Nach 22 Jahren an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen tritt Samuel Kohler bald in den Ruhestand. Der Tierarzt und langjährige Praktiker blickt zurück – und sorgt sich um die Zukunft der Landwirtschaftsausbildung in der Schweiz.

Geboren als Bauernbub im Emmental, schlug Kohler einen für seine Herkunft ungewöhnlichen Weg ein. «Das Gymnasium war nicht für die einfache Bauernfamilie gedacht, das hat man im Dorf den anderen überlassen», erinnert sich Samuel Kohler. Dennoch absolvierte er nach einer KV-Lehre die Matura und studierte später Veterinärmedizin. Die starke Verankerung in der Praxis blieb ihm stets erhalten – ein Bezug, der ihm heute vielerorts fehlt. «Viele Leute arbeiten in Büros, haben aber keinen echten Praxisbezug mehr», sagt Kohler nachdenklich.

Revolution im Stallbau

Sein eigener Weg prägte seine Sicht auf die Entwicklungen der Branche entscheidend. In seinen Jahren als Tierarzt und Dozent hat er beobachtet, dass sich vieles verbessert hat. «Wenn ich die Rindviehställe der letzten dreissig Jahre anschaue, ist das eine phänomenale Revolution.» Dass Tiere heute gesünder seien, sei das Resultat von Fortschritten in Genetik, Ernährung, Haltung – und nicht zuletzt eines ausgeprägteren Tierschutzbewusstseins.[IMG 2]

Doch trotz dieser Erfolge bleibt Samuel Kohler nachdenklich. Ein Thema lässt ihn dabei besonders nicht los: die Gesundheit der Tierbestände. In der Schweiz sei der Gesundheitsstandard extrem hoch. «Wir haben hochansteckende Krankheiten wie Brucellose, IBR oder Maul- und Klauenseuche im Moment ausgerottet und daher im Griff», betont er. «Leider haben viele Studierende heute keine Ahnung mehr davon», sagt er. So fehle ihnen die Erinnerung daran, was diese Krankheiten in den Beständen angerichtet hätten. Kohler weiss, dass man ihnen keinen Vorwurf machen kann. Sie hätten einfach nie die Gelegenheit gehabt, mit den Seuchen und deren Auswirkungen in Kontakt zu treten.

Mehr Mobilität

Doch nun könnte genau das sich wieder ändern. So hat die Schweiz vergangenes Jahr eine Blauzungen-Welle durchgemacht, deren Folgen mit den Geburten blinder, missgebildeter oder gar toter Kälber bis heute anhalten. Weiter stehen die Maul- und Klauenseuche und die Afrikanische Schweinepest vor unseren Landesgrenzen. Gefragt nach den Ursachen für die Rückkehr dieser Seuchenfälle, verweist Kohler auf Veränderungen im internationalen Verkehr: «Wir haben mehr Verkehr, frischere Produkte und Tiertransporte aus Staaten, in denen diese Krankheiten noch vorkommen.»

Dazu komme eben dieses allgemeine Vergessen. «Wenn wir nicht daran denken, geht es irgendwann wieder los», warnt er. Krankheiten könnten niemals vollständig ausgerottet, sondern nur in Schach gehalten werden – es brauche ständige Aufmerksamkeit und auch Wissen. Und hier spricht der Tierarzt die Impfungen an. «Impfungen sind die grösste Errungenschaft der Medizin», betont er mit einer gewissen Emotionalität. Wer aus ideologischen Gründen auf Impfungen verzichte, gefährde nicht nur sich selbst, sondern auch die Allgemeinheit, ist er sicher. «Wir haben viele Krankheiten vergessen. Aber das heisst nicht, dass sie weg sind. Wo wir heute stehen, haben uns in erster Linie die Impfungen hingebracht», mahnt er.

Mit Blick auf die Leistung

Mit einigen Sorgenfalten an der Stirn beobachtet Samuel Kohler seit mehreren Jahren den steigenden Leistungsdruck in der Milchproduktion. Hier werde ein Zielkonflikt sichtbar, der nicht ignoriert werden dürfe. «Natürlich steigern wir die Leistung durch Genetik, Ernährung und Haltung», erklärt er. Doch Kohler fragt sich: Wie sinnvoll ist es, Milchleistungen von 13 000 oder 14 000 Kilogramm anzustreben? «Wir können diese Leistung kaum mehr füttern, weil es schlicht zu teuer wird.»

Anhand eigener Untersuchungen kann der HAFL-Dozent aufzeigen, dass hohe Milchleistungen auch gesundheitliche Probleme nach sich ziehen. «Je höher die Milchleistung, desto schlechter die Fruchtbarkeit», so sein Fazit. Dabei gehe es nicht darum, bewusst schlecht fruchtbare Tiere zu züchten – vielmehr sei die metabolische Belastung bei Hochleistungstieren schlicht enorm, was sich wiederum negativ auf ihre Fruchtbarkeit auswirke. Aber dort ist für ihn die Diskussion noch lange nicht fertig. «Viele Produzenten denken zu einseitig: Milchproduktion heisst für sie nur Eutergesundheit und Fruchtbarkeit», kritisiert Kohler. Dabei müsste unternehmerisches Denken viel stärker gefördert werden. Und hier sieht er natürlich vor allem auch die Bildungsinstitutionen in der Pflicht – die Landwirtschaftsschulen und die Angebote der höheren Bildung wie eben auch die HAFL.

Ein Blick auf die heutige Studierendenschaft an der HAFL zeigt für ihn einen Wandel. «Alle sind willkommen und machen ihren Weg. Aber wenn jemand den Boden einer Berufslehre hat, ist das einfach das Beste», sagt er. Besonders schätzt Kohler die solide Grundlage einer praktischen Ausbildung. «Ein Viertel kommt aus der Landwirtschaft, es könnten ruhig mehr sein.»

Dabei betont er: «Wir brauchen Leute, die wirklich die Materie kennen.» Besonders wichtig ist ihm, dass die Studierenden trotz neuer gesellschaftlicher Strömungen die Praxis nicht aus den Augen verlieren. «Wenn jemand kein Fleisch isst, ist das völlig in Ordnung. Aber daraus eine Religion zu machen, das geht für mich nicht.»

Die Geschlechterverteilung an der Hochschule bewertet Samuel Kohler positiv. «Heute haben wir etwa 50 Prozent Frauen unter den Studierenden. Die Frauen geben der Sache einen guten Touch.» In der Tierarztbranche liege der Frauenanteil inzwischen bei 90 Prozent. Gemischte Teams seien für ihn klar im Vorteil: «Sieben alte Männer in einem Verwaltungsrat bringen wenig, da fehlen die Frauen und die Ansichten der Jungen.»

Eggenschwiler wird Nachfolger

Mit Mario Eggenschwiler wird Samuel Kohler an der HAFL einen Nachfolger haben, dem er viel zutraut. Doch die Herausforderungen bleiben. «Wir müssen die Leute fit machen – nicht indem wir ihnen etwas eintrichtern, sondern indem wir sie mit guten und soliden Inhalten zur modernen Tierhaltung überzeugen», sagt er.

Gegenüber Behörden wagt der Tierarzt deutliche Kritik, denn auch hier ist die Thematik für ihn klar: «Sie sind zu weit weg von der Praxis.» Viele wüssten gar nicht, welche Auswirkungen beispielsweise die Blauzungenkrankheit auf einen Betrieb mit 10 000 Kilogramm Milchleistung habe. Hier fehle das Wissen und damit die gemachte Erfahrung vor Ort aus dem praktischen Beruf. «Ohne geht es einfach nicht», ist er sich sicher.

Weniger Studenten

Im Bereich der Ausbildung sieht Kohler daher auch grosse Herausforderungen auf die Branche zukommen. «Überall sinken die Studierendenzahlen. Wir würden gerne mehr ausbilden, aber es fehlen die Leute.» Gefragt nach den Gründen, erklärt Kohler, dass sich junge Menschen stattdessen oft für Biologie oder Zoologie interessierten – Studiengänge, die später in der Schweiz kaum Berufschancen böten. An Agronomen fehle es hingegen an allen Ecken und Enden. «Unser Studium ist einzigartig in der Schweiz», sagt Kohler stolz. Er erklärt weiter: «Wir verlangen von allen einen Abschluss mit EFZ und anschliessender Berufsmatura oder nach der Matura ein Jahr Praxis in der Landwirtschaft mit Milchproduktion und Fruchtfolge.» Diese Hürden seien bewusst gesetzt. «Wenn jemand auf einer Büffelfarm gearbeitet hat, reicht das nicht.» Die Konkurrenz durch höhere Fachschulen sei spürbar, immer mehr, doch Kohler bleibt überzeugt: «Wir wollen keine Leute ausbilden, die nicht praxisorientiert sind.»

Immer wieder kehrt Samuel Kohler im Gespräch mit der BauernZeitung zu seinem zentralen Anliegen zurück: der Praxisnähe. «Praxis heisst nicht, die Theorie der Spur nach zu wissen, sondern die Dinge wirklich zu beherrschen.» Diese Überzeugung sei auch in seiner eigenen Laufbahn prägend gewesen. «Wenn du weisst, was eine festliegende Kuh ist, dann kannst du das auch im Unterricht besser vermitteln.»

Für die Betriebsleiter

Wissenschaft und Forschung sieht Kohler stets als Mittel zum Zweck. «Wir betreiben an der HAFL angewandte Forschung, die direkt dem Betriebsleiter zugutekommen soll.» Als Beispiel nennt er die Forschung zur Laktationskurve. «Wir haben untersucht, wie sich die Galtzeit auf Energieversorgung und Fruchtbarkeit auswirkt.» Das Resultat: «Dreissig Tage sind eine magische Grenze.» Mit Leidenschaft erläutert Kohler die Zusammenhänge: «Lange Galtzeiten sind nicht sinnvoll. Das Energiedefizit zu Beginn der Laktation wird grösser, und die Fruchtbarkeit leidet.»

Auch das Kolostrum-Thema stellt er klar: «Eine kürzere Galtzeit verschlechtert das Kolostrum nicht. Die ersten Antikörper finden wir erst sechs Tage vor dem Abkalben.» Forschung müsse der Praxis etwas bringen, ist der bald scheidende HAFL-Dozent sicher. Nicht zuletzt deshalb müssten die Forschenden wissen, welche Fragen in der Praxis beantwortet werden müssen.