«Wissen Sie noch, wo Sie am 3. Mai 2003 waren?» Mit dieser unerwarteten Frage eröffnete Hans Wyss, Direktor des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), am vergangenen Samstag seinen Vortrag an der Delegiertenversammlung des Schweizer Viehhändler-Verbands (SVV). Für ihn war dieses Datum von besonderer Bedeutung: Es war sein erster Auftritt als Direktor des damaligen Bundesamts für Veterinärwesen (BVET) – und schon damals drehte sich alles um Tierseuchen. Die Schweiz kämpfte gegen BSE, in England wütete die Maul- und Klauenseuche. Zwei Jahrzehnte später sind es gleiche oder zumindest ähnliche, aber nicht minder bedrohliche Herausforderungen, mit denen sich alle rund ums Nutzvieh auseinandersetzen müssen. Für Hans Wyss war der 3. Mai 2003 der erste Auftritt vor den Viehhändlern. Exakt genau auf den Tag 22 Jahre später dürfte es sein letzter Auftritt vor den Viehhändlern gewesen sein.

Wyss’ Botschaft war klar: Die Schweiz steht im internationalen Vergleich gut da – doch das ist kein Grund, sich zurückzulehnen. «Wir sind privilegiert. Wir können es uns leisten, Seuchen zu bekämpfen – und wir tun das auch.»

Ein enger Draht

SVV-Präsident Otto Humbel würdigte Hans Wyss als langjährigen Begleiter und verlässlichen Partner des Verbands: «Er hatte immer ein offenes Ohr für unsere Anliegen.» Gerade der direkte Zugang zu den Behörden werde von Kollegen in der EU oft neidvoll bestaunt, betonte Humbel. Und tatsächlich: Die enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Branche hat sich in Krisenzeiten immer wieder bewährt. Dieser Ansicht ist auch Hans Wyss. So erinnerte er aus aktuellem Anlass an die Bedeutung von Artikel 8 im Tierseuchengesetz, der es erlaubt, auch nicht zugelassene Impfstoffe im Notfall einzusetzen. «Nur dank dieser gesetzlichen Grundlage konnten wir im Ernstfall rechtzeitig Impfstoff gegen das Blauzungenvirus beschaffen», sagte er. Dass der Gesetzgeber diese Voraussicht bereits 1966 hatte – also vor beinahe 60 Jahren – sei ein Glücksfall für die Schweiz gewesen.

Neue Seuchen, neue Fragen

Dass sich die Tierseuchenlage ständig verändert, zeigte Hans Wyss am Samstag anhand mehrerer aktueller Entwicklungen. Die Vogelgrippe etwa beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Geflügel: «Niemand hätte gedacht, dass Milchkühe an Vogelgrippe erkranken – und doch ist es geschehen.»

Ein weiteres Beispiel: die Blauzungenkrankheit (BTV). Es gehe dabei nicht nur um kranke oder verendete Tiere, sondern auch um massive wirtschaftliche Auswirkungen. Gleichzeitig gebe es weltweit nur noch sehr wenige Hersteller von Impfstoffen – und diese wollten nichts mehr auf Lager halten.

Umso wichtiger sei es, vorbereitet zu sein. «Wir investieren 10 Millionen Franken in die Vergünstigung der Impfung und sorgen für eine möglichst einfache Abwicklung. Aber: Wir geben das Geld erst, wenn der Impfstoff auch verfügbar ist. Das ist entscheidend.»

Zentral für die Eindämmung von Tierseuchen bleibt für Hans Wyss der Tierverkehr: «Er ist eines der grössten Risiken.» So werden zum Beispiel seit 2008 grosse Anstrengungen zur Ausrottung der Tierseuche BVD (Bovine Virus-Diarrhoe) unternommen. Deshalb gelte: Nur Tiere von sogenannt «grünen» Betrieben dürften gehandelt werden – also von Höfen ohne seuchenrelevante Auffälligkeiten. Derzeit seien 94,8 Prozent aller Betriebe grün. «Ein sehr guter Wert, aber keine Garantie», mahnte Wyss. Und: Nur wenn alle Beteiligten – vom Tierhalter über den Händler bis zur Behörde – verantwortungsvoll handelten, könne man die Seuchenlage im Griff behalten. «Wir haben bei BTV über 16 Jahre intensiv gearbeitet. Aber irgendwann müssen wir wieder in den Normalbetrieb zurückfinden», so sein Fazit. Der Viehhandel spiele dabei eine Schlüsselrolle.

Zum Schluss fand Wyss deutliche Worte – durchaus auch selbstkritische: «Wenn ich heute zurückschaue, sehe ich zwei Dinge: Erstens – in der Landwirtschaft profitieren sehr viele von den funktionierenden Strukturen. Zweitens – man hat die schwarzen Schafe oft zu lange geschützt. Und genau sie schaden dem Ruf der ganzen Branche.» Dabei sei es im Grunde ganz einfach: «Es geht nicht darum, jemanden zu schikanieren. Wer seine Sache gut macht, hat nichts zu befürchten.»

Rindvieh bedroht

Die Blauzungenkrankheit bleibt auch laut Peter Bosshard, Geschäftsführer SVV, das beherrschende Thema. Per Ende April wurden in der Schweiz bereits 2862 Fälle des Serotyps BTV-3 und 233 des Serotyps BTV-8 registriert – auch über den Winter hinweg traten neue Fälle auf.

Sorgen bereitet Bosshard ein Blick in die Tierverkehsdatenbank: Sieben Prozent mehr Totgeburten beim Rindvieh, 28 Prozent mehr verendete Tiere – und insgesamt 6000 Tiere weniger als erwartet. «Was ist das? Das ist Blauzunge!», so Peter Bosshard. «Die Geburten von Januar bis März liegen rund zwei Prozent unter dem Vorjahr. Die Remontierungsrate beim Milchvieh nimmt ab. Das ist ein Bumerang, der mich unheimlich beschäftigt.»

Der Druck steigt aber allgemein, während die Nachfrage zunimmt – insbesondere bei Poulet, aber auch bei Rind und Schweinefleisch. «Beim Rind zeigt der Pfeil nach oben», so Bosshard. «Doch woher sollen die Tiere kommen?», so der SVV-Geschäftsführer. Das Stichwort Rohstoffsicherung werde zur strategischen Herausforderung – mit wachsendem Konfliktpotenzial, auch im Preisgefüge. «National und international kennen die Preise nur eine Richtung. nach oben – wie soll das auf die Dauer aufgehen, wenn im Detailhandel laufend alles billiger werden soll?», fragte Bosshard. Der Blick über die Grenze zeige ein düsteres Bild: «In unseren Nachbarländern gibt es immer weniger Viehhändler. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht auch ausbluten. Weder der Bauer, der Händler noch der Abnehmer.»

Impfung wird herausfordernd

Doch es sind nicht nur Tierseuchen, die dem Viehhandel Sorgen machen. Die nächste Herausforderung steht bereits vor der Tür: Ab dem 1. Juli 2025 wird in der Schweiz die Kälberimpfung Pflicht – in Geburts- und Mastbetrieben. Der Viehhandel beschäftigt sich dabei vor allem mit der Frage, wer die Verantwortung für die Kontrolle und Dokumentation übernimmt. So habe der SVV hat bei QM-Schweizer Fleisch mehrfach nachgefragt. Die Antwort: Die Verantwortung liege klar bei den Tierhaltern, nicht beim Handel. Bosshard ist skeptisch: «In der Theorie tönt das wunderbar. Die Praxis wird anders aussehen. Der Käufer reklamiert am Schluss beim Händler, wenn er nicht das bekommt, was versprochen wurde.»

Hinzu kommen strukturelle Probleme, etwa bei den Schlachtkapazitäten. «Zürich schliesst», so Peter Bosshard. Die Schliessung werde den Handel mit längeren Transporten in einer Dimension von 1,8 Millionen Franken betreffen. «Und diese Probleme werden einfach auf den Handel verlagert», kritisiert er. Auf der Geschäftsstelle des Verbands häufen sich die Anrufe – die Belastung sei deutlich spürbar. «Die Herausforderungen sind gewaltig – für die Bauern, für den Handel, für alle. Wir müssen gemeinsam Lösungen finden, bevor es zu spät ist», bilanziert Bosshard.