Swissgenetics hat ein neues Zeitalter eingeläutet. Am 1. April 2022 startet der grösste Schweizer Produzent und Vermarkter von Rindersperma für die künstliche Besamung mit der In-vitro-Produktion von Embryonen. Befürworten lässt sich dieses Angebot insbesondere mit dem schnellen Zuchtfortschritt, der dadurch möglich wird. Könnte der Grund dafür sein, dass die Spendertiere – nicht wie bis anhin im System der konventionellen Embryoproduktion (Spülung) – «erwachsen» und damit geschlechtsreif sein müssen?
«Nein», sagt Ulrich Witschi, Bereichsleiter Produktion, Vizedirektor und Mitglied der Geschäftsleitung bei Swissgenetics, auf Anfrage. «Der schnellere Zuchtfortschritt wird nicht erreicht durch die Nutzung von Tieren, die nicht erwachsen bzw. nicht geschlechtsreif sind, sondern primär durch die erhöhte Flexibilität bei den Anpaarungen, welche bei der IVF im Labor vorgenommen werde, sowie durch die höhere Anzahl Embryonen, die pro Zeiteinheit produziert werden können», präzisiert er.
Entnahme von Eizellen sehr früh möglich
Theoretisch ist eine Entnahme von Eizellen im zarten Jugendalter möglich – also bereits bei einem Kalb. «Grundsätzlich ist richtig, dass die Eizellen sehr früh gewonnen werden können», erklärt Ulrich Witschi. «Bei Tieren, welche die Geschlechtsreife noch nicht erreicht haben, ist eine hormonelle Stimulation unumgänglich. Die Eizellen müssten chirurgisch gewonnen werden, da die Eizellgewinnung, wie sie auf unserer Website beschrieben ist, unter rektaler Kontrolle noch nicht möglich ist. Die Entwicklungsraten der befruchteten Eizellen sind deutlich tiefer», erklärt der Tierarzt.
Swissgenetics habe sich klar davon distanziert, diese Methoden anzuwenden. «Für uns entscheidend ist der körperliche und hormonelle Entwicklungsstand der Tiere bzw., ob die Manipulationen an den Tieren schmerzfrei durchführbar sind und die Geschlechtsreife bereits eingetreten ist», ergänzt Witschi. Denn nur bei Tieren, die diese Kriterien erfüllen, sollen bei Swissgenetics Eizellen gewonnen werden. Das Angebot öffnet der Genetikanbieter auch für die Kundschaft – für private Tierbesitzer. In der Praxis bedeutet das demnach, dass die Tiere mindestens acht bis zehn Monate alt sein müssen.
«Für uns entscheidend ist die körperliche und hormonelle Entwicklung.»
Ulrich Witschi, Vizedirektor Swissgenetics
Ohne Rücksicht auf das Alter
In anderen Ländern sieht das etwas anders aus. So nehmen beispielsweise die USA oder Kanada in der Produktion von Embryonen kaum Rücksicht auf das Alter der Tiere. Hier geht es vielmehr um einen maximalen Zuchtfortschritt bei möglichst kurzen Generationenintervallen. Aus solchen Ländern importiert aber auch die Schweiz Genetik. Und obschon sich der grösste Genetikanbieter in der eigenen Produktion von solchen für Kälber nachweislich schmerzhaften Methoden heute und auch in Zukunft distanzieren will, findet sich in dessen Angebot Genetik aus Ländern, die sich nicht an solche ethischen Grundlagen halten. «Auch wenn wir das einfordern würden – wir würden an der Rückverfolgbarkeit scheitern», sagt Ulrich Witschi. Also bleibt diese Ethik den Schweizer Kälbern vorbehalten.
Die nächste Stierengeneration
Aber warum setzt Swissgenetics auf die In-vitro-Methode, wenn die Sicherheiten und das Einhalten von ethischen Aspekten beim Spülen deutlich besser gewährleistet wären? «Das Interesse von Swissgenetics begründet sich klar durch die Genetikentwicklung, sprich durch die Produktion der nächsten Stierengeneration», sagt Ulrich Witschi und ergänzt: «Hier bietet die international bereits breit angewandte In-vitro-Fertilisation deutlich mehr Flexibilität bei den Anpaarungen. Die Eizellen können quasi individuell befruchtet werden.» Zudem könnten im Vergleich zum konventionellen Embryo-Transfer pro Zeiteinheit mehr Embryonen erzeugt und der Hormoneinsatz merklich gesenkt werden. «Dies heisst, die In-vitro-Fertilisation ermöglicht eine breitere Nutzung der wertvollen weiblichen Tiere. Dadurch erhöht sich der Zuchtfortschritt nicht nur bei Leistungsmerkmalen im engeren Sinne, sondern beispielsweise auch bei Fitness- oder Gesundheitsmerkmalen sowie Kriterien rund um die Futterverwertung», sagt der Tierarzt.
Das Angebot soll auch der breiten Züchterschaft dienen. Noch seien die Platzverhältnisse etwas knapp, aber das solle sich mit einem geplanten Bau im bernischen Ins ändern. «Eine der Stärken der Schweizer Rindviehzucht ist die breite Zusammenarbeit mit den Zuchtbetrieben. Diese Stärke wollen wir weiterführen und den Zuchtbetrieben die Instrumente zur Verfügung stellen, um auch im internationalen Vergleich mit dem Zuchtfortschritt mithalten zu können», schliesst Witschi.
Eine aufwendige Methode mit Vor- und Nachteilen
Am Tierspital Zürich wird die In-vitro-Fertilisation schon seit mehreren Jahren praktiziert. Eizellen vom Rind können am lebenden Tier mittels Ovum Pick Up (OPU) oder direkt nach der Tötung gewonnen werden, erklärt die Universität Zürich.
Die Eizellen reifen dann einen Tag in einem Brutschrank im Labor und werden anschliessend mit Tiefgefriersperma eines oder mehrerer ausgewählter Stiere befruchtet. Nach etwa einer einwöchigen Inkubation im Brutschrank entwickeln sich die Embryonen, die entweder direkt auf Empfängertiere übertragen oder bis zur späteren Verwendung in flüssigem Stickstoff eingefroren werden können.
Wie das Tierspital Zürich erklärt, werden beim OPU-Verfahren die Eizellen durch das Absaugen der Eiblasen direkt vom Eierstock gewonnen. Mittels einer langen Nadel, die in die Scheide des Rindes eingeführt wird und mit einer Aspirationspumpe verbunden ist, werden die Eiblasen ab einem Durchmesser von 2 mm punktiert und die darin enthaltene Flüssigkeit zusammen mit den Eizellen abgesaugt. Das Prozedere laufe unter Lokalanästhesie und Ultraschallkontrolle ab.
Die Eiblasenflüssigkeit wird nach deren Gewinnung filtriert und die Eizellen werden aus der restlichen Flüssigkeit unter einem Mikroskop gesucht. Im Labor reifen die Eizellen über 20 Stunden, um anschliessend mit tiefgefrorenen Spermien eines ausgewählten Stieres befruchtet zu werden. Nachder In-vitro-Befruchtung werden die sich daraus entwickelnden Embryonen in einem Brutschrank bei 37°C über sechs bis acht Tage inkubiert. Die Embryonen können dann entweder direkt in Spendertiere transferiert oder in flüssigem Stickstoff bis zum Transfer eingefroren werden. Eine hormonelle Stimulationsbehandlung der Tiere sei nicht notwendig, heisst es und die Punktion könne bis zu zweimal pro Woche durchgeführt werden.
Geeignet sei das Verfahren für wertvolle Zuchtrinder, von denen viele Nachkommen in kurzer Zeit erwünscht sindoder aber auch für Zuchtrinder, die für den Embryotransfer (ET) noch zu jung sind. Zudem rät das Tierspital zu IVF bei Kühen, bei denen ein ET nicht erfolgreich war oder auch bei Kühen, bei denen ein ET aufgrund einer damit verbundenen Verlängerung der Zwischenkalbezeit nicht erwünscht ist. Weiter könne IVF ein Hilfsmittel sein bei Kühen mit krankhaften Veränderungen der Gebärmutter und der Eileiter (z.B. Gebär-mutterentzündungen, Eileiterverklebungen).
Vorteile
- keine hormonelle Behandlung nötig
- keine negativen Effekte auf den Reproduktionszyklus und die Fruchtbarkeit
- im Vergleich zum ET können in einer bestimmten Zeit mehr Embryonen produziert werden
- auch bei trächtigen Rindern (bis zum 3. Trächtigkeitsmonat) durchführbar
- gesextes Sperma ohneProbleme einsetzbar
- genomische Selektion und Geschlechtsbestimmung an den Embryonen möglich
Nachteile
- invasive Methode (unter Lokalanästhesie durchgeführt)
- Risiko, dass es nach dem OPU zu Infektionen bzw. Blutungen kommt (sehr selten)
- aufwendig
- im Labor produzierte Embryonen sind schlechter einfrierbar als solche, die vom ET stammen
- geringere Trächtigkeitsrate (zirka 35 %) als bei der in vivo Produktion von Embryonen (ET zirka 60 %).