Die Verbuschung wird häufig als Problem für die Biodiversität auf Alpflächen diskutiert. Die Offenhaltung ist aber auch ein Verfassungsauftrag, wie Thomas Egger, Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete (SAB), ausführte. «Zunehmende Verbuschung findet vor allem in höheren Lagen statt», so Egger. Und fast 30 Prozent der von 1985 bis 2018 neu entstandenen bestockten Flächen war Alpwirtschaftsland. Nicht zuletzt bedeute Verbuschung auch ein höheres Risiko für Waldbrände und Naturgefahren. Mit dieser Einordnung gab der SAB-Direktor den Rahmen für das siebte Meeting der Dialogplattform Forschung – Praxis in der Berglandwirtschaft, das sich der Verbuschung widmete.
Mehr waldfähige Flächen durch Klimawandel
«Grasland ist kein natürlicher Lebensraum im eigentlichen Sinn», erklärte Caren Pauler, Agroscope. Biodiverse Alpweiden seien durch Weide- und Schnittnutzung entstanden und würden bei Unternutzung daher wieder zu Wald. Aus arbeitstechnischen oder anderen Gründen unternutzte Flächen verbuschen oder vewalden je nach Höhenstufe, wobei die durch den Klimawandel steigende Baumgrenze für mehr «waldfähige Flächen» sorge.
Sträucher sind allerdings nicht per se schlecht. «Die Biodiversität steigt leicht bis zu einer Strauchdeckung von etwa 30 Prozent», schilderte Pauler. Eine Ausnahme sei die Grünerle: «Ab der ersten Grünerle sinkt die Artenvielfalt.» Das liegt daran, dass diese Strauchart Stickstoff aus der Luft fixiert und damit den Boden düngt. Ausserdem werde dabei das Treibhausgas Lachgas frei. Auf diesen Strauch folge auch kein Wald, es sei eine Art Vegetationssackgasse. «Grünerlen machen 70 Prozent der Verbuschung aus», ergänzte die Forscherin. Aus diesen Gründen liege die Priorität bei deren Regulierung.
Wie das gelingen kann, hat Agroscope mit verschiedenen Tierarten untersucht. Demnach eigenen sich Engadiner Schafe am besten sowohl für das Wiederherstellen offener Weiden durch Verbiss als auch fürs Etablieren eines Berg(schutz)waldes. Die Pfauenziegen im Versuch knabberten bevorzugt an den vereinzelten Ebereschen.
«Wer von Ihnen isst Ziegenfleisch?»
Ein Projekt auf drei Alpen im Kanton Waadt machte gute Erfahrungen mit Capra Grigia und Gämsfarbenen Gebirgsziegen. Proconseil-Sömmerungsberaterin Murielle Tinguely erläuterte die Resultate aus der ersten Alpsaison, in der die Ziegen Grünerlen zwar in sehr unterschiedlich hohem Mass schälten, wiederaustreibende Sträucher nach einem Schnitt aber fast vollständig frassen. Rindern verschiedener Rassen bescheinigte Tinguely immerhin einen mässigen Verzehr des Grünerlenaufwuchses und eine gute Wirkung auf andere Sträucher wie Heidel- oder Himbeeren. «Eine regelmässige Beweidung mit Ziegen in Kombination mit vorgängigem Schnitt ist ein wirksames Instrument, um eine Grünerlenverbuschung einzudämmen und die Weidevegetation wiederherzustellen», so das bisherige Fazit des Projekts. «Aber», fragte Thomas Egger in den Saal, «wer von Ihnen isst Ziegenfleisch?»
Vegetarisch essenden Schüler(innen) zeige sie jeweils die steilen Hänge und sage: «Schaut, dort kann man keinen Pflanzenbau betrieben», erzählte Rita Kammermann. Bei der Organisation Bergversetzer koordiniert sie Freiwilligeneinsätze, z. B. zur Entbuschung. «Das ist wirklich Knochenarbeit, nach drei Tagen ist man flach», so Kammermann. Die Einsätze seien aber eine gute Gelegenheit, um Verständnis und Wertschätzung für die Berglandwirtschaft in der breiten Bevölkerung zu schaffen. Schulklassen, Firmenteams oder Seniorentrupps müssten aber gut betreut und Zusammenhänge erklärt werden.
Barrieren für Waldbrände
Den Zusammenhang zwischen Waldbrandgefahr und Verbuschung machte Patrik Krebs von der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) klar. «Feuer breiten sich im Bergwald nach oben aus, solange sie genügend Brennmaterial finden», erklärte er. Offene Flächen wirkten wie Barrieren, die eine Brandfläche begrenzen. Dass vor allem entlegene, steile Flächen verbuschen, verschärft hingegen das Problem. Denn diese Stellen sind nicht nur für die Bewirtschaftung, sondern auch für Feuerwehrleute nur schwer erreichbar und Brände gehen den steilsten Weg nach oben. Ja nach Alp müsse man eine Flächenpriorisierung vornehmen, meinte Daniel Mettler, Teamleiter ländliche Entwicklung bei Agridea. Planung und Beratung sieht er als essentiell an. Es gelte zu besprechen, welche Flächen vielleicht aufgegeben werden müssten, um eine Alp als Ganzes langfristig ökonomisch bewirtschaften zu können. «Da denkt man eher in Jahrzehnten als an die nächsten zwei, drei Jahre», so Mettler.
Systematisch leicht unternuzt
«Tiere sind der Schlüssel gegen Verbuschung», fasste Ernst Wandfluh zusammen, Nationalrat und Präsident des Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verbands SAV. Im Rahmen der AP 2030 fordert der SAV unter anderem eine Erhöhung des Zusatzbeitrags für die Milchproduktion während der Sömmerung von 40 Franken auf 200 Franken pro Jahr. Die mechanische Entbuschung durch Mulchen solle weiterhin erlaubt bleiben, wobei das nur in Verbindung mit einer anschliessend ausreichend intensiven Beweidung als wirkungsvoll gilt. «Ausserdem ist der Spielraum zur Flexibilisierung der Normalstösse (NST) zu nutzen», so Wandfluh.
Auf Nachfrage von Simon Hasler von Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) präzisierte der SAV-Präsident, es gehe ihm z. B. um weniger strenge Kürzungen, wenn die vorgeschriebenen NST nicht ganz erreicht oder überschritten werden. «Beim Bund sehen wir die Problematik einer systematischen, leichten Unternutzung», gab Hasler zu bedenken. Häufig würden nur 80 Prozent der NST erreicht, wofür es noch keine Beitragskürzungen gibt. Weil also die Tiere fehlen, wächst das Verbuschungsproblem. «Dafür haben wir keine politische Lösung», stellte der BLW-Vertreter fest. Die Menschen auf den Alpen müssten motiviert sein, Freude an der Arbeit haben und etwas verdienen, meinte Ernst Wandfluh. «Sonst bekommen wir die Verbuschung nicht in den Griff.»