenfalle auf dem Col de Bretolet. Diese ist ein exakter Nachbau der Falle aus den 1960er-Jahren, um die Vergleichbarkeit der Zahlen sicherzustellen. (Bild Mirella Wepf)

Flexible Flugkünstler

Erforscht werden sie unter anderem an der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope oder auf dem Col de Bretolet VS, wo die Schweizerische Vogelwarte eine Beringungsstation für Zugvögel betreibt. Dieser Alpenpass dient nämlich nicht nur Millionen von Vögeln als Reiseroute in ihre südlichen Winterquartiere, auch zahllose Insekten fliegen hier im Herbst Richtung Mittelmeer. Und auch sie kehren im Frühjahr wieder in den Norden zurück. Seit 2015 untersucht Myles Menz auf dem Col de Bretolet das Zugverhalten der Schwebfliegen und knüpft damit an Forschungsarbeiten aus den 60er-Jahren an.

Weltweit gibt es rund 6000 bekannte Schwebfliegenarten. Aufgrund ihrer Fähigkeit, wie ein Helikopter fix an einer Stelle zu verharren, werden sie auch Stehfliegen oder Schwirrfliegen genannt. In der Schweiz kommen insgesamt rund 450 Arten vor; rund ein Dutzend davon zählt zu den migrierenden Arten. Dazu gehört unter anderem die Mistbiene (Eristalis tenax), die ihr Larvenstadium gerne auf Bauernhöfen verbringt.

 

Vereinzelt im Treibhaus

Vereinzelt werden Schwebfliegen auch zur Bestäubung und Blattlausbekämpfung in Gewächshäusern oder auf Balkonen eingesetzt. Ein Anbieter ist z. B. die Katz Biotech AG im deutschen Baruth.

Weitere Informationen: www.katzbiotech.de

 

Tarnung als Wespe

Das Erscheinungsbild der Schwebfliegen ist sehr unterschiedlich: Manche tarnen sich als gelb-schwarz gestreifte Wespen – so etwa die weitverbreitete Hainschwebfliege (Episyrphus balteatus). Andere sehen fast aus wie Stubenfliegen oder gleichen Hummeln oder Bienen. Doch etwas ist den erwachsenen Tieren gemeinsam: Sie ernähren sich von Pollen und Nektar. Und wenn man sie lässt, erkunden sie mit ihren tupferähnlichen Mundwerkzeugen manchmal auch die verschwitzte Haut des Menschen.

Ein Grossteil lebt räuberisch

Die Lebensweise der Larven ist deutlich vielfältiger. Manche ernähren sich von Pflanzensaft oder Pflanzenresten. Andere sind dagegen Schlammfresser oder fühlen sich in feuchter Erde und Jauchepfützen wohl. So etwa die Larven der Mistbiene. Wegen ihres Aussehens werden diese auch Rattenschwanzlarven genannt, denn sie verfügen über ein langes Atemrohr, das sie teleskopartig auf eine Länge von bis zu 4 cm ausfahren können, um an der Oberfläche Luft zu holen.

Ein Grossteil der Schwebfliegenlarven lebt räuberisch und ernährt sich mit Vorliebe von Blattläusen. Einige saugen aber auch Raupen von Schmetterlingen und Blattwespen aus oder ernähren sich von Käfer-, Hummel- oder Hornissenlarven. In Mitteleuropa sind rund 100 Schwebfliegenarten Blattlausjäger. In Obstanlagen gelten sie zusammen mit den Marienkäfern als wichtigster Feind der Blattläuse. Diese grosse Bedeutung verdanken sie verschiedenen Eigenschaften: Viele Schwebfliegenarten erscheinen sehr früh im Jahr. Die Blattlauspopulationen werden so bereits in einem frühen Entwicklungsstadium reduziert.

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Übersichtsbild von der Schwebfliegen-Forschungsstation auf dem Walliser Col de Bretolet, einem Gebirgspass auf 1923 m ü. M. an der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz. (Bild Marco Thoma)

Ausgeprägtes Suchverhalten

Ein Schwebfliegenweibchen legt 500 bis 1000 Eier. Die Eiablage erfolgt jeweils in unmittelbarer Nähe der Blattlauskolonien. Die Larven können sich also rasch und ohne Umweg ans Werk machen. Zudem sind sie äusserst gefrässig: Eine Schwebfliegenlarve verzehrt im Laufe ihrer 12 bis 25 Tage währenden Entwicklung 400 bis 600 Blattläuse.

Ein weiterer Pluspunkt dieser Blattlausfeinde: Die erwachsenen Schwebfliegen verfügen über einen recht grossen Bewegungsradius und zeigen ein ausgeprägtes Suchverhalten. Sie können also sehr rasch auf einen frischen Blattlausbefall reagieren. Und da sie während der ganzen Vegetationsperiode präsent sind, dezimieren sie sämtliche Blattlausarten (s. Kasten).

Seit vielen Jahren machen Naturschutzorganisationen die Öffentlichkeit auf das Verschwinden der Insekten aufmerksam. Im Oktober 2017 bestätigte eine Langzeitstudie aus Deutschland das Ausmass des Insektenverlusts. Auf die Frage, wie stark auch die Schwebfliegen davon betroffen seien, meint Myles Menz: «Angesichts der Zahlen, die wir im Rahmen der Grossbritannien-Studie erhoben haben, scheint die Population derzeit einigermassen stabil zu bleiben.»

Frappanter Rückgang

Aber wenn Myles Menz die Anzahl der auf dem Col de Bretolet gefangenen Exemplare mit den Daten aus den 60er-Jahren vergleicht, ist der Rückgang tatsächlich frappant. «Wir gehen davon aus, dass dies unter anderem auf die Intensivierung der Landwirtschaft zurückzuführen ist.»

Schwebfliegen gelten heute als mögliche Alternative, um – zumindest regional – die Bienen als Befruchter zu ersetzen. Doch Menz will sie nicht als perfekte Hoffnungsträger verstanden wissen: Weil die Schwebfliegen viel weniger im Fokus der Forschung gestanden hätten als die Bienen, sei es nicht ganz einfach, ein eindeutiges Urteil über ihre Gefährdung abzugeben. Er selbst ist eher pessimistisch: «Ich vermute, dass sie ebenfalls stark unter Druck stehen.»

Schwebfliegen fördern

Adulte Schwebfliegen schätzen ein breites und dauerndes Blütenangebot. Agroscope empfiehlt deshalb landwirtschaftlichen Betrieben, Nützlingsblühstreifen anzulegen, um den Insekten auch nach der Rapsernte oder dem Wiesenschnitt genügend Nahrung zu bieten.

Tümpel und flache Wasserläufe stellen das nötige Wasserangebot für die Insekten sicher – insbesondere während Trockenperioden. Einzelne Bäume, Hecken und Sträucher bilden die ideale Umgebung für die Paarung und bieten geschützte Über­win­te­rungsmöglichkeiten und Nahrungsreserven.

Wenig überraschend warnt Agroscope in ihrem Merkblatt «Schwebfliegen und Gallmücken» auch vor unnötigen oder unsachgemässen Pflanzenschutzmassnahmen, denn Insektizide können die Schweb­fliegenpopulation ebenfalls reduzieren. Ein letzter Tipp: Die früh auftretende, aber meist harmlose Apfelgraslaus sollte laut Agroscope nach Möglichkeit nicht bekämpft werden, da sie die Schwebfliegen anlockt und deren frühe Vermehrung ermöglicht.