Krankheiten erkennen, bevor die Tiere sichtbare Symptome zeigen, und den Abkalbezeitpunkt und den idealen Besamungszeitpunkt vorhersagen – was früher noch unvorstellbar war, hält heute dank moderner Gesundheitsüberwachungs-Systeme in immer mehr Schweizer Rindviehställen Einzug. Die BauernZeitung stellt zwei Systeme vor.
Messen im Netzmagen
Seit einem Jahr setzt Urs Kohler aus Aarwangen BE auf den Bolus des österreichischen Unternehmens Smaxtec Animal Care GmbH. Der mit einem Sensor ausgestattete Smaxtec-Bolus befindet sich dabei im Netzmagen der Tiere. Dort misst er permanent die Bewegungs- und Wiederkauaktivität, innere Körpertemperatur sowie Wasseraufnahme und Trinkzyklen. Über eine sogenannte Base Station im Stall werden die Daten dann an die Smaxtec-Cloud übermittelt und mithilfe von Algorithmen und künstlicher Intelligenz ausgewertet.
Für Kohler war besonders die Messung der inneren Körpertemperatur ein entscheidender Kaufgrund. «Durch die innere und konstante Temperaturmessung im Netzmagen können Landwirte Erkrankungen erkennen, noch bevor äussere Symptome auftreten – und deutlich vor Veränderungen im Fress- oder Wiederkauverhalten», erklärt Lukas Baumann von Smaxtec.[IMG 2]
So lassen sich Krankheiten wie Milchfieber, Ketose oder Mastitis oft schon im Frühstadium erkennen und meist eine klinische Erkrankung verhindern. Ebenso informiert der Bolus über Brunst sowie den Abkalbezeitpunkt und weist auf Aborte hin.
Hilfe im Weidesystem
Urs Kohler betreibt ein Vollweidesystem mit 18 Milchkühen. «Weil die Tiere fast immer draussen sind, sehe ich sie nur kurz während des Melkens aus der Nähe. Der Bolus hilft mir bei der Tierüberwachung», erklärt der Landwirt. Bei Auffälligkeiten sendet das System eine Nachricht aufs Handy. «Man beobachtet das Tier dann bewusster und schaut noch einmal genauer hin. Ohne Meldung würden einem solche Kühe gar nicht auffallen», erklärt er.[IMG 4]
Während Kohler über seine Erfahrungen spricht, tränkt er ein blindes Kalb. Eine Folge der Blauzungenkrankheit (BTV), erklärt er. Auch sein Betrieb blieb im vergangenen Jahr nicht vom Virus verschont. So rasch auf das Virus aufmerksam gemacht habe ihn der Bolus. «Ich erhielt eine Meldung über einen Temperaturanstieg bei einer Kuh. Zuerst dachte ich an einen Viertel, bei genauerem Betrachten des Flotzmauls konnte ich dann erste Symptome der BTV erkennen. Bei jeder weiteren Kuh mit einem Temperaturanstieg bestätigte sich dann der Verdacht», so der Berner.
Dieses Jahr hatte der Landwirt dieses Jahr genau einen akuten Viertel. «Alle anderen konnte ich noch vorher präventiv abwenden. Den Antibiotikaverbrauch konnte ich so definitiv senken», sagt der Berner. Auch Stoffwechselstörungen habe er meist frühzeitig auffangen können. Auch nach einem Kaiserschnitt sei das System sehr hilfreich gewesen, da das «Fieberthermometer» sozusagen in der Kuh «mitläuft».
Gold wert bei der Abkalbung
Besonders hilfreich für Urs Kohler ist der Bolus ausserdem bei der Brunsterkennung. «Mit dem Einsatz des Bolus hat sich der Besamungsindex gesenkt. So verpasst man keine Brunst mehr und auch stillbrünstige Kühe lassen sich besamen», erklärt er und ergänzt: «Der Bolus ist wie ein digitaler Grossvater.» Auch die Abkalbemeldung sei «Gold wert», wie es Kohler ausdrückt. «Typischerweise fällt die Körpertemperatur einige Stunden vor der Geburt und man erhält eine Benachrichtigung aufs Handy. Das funktioniert sehr zuverlässig», sagt er. Früher habe er die Tiere immer zu früh in die Abkalbebox gebracht. «Dann haben sie aber meist weniger gefressen und sind aus dem Trott gefallen», erklärt er.
Besonders schätzt er die persönliche Betreuung durch das Smaxtec-Team: «Bei Fragen oder Problemen bekomme ich unkomplizierte und individuell auf den Betrieb abgestimmte Unterstützung.»
Neben dem Bolus misst ein im Stall angebrachter Klimasensor zusätzlich Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck und weist so auf Hitzestress hin. Für Kohler ist das jedoch eher ein Supplement. Statt aufs Handy werde hier eine Meldung auf die E-Mailadresse geschickt. «Sobald die Kühe drinnen sind, lasse ich den Ventilator laufen. Wenn er dann auf voller Leistung eingestellt ist, es schon richtig windet und das System trotzdem leichten Hitzestress meldet, sieht man, dass der Spruch ‹Wenn es den Melker friert, gefällt es der Kuh› stimmt», sagt Kohler.
Ein Sensor am Halsband
Anders als Urs Kohler setzt Thomas Gisler aus Littenheid TG auf den sogenannten HR-LDn-Responder der Firma Lely. Der am Halsband befestigte Sensor misst auf dem Talhof die Bewegungs- und Wiederkauaktivität. Frühzeitig erkennen lassen sich mit dem Responder Stoffwechselkrankheiten wie Ketose sowie diverse Krankheiten wie Euterentzündungen oder auch eine Labmagenverlagerung. Auch die Brunst- sowie Abkalbeüberwachung erfolgt mit dem Responder.
Seine 160 Milchkühe überwacht der Betriebsleiter seit 2016 mit dem Responder. Gleichzeitig wechselte der Betrieb auf das automatische Melksystem von Lely. Dieser misst bei jeder Melkung zusätzlich die Milch- bzw. Körpertemperatur der Tiere. «Beim Kauf eines Lely-Astronaut-Melkroboters kaufen fast 100 Prozent das System mit, da es neben der Brunst- und Gesundheitsüberwachung auch gleich zur Identifikation der Tiere im Melkroboter dient», erklärt Lely-Verkaufsleiter Marcel Schwager.
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Mit dem Lely Astronaut A5 Next sei neu zudem auch eine Erkennung via elektronische Ohrmarke möglich, wodurch ein Betrieb, der auf den Astronaut umstellt, günstiger einsteigen könne, da er keine Responder mehr kaufen müsse. Neben Roboterbetrieben würden auch immer mehr kleinere Betriebe das System als «Stand alone»-Variante oder zusammen mit dem Lely-Vector-Fütterungssystem und dem Managementprogramm Lely Horizon kaufen.
Auf den Responder verzichten möchte Thomas Gisler heute auf keinen Fall mehr. «Der Responder ist zu fast 100 % zuverlässig bei der Brunsterkennung. Durch die ständige Überwachung erkennt er viel mehr als der Landwirt – auch wenn die Tiere im Sommer manchmal nur in der Nacht stierig sind», erklärt er.
«Sie fallen weniger in der Milch»
Zusätzlich zu den Milchkühen kaufte der Landwirt 20 Responder für das Jungvieh. Diese setzt er gezielt rund ums Besamen ein. Nach erfolgreicher Trächtigkeitsuntersuchung wird das Halsband dem nächsten Tier angezogen. «Unsere Milchkühe und das Jungvieh befinden sich nicht im gleichen Stall. Die Brunstüberwachung braucht viel Zeit, der Responder nimmt mir hier Arbeit ab», so Thomas Gisler. Auch bei der Gesundheitsüberwachung sei der Responder eine grosse Hilfe. Ein Rückgang der Wiederkautätigkeit zeigt sich laut Gisler bereits einen halben Tag früher als ein Rückgang der Milchleistung. «Man kann schneller handeln und die Kühe fallen nicht so stark in der Milchleistung», erklärt er. Auch ob eine Behandlung angeschlagen hat, könne besser kontrolliert werden.
Erst kürzlich konnte der Betriebsleiter durch eine Meldung aufgrund einer verminderten Wiederkautätigkeit eine Blinddarm-Blähung frühzeitig erkennen. «Am Morgen nach der Behandlung konnte ich bereits wieder eine Erhöhung der Wiederkautätigkeit feststellen, so wusste ich, dass wir auf einem guten Weg sind», so Gisler. «Mit einer grossen Anzahl Tiere im Stall ist es zudem schwierig, täglich alle Tiere genau zu kontrollieren. Das System erstellt mir eine Liste, mit den Tieren, die ich genauer beobachten sollte. So kann ich mich auf diese konzentrieren», so Gisler.
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Nachgefragt bei Matthias Schick: «Die Verbreitung liegt derzeit bei 20 bis 30 % der Betriebe»
Wie verbreitet sind heute digitale Gesundheitsüberwachungs-Systeme in der Schweizer Rindviehhaltung?
Matthias Schick: Die digitale Gesundheitsüberwachung nimmt momentan recht stark an Bedeutung zu. Immer mehr Hersteller bieten solche Systeme an. Die Benutzerfreundlichkeit nimmt deutlich zu und für den Landwirten stellen sie eine deutliche Entlastung dar. Die Verbreitung liegt derzeit im Bereich von ca. 20 bis 30 % der Betriebe.
Wie kann ein solches System zur frühzeitigen Erkennung von Krankheiten beitragen?
Die meisten Systeme basieren auf einem Beschleunigungssensor, der das Bewegungsverhalten und die Bewegungsintensität erfasst. Mit Hilfe von Algorithmen und vermehrt auch mit KI werden die Bewegungsmuster mit Sollwerten verglichen und daraus dann Vorhersagewahrscheinlichkeiten für Brunst, Abkalben, Lahmheit oder auch Stoffwechselkrankheiten abgeleitet. Die Trefferquote wird dabei mit zunehmender Zeit immer besser und der Landwirt hat ein gutes Entscheidungshilfsmittel. Vor allem aber helfen die Systeme bei der Tierbeobachtung, da sie Auffälligkeiten schnell bemerken. Fortschrittlichere Systeme wie z.B. Smaxtec haben neben dem Beschleunigungssensor auch noch einen Temperatursensor integriert. Mit diesem kann dann die Körpertemperatur oder auch die Wasseraufnahme überwacht werden. Und zum ersten Mal besteht eine unmittelbare Erfolgskontrolle der getroffenen Massnahmen.[IMG 5]
Welche konkreten Vorteile bietet ein Gesundheitsüberwachungs-System für den Landwirt im Alltag?
Ein sehr konkreter Vorteil ist die verbesserte Brunsterkennung. Ein weiterer Vorteil liegt in der konsequenten Überwachung des Wiederkauverhaltens was wiederum ein guter Indikator für die Tiergesundheit sein kann. Auf jeden Fall kann der Landwirt aber wertvolle Zeit einsparen und sich auf wesentliche Betriebsführungsarbeiten konzentrieren.
Wie schätzen Sie die Relevanz solcher Systeme in Zukunft ein?
In Zukunft wird die Relevanz des sensorbasierten Gesundheitsmonitorings weiter zunehmen. Arbeitskräfte in der Landwirtschaft werden immer knapper und deshalb wird mehr und mehr rationalisiert und automatisiert.
Welche Rolle spielt hier die künstliche Intelligenz (KI)?
Die KI hält vermehrt Einzug in die meisten Sensorsysteme und sie entwickelt sich rasant weiter. Momentan handelt es sich noch um maschinelles Lernen beim Gesundheitsmonitoring. Das bedeutet, es werden vorhandene Erfahrungswerte zur Entscheidungsunterstützung genutzt. Zukünftig werden aber vermehrt sogenannte Deep-Learning-Systeme eingesetzt . Diese erlauben es dann, dass sich die Algorithmen selbständig weiterentwickeln und hoffentlich auch verbessern.
Wo kommen heutzutage digitale Gesundheitsüberwachungs-Systeme zum Einsatz?
Die Milchviehhaltung ist der absolute Trendsetter beim Gesundheitsmonitoring. Mittlerweile werden aber auch Mutterkuhherden damit ausgestattet und ganz neu gibt es auch von mehreren Herstellern gut funktionierende Systeme für die Kälberhaltung.
Wie schätzen Sie, wird sich die Bedeutung solcher Systeme in Zukunft in der Mutterkuhhaltung entwickeln? Könnten sie sogar in der Rindermast an Bedeutung gewinnen?
In der Mutterkuhhaltung werden einzeltierbasierten Sensorsysteme auf jeden Fall zunehmen. In der Rindermast werden aus Kostengründen vermehrt eher kamerabasierte Systeme, die eine ganze Gruppe überwachen können, Einzug finden.
Lohnen sich solche Systeme nur für grössere Betriebe (ab 60 Tiere)? Wie schätzen Sie den Nutzen für kleinere Betriebe ein?
Aus arbeitswirtschaftlicher Sicht und auch aus der Sicht der Tiergesundheit lohnen sich diese Systeme, sobald die verfügbaren Arbeitskräfte knapper werden. Das hat grundsätzlich nichts mit der Herdengrösse zu tun. Bei sehr grossen Betrieben mit mehreren hundert Tieren werden allerdings die kamerabasierten Systeme gegenüber den einzeltierbasierten Systemen als vorteilhafter angesehen.