In der Schweiz leben fast 112 000 Equiden. Tendenz steigend. Oft wird ihnen eine Brückenfunktion zwischen Stadt und Land zugesprochen. Noch mehr bieten sie aber ausgiebig Boden für Konflikte. Während der Pferdebestand zunimmt, wird die Fläche, auf der dieser leben kann, kleiner. Zudem schwindet der «Pferdeverstand» in der Bevölkerung rapide. Die Sympathien, die das Pferd geniesst, drohen zu schwinden. Daran trägt es selbst allerdings wenig Schuld. Vielmehr sind es die Besitzer, welche der Gesellschaft zusetzen.
Reto Burkhardt ist der bäuerlichen Bevölkerung bekannt als Kommunikationsverantwortlicher der Schweizer Milchproduzenten. Als Rösseler engagiert er sich aber auch für das Pferd. So ist er beim Zentralschweizerischen Kavallerie- und Pferdesportverband (ZKV) zuständig für die Sparte Pferd und Umwelt, das dieser Tage in «Pferd und Gesellschaft» umbenannt wird. Die BauernZeitung hat ihn zum Interview getroffen.
Wo bieten Pferde der Landwirtschaft ein Potenzial?
Reto Burkhardt: Pferdehaltung kann ein sehr attraktiver Betriebszweig sein. Wir haben in der Schweiz über 19 000 Pferdehalter. Rund 60 Prozent davon sind Landwirte. Das heisst, das Pferd ist immer noch im ländlichen Raum zuhause. Will ein Landwirt fremde Pferde einstellen und damit Geld verdienen, muss er sich mit seinem Angebot von den anderen abheben. Etwas bieten, das die anderen nicht haben. Das können Argumente sein wie ein guter Standort, die Infrastruktur, die Art der Pferdehaltung, das Reitgebiet oder spezielle Dienstleistungen, um nur einige Bereiche zu nennen. Man muss sich mit dem Angebot der Klientel anpassen. Schliesslich ist es ein Wettbewerb.
Das hört sich gut an, aber gibt es auch Herausforderungen?
Ja, natürlich! Man muss auch bereit sein, sich mit der Gesellschaft auseinandersetzen. Wenn Rösseler auf den Betrieb kommen, hat man automatisch mehr Leute auf dem Hof. Pferdehaltung zieht immer zusätzliche Leute, als nur die Pferdebesitzer alleine, an. Diese Stadt-Land-Brückenfunktion ist aber auch eine Chance. Die Landwirtschaft verliert aktuell den Zugang zur Gesellschaft und genau hier kann das Pferd einen Beitrag leisten. Wir sind darauf angewiesen, dass wir die Landwirtschaft erklären können. Insbesondere jetzt im Umfeld der Agrarinitiativen. Und erklären können wir nur, wenn wir auch jemanden haben, mit dem wir reden können. Das Pferd geniesst immer noch wahnsinnig Sympathie in der Bevölkerung. Diese können und müssen die Landwirte unbedingt nutzen.
Wie stufen Sie das Verhältnis zwischen Pferdehalter und Pferdebesitzerin ein?
Eine grosse Herausforderung ist der Pferdebesitzer selbst. Dieser ist an sich meist schon nicht einfach (lacht). Zur Erklärung, Pferdebesitzer sind zu 65 % Frauen. Weit über 50 % sind im Freizeitsektor unterwegs und nur rund ein Drittel macht Sport. Beachtet man zudem, dass die Anzahl der absolvierten Brevets und Lizenzen ab-, und die Anzahl Pferde aber zunimmt, dann ist klar, dass der Freizeitanteil immer grösser wird. Bei dieser Klientel fungiert das Pferd als Partner, als sein liebes Heimtier und eben oft nicht als Nutztier. Mit dieser Situation muss sich ein Stallbesitzer auseinandersetzen.
«Wir sind darauf angewiesen, dass wir die Landwirtschaft erklären können.»
Sind die Bauern denn gut gerüstet für diesen Betriebszweig?
Es gibt heute viele Bauern, die nicht mehr wirklich wissen, was ein Pferd ist. Früher hat jeder Grossätti noch mit dem Pferd gearbeitet, heute ist das längst nicht mehr selbstverständlich. In der landwirtschaftlichen Ausbildung spielt das Pferd eine untergeordnete Rolle. Ein Pferd ist aber einfach keine Kuh und muss anders gehalten, behandelt und gefüttert werden. Und genau damit muss sich ein Bauer, der gerne Pferde halten möchte, auseinandersetzen. In der Ausbildung herrscht da noch eine Lücke, die es zu schliessen gilt.
Verschiedentlich heisst es, das Pferd komme zunehmend in Dichtestress, was heisst das?
Die Agglomerationen wachsen, die Kernstädte entvölkern sich. Dadurch werden Gebiete, die früher ländlich waren, immer städtischer, mit Leuten, die keinen landwirtschaftlichen Hintergrund haben. Davon ist die Landwirtschaft als Ganzes betroffen und nicht nur einfach die Pferdehaltung. Es geht daher auch stark um die Nutzung des Naherholungsgebiets. Neben den Rösselern gibt es noch Hündeler, Spaziergänger, Biker und viele mehr, welche in einem Gebiet, wo früher wenige waren, die Freizeit verbringen. Das birgt automatisch Konfliktpotenzial.
Das Pferd wird doch gerne als Kommunikator zwischen Stadt und Land bezeichnet. Wie kommt es denn zu diesen Konflikten?
Der ZKV hat letztes Jahr einen Workshop veranstaltet zur Thematik. Wir wollten wissen, wo das grösste Konfliktpotenzial liegt. Eines ist zum Beispiel der Wald. Da begegnen Rösseler den Waldbesitzern, Spaziergängern oder Jägern, um nur einige Akteure zu nennen. Plötzlich hat der Pferdehalter, also der Bauer, Probleme mit seinem Umfeld, nur weil der Pferdebesitzer nicht weiss, wie er sich im Wald zu verhalten hat. Auch wenn dieser irgendwann in einen anderen Stall geht, muss der Bauer die Scherereien, die ihm seine Pensionäre eingebrockt haben, ausbaden. Darum ist es auch für den Bauern von Interesse, dass sich die Pferdebesitzer so verhalten, wie es sein sollte. Er muss sich die Zeit nehmen mit seinen Pensionären dies zu thematisieren. Beim ZKV oder auch beim Schweizerischen Pferdesportverband SVPS gibt es eine Vielzahl an Informationsmaterial dazu.
Die Pferdepopulation nimmt in der Schweiz zu, nehmen dann auch diese Probleme zu?
2018 hatten wir in der Schweiz acht Pferde pro Quadratkilometer landwirtschaftliche Nutzfläche (LN). Seit 2012 nimmt die Pferdepopulation um 800 Stück pro Jahr zu. Die LN nimmt ab. Es liegt auf der Hand, dass das Konfliktpotenzial sicher nicht kleiner wird. Funktionieren kann es nur, wenn man zusammen spricht. Wir setzen alles daran, dass die Rösseler ihren Teil dazu beitragen.
Welche raumplanerischen Herausforderungen sind im Pferdesektor derzeit und in absehbarer Zeit ein Thema?
Heute will der Pferdbesitzer Weide und Auslauf. Beim Auslauf ist man definitiv im Bewilligungsbereich. Hier müssten die Kantone ihren Spielraum stärker ausnutzen und die maximalen Ausmasse für Ausläufe bewilligen. Als Nichtlandwirt darf ein Pensionsnehmer auf einem Bauernhof beispielsweise auch nicht Ponyreiten oder etwas Ähnliches anbieten, weil es nicht zonenkonform ist. Das sind Themen, die beschäftigen. Wichtig ist, dass man mit den Kantonen in Kontakt bleibt und da sind wir beim ZKV sehr aktiv.
Welche Hausaufgaben müssen Pferdehalter in absehbarer Zeit machen?
Pferd und Gesellschaft müssen zusammen funktionieren. Meine Überzeugung ist, Rösselen macht nur Spass, wenn man auch raus in die Natur kann. Ich will nicht riskieren, das man plötzlich nur noch in der Halle oder auf einem Platz reiten darf. Und das soll auch in Zukunft noch möglich sein. Da spielen die Pferdebesitzer, aber eben auch die Landwirte, bei denen das Tier untergebracht ist, eine wichtige Rolle. Sie müssen ein korrektes Verhalten im Gelände auch einfordern. Ich bin natürlich nicht gegen die Rösseler (bin ja selber einer), aber ich bin dafür, dass man sich so verhält, dass Lösungen im Dialog gefunden und Reitverbote verhindert werden können.
Wie erreichen denn all diese Anliegen die Pferdegesellschaft?
Der Organisationsgrad ist ein wichtiges Thema. Rund 50 % der Rösseler sind keiner Organisation angeschlossen. Wenn man Sensibilisierungskampagnen machen will oder ein politisches Anliegen hat, tritt daher sofort ein Problem auf. Man erreicht die Leute zu wenig. Wir müssen am Organisationsgrad arbeiten, das würde uns weiterbringen. Das Thema Pferd gehört zudem auch in die bäuerliche Ausbildung. Nicht nur das Pferd als Tier, sondern auch die Thematik Pferd und Gesellschaft. Bei den Pferdeberufen ist es ähnlich. Dort muss man ein Interesse daran haben, dass Pferd und Gesellschaft aneinander vorbeikommen, sonst braucht es die Pferdeberufe nämlich plötzlich nicht mehr.
Wie gut ist die Pferdebranche derzeit in diesen Belangen organisiert?
Die Pferdebranche gibt es nicht. Wir haben bis heute leider keine Branchenorganisation. Der Schweizerische Pferdesportverband SVPS ist historisch nicht die Branchenorganisation für das Pferd, sondern ein Sportverband. Es gibt daneben heute Züchterorganisationen und Reitervereine, aber für die Pensionspferdehalter beispielsweise gibt es kein entsprechendes Konstrukt. Sie alle zusammen sollten doch in einer Branchenorganisation sein, die sich gemeinsam auf nationaler Ebene einsetzt. Das gibt es im Moment nicht, obwohl sich der SVPS mit seiner neuen Führungsequipe der Thematik angenommen hat. Wir vom ZKV stehen voll hinter diesen Bestrebungen. Darum gibt es bis heute auch niemanden der geschlossen für das Image des Pferdes auftritt und eine Art Basiskommunikation betreibt. Ein Beispiel: Ein Pferdezuchtverband ist neulich Mitglied des Schweizer Bauernverbandes geworden. Das ist für mich ein Zeichen, dass sich diese Zuchtorganisationen schlecht vertreten fühlen. Eigentlich sollte dieser Verband einer Schweizerischen Branchenorganisation Pferd angehören, welche die korrekte wirtschaftliche und politische Interessenvertretung macht. Es gibt noch viel zu tun.