«Der Umgang mit einem Stier muss klar und konsequent sein. Er muss wissen, was er darf – aber auch, dass er ein Guter ist und ich ihm seine Kühe nicht wegnehme», erklärt Franz Burri. Der Landwirt aus dem luzernischen Dagmersellen weiss, wovon er spricht. Seit über 35 Jahren führte er zusammen mit seiner Familie einen Limousin-Zuchtbetrieb mit 60 Mutterkühen.
Jährlich werden dort 20 bis 25 Jungstiere aufgezogen und regelmässig an Auktionen präsentiert. Heuer wurde er als Betrieb mit den meistverkauften Limousin-Stieren im Auktionsring der letzten 30 Jahre geehrt. Insgesamt 200 Stiere präsentierte die Züchterfamilie während dieser Zeit im Ring. An der Unfallverhütungstagung der Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft (BUL) zum Thema «Sicherheit im Umgang mit Rindvieh» gab er einen Einblick in seinen Umgang mit den Stieren.
Der Stier ist Vermehrer und nicht Kämpfer
«Wichtig ist, dass der Landwirt nicht zum Nebenbuhler wird», betont Franz Burri. Stiere seien Herdentiere und gehören für ihn in die Herde. «In der Natur gibt es immer nur einen Stier pro Herde. Das müssen wir uns bewusst sein», sagt er. Während der starke Stier bei einem Bärenangriff hinten bei den Kälbern zu finden sei und das Verteidigen den Mutterkühen überlasse, stellt er sich einem Rivalen, wenn ein anderer Bulle (Nebenbuhler) ihm seinen Rang ablaufen will. Genauso könne auch der Landwirt unbewusst in die Rolle des Nebenbuhlers geraten. «Bei allen Unfällen, die mir in meinen bald 40 Jahren bekannt sind, war genau das der Grund.»
Ein Beispiel: Ein Mutterkuhhalter wandte sich an Burri, weil er seinen Stier einige Monate nach dem Kauf nicht mehr von der Weide holen konnte. Neben den Mutterkühen hielt der Betrieb Aufzuchttiere. Diese weideten jeweils nahe an der Mutterkuhherde. Wollte er die Tiere von der Wiese holen, musste er zuerst die Mutterkuhherde mit dem Stier und erst danach die teils brünstigen Aufzuchttiere von der Weide holen. Trieb er den Stier von den teils brünstigen Aufzuchttieren weg in den Stall, geriet der Landwirt unbewusst in die gefährliche Rolle des Nebenbuhlers. «Der Stier lebt heute noch, doch der Landwirt musste sein Denken im Umgang mit ihm ändern. Entweder wird der Stier zum Schluss von der Weide geholt, oder die Weiden sind genügend weit voneinander entfernt, dass er die Aufzuchttiere nicht sieht», erklärt er. Seit der Landwirt zuerst die Aufzuchttiere von der Weide treibt, lässt sich auch der Stier problemlos nach Hause holen. Gefährlich könne es auch bei brünstigen Nachbarskühen nahe der eigenen Herde werden.
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Die Mensch-Tier-Beziehung darf nicht unter der Automatisierung leiden
Für Franz Burri zentral ist nicht nur der Umgang mit den Stieren, sondern generell die Mensch-Tier-Beziehung. Mit wachsenden Betrieben und zunehmender Automatisierung im Stall gerät diese aber leicht in den Hintergrund. «Oft haben die Tiere nur noch negative Begegnungen mit dem Landwirt – etwa beim Impfen oder im Klauenstand», erklärt Burri. Viele alltägliche Kontakte seien durch Futterschieber und Mistroboter verschwunden – besonders in der Mutterkuhhaltung. Während Milchviehbetriebe ohne Melkroboter beim Melken den täglichen Kontakt pflegen, fehlt dieser bei den Mutterkühen. «Wer in Automatisierung investiert, sollte sich überlegen, wie er die Beziehung zu seinen Tieren weiterhin pflegt», sagt er.
Bei der täglichen Stallarbeit werden die Mutterkühe und der Stier bei Burris im Fressgitter fixiert. Da der Hals des Stieres für eine Fixierung im Fressgitter zu dick ist, wird er mit einem Halsband und einer Kette mit Schnellfanghaken fixiert. Seinen festen Platz hat der Stier zuvorderst im Stall. «Er muss sehen, was läuft», erklärt Burri. Die Fixierung verknüpft Burri mit etwas Positivem – etwa einem Apfel. «Der Stier soll mich mit etwas Positivem verbinden.» Auch beim Tierarzt wendet er diesen Trick an: «Die ersten Male gibt es ein Guezli beim Tierarztbesuch. So lernt der Stier: ‹Der ist nicht böse›, und man hat auch später viel weniger Probleme, wenn der Tierarzt kommt.» Immer direkt neben dem Stier wird die brünstige Kuh fixiert. «Diese Zeit nehmen wir uns. So weiss der Stier, wo sie ist – und er wird nicht nervös wegen eines Nebenbuhlers», erklärt Burri.
«Einen Jungstier allein zu transportieren, ist für mich eine Sünde.»
Burris transportieren jeden ihrer Jungstiere selbst zum Käufer.
Anspruchsvoller als im Laufstall sei die Haltung in der Anbindehaltung. «Dort muss der Stier oftmals, weil es nicht anders geht, gefügig gemacht werden», erklärt er. Durch die gewöhnlich fixe Anordnung im Stall gerate der Landwirt schneller in die Rolle des Nebenbuhlers. So etwa, wenn die Tiere von der Weide kommen und der Stier die Nähe zu einer brünstigen Kuh sucht. «Der Landwirt aber möchte melken, verscheucht den Stier von der Kuh auf seinen Platz, der nicht unbedingt neben der Kuh ist, und gerät so in die Rolle des Nebenbuhlers. Eines Tages kann es dann gefährlich werden», warnt Franz Burri.
«Einen Jungstier allein zu transportieren, ist für mich eine Sünde»
Heikle Situationen bilden auch immer das Einsetzen des Nasenrings, der Transport oder das Treiben in den Behandlungsstand. Ausser beim Klauenschneiden verzichte Burri, wenn möglich, auf den Behandlungsstand. «Der bedeutet Stress. Stattdessen fixieren wir die Tiere im Fressgitter, nah beieinander in der Gruppe. Das beruhigt sie.» Beim Einsetzen des Nasenrings fixiere er den Kopf am Halfter möglichst eng, halte das Auge zu und fasse den Stier gleichzeitig an den Nüstern. «Dann macht der Tierarzt die Narkose und setzt den Nasenring ein», erklärt er.
Beim Transport der Jungstiere hat Burri klare Regeln. «Einen Jungstier allein zu transportieren, ist für mich eine Sünde.» Die Tiere transportiert er immer mindestens mit einem weiteren Jungstier oder in Begleitung einer älteren, erfahrenen Kuh. «Ein kleines Kind schicke ich auch nicht allein nach Zürich, in eine Gasse, in der es unheimlich ist.» Aus diesem Grund transportiere er alle seine Stiere selbst zu den Käufern. «Mir ist es wichtig, dass der Käufer den Stier später wieder gut verladen kann. Von zehn Stieren wäre das bei sieben, vielleicht auch bei einem Einzeltransport möglich. Für die anderen drei ist das Erlebnis aber so prägend, dass man sie nie wieder ruhig verladen kann – bis hin zum letzten Weg in den Schlachthof», erklärt Burri.
Bei der Anpaarung legt Burri viel Wert auf die Charaktereigenschaften des Stieres
Neben seinen ein bis zwei Herdenstieren besamt Franz Burri einen Teil seiner Kühe künstlich. Dabei orientiert er sich stark an Frankreich und arbeitet eng mit dem französischen Herdebuch zusammen. «Die Franzosen haben eine riesige Population mit einer Million Limousin», berichtet er fasziniert. Neben Exterieur und Leistungsmerkmalen legt der Landwirt bei der Anpaarung viel Wert auf die Charaktereigenschaften des Stieres. Neu werden dazu in Frankreich die beiden Zuchtwerte Verhalten, wie sich der Stier beim Absetzen verhält, und Reaktion, wie er sich im Behandlungsstand verhält, ausgewiesen. «Wir setzen grosses Vertrauen in diese beiden Zuchtwerte.» Insgesamt 700 Stiere werden laut Burri jährlich in der staatlichen Zuchtstation in Lanaud (F) geprüft. Nach drei Wochen werden die Tiere einem Charaktertest ausgesetzt. «Der Stier kann noch so gut sein, überzeugt er im Charaktertest nicht, scheidet er im Normalfall aus», erklärt Burri.
Sein Rezept im Umgang mit den Stieren scheint zu funktionieren. «Aktuell ist unser 13-jährigen Stier Burri’s Noah von uns im Bünderland im Einsatz. Sie werden alt, wenn man richtig mit ihnen umgeht», so Burri.