«Viele Aufzuchttiere erleben auf den Betrieben ein gewisses Schattendasein», so Pirmin Zürcher am Webinar von Rindergesundheit Schweiz. Oft seien die Landwirte zu stark mit den Problemen der Gegenwart beschäftigt, um sich mit der Zukunft zu befassen. Dies sei schade, denn: «Das Kalb von heute ist die Kuh von morgen», erinnert Zürcher.

Kurze Nutzungsdauer

Für den selbstständigen Berater und Agronom geht die Aufzuchtphase weit über die knapp zwei Jahre hinaus, die die Tiere im klassischen Aufzuchtstall verbringen. «Die Aufzucht ist für mich erst mit dem Beginn der 3. Laktation abgeschlossen. Dann nämlich ist die Kuh vollständig ausgewachsen und hat ihr vollständiges Gewicht erreicht», so Pirmin Zürcher.

Erschreckend sei jedoch, dass die durchschnittliche Nutzungsdauer bei Schweizer Milchkühen je nach Rasse nur zwischen 3,4 und 3,8 Laktationen liegt. «Dabei erreichen die Tiere meist erst zwischen der 4. und 6. Laktation ihre Spitzenleistungen», so der Betriebsleiter. Als die drei Hauptabgangsursachen gelten dabei: ungenügende Fruchtbarkeit, Euter- und Zitzenerkrankungen und Probleme an Klauen- und Gliedmassen.

«Brunst wird häufig verschlafen»

Während es das Wachstumspotenzial der Tiere in den ersten sechs Monaten auszunutzen gilt, empfiehlt der Agronom zur Verhinderung einer Verfettung der Tiere einen Fütterungsknick, durch die Senkung des Energiegehalts in der Ration mit ungefähr 10 bis 14 Monaten. «Der Knick löst eine stärkere und deutlichere Brunst aus, womit die Konzeptionsrate steigt», erklärt er.

Wichtig sind laut dem Agronomen ausserdem griffige Böden. «Es bringt alles nichts, wenn die Tiere ihr Brunstverhalten aus Angst vor rutschigen Böden nicht ausleben», bemerkt er. Auch die Investition in technische Hilfsmittel zur Brunsterkennung empfiehlt der Experte für Betriebe, bei denen die Jungtiere weiter weg vom Betrieb untergebracht sind. «Ich sehe oft Tiere, die zur Belegung bereit wären, doch entweder wurde sie verschlafen oder die Brunst wurde nicht bemerkt», weist Zürcher hin.

Erst mit 120 kg absetzen

Neben ungenügender Fruchtbarkeit bilden Euter- und Zitzenprobleme die zweithäufigste Abgangsursache. Ein Problem in diesem Zusammenhang sei das gegenseitige Besaugen, wodurch sich das Auftreten von Zwei- und Dreistrichkühen erhöht. Häufiges Mittel zur Verhinderung sei dann der Nasenring. Für den Agronomen gilt es, das Problem jedoch an der Wurzel anzugehen. «Der Nasenring behindert die Tiere häufig beim Fressen und vor allem auch beim Saufen», sagt er. Bemerkbar mache sich dies in unproportionalen Tieren mit einem zu grossen Kopf und einem in der Entwicklung stehen gebliebenen Rumpf. Zur Vorbeugung empfiehlt der Berater den Kälbern bereits ab der ersten Lebenswoche Kälbermüsli zur Verfügung zu stellen. «Je früher die Tiere damit in Kontakt kommen, desto eher beginnen sie zu fressen», erklärt er.

Das Absetzen von der Milch sollte laut ihm erst mit einem Gewicht von 120 ⁣kg, lieber noch 140 kg erfolgen. So kann die Milchmenge kontinuierlich gesenkt werden, was eine langsame und schonende Umstellung ermöglicht. Auch Kleingruppen mit möglichst gleich alten Tieren würden ein problemloses Absetzen erleichtern. Weiter könne das Saugbedürfnis der Tiere durch das Anbieten von Alternativen wie Ferkelspielzeugen, alten Nuckeln an der Wand oder durch einen unbehandelten Tannenbaum befriedigt werden. Oftmals höre der Berater auch von Aufzuchtbetrieben, die sagen, sie bekommen immer wieder Kälber, die nicht in der Lage sind von einem Tränkebecken zu saufen. «Dass solche Tiere mehr dazu neigen einander zu besaugen, ist irgendwo auch logisch», so Zürcher.

Euterödem begünstigen Mastitis

Mastitisfälle treten laut Pirmin Zürcher häufig in den ersten beiden Laktationen auf. «Wir gehen davon aus, dass ein Tier mit leerem Euter gesund ist. Mehrere Studien haben aber gezeigt, dass bis zu 95 % der frisch gekalbten Tiere bereits Mastitis Erreger aufweisen», so der Agronom. Oftmals werde den nähigen Rindern zu wenig Beachtung geschenkt. Fersenmastitis würden oftmals auch übersehen werden, da die Tiere noch nicht gemolken werden und somit für den Landwirten wichtige Leistungsparameter fehlen. Auch werde nicht jedes Rind automatisch krank, wenn Mastitiserreger vorhanden sind. «Ein gesundes Tier verkraftet die Erreger. Doch man darf nicht vergessen, dass der Zeitpunkt der ersten Abkalbung für das Tier die grösste Stoffwechselbelastung in seinem ganzen Leben darstellt», erklärt Zürcher. Viele Rinder würden zudem auch stark aufeutern (Euterödem). «Die Strichkanäle sind dadurch schon früh offen und bilden so eine Eintrittsschwelle für Mastitiserreger», sagt er. Auch nach dem Abkalben würden Erstlaktierende mit einem Euterödem dazu neigen, den Strichkanal ständig offenzulassen. Diese Tiere gelte es speziell zu beobachten.

Vorsichtiger Klauenschnitt

Wichtig ist laut Pirmin Zürcher auch eine Klauenpflege vor dem ersten Abkalben. «Viel wegzunehmen gibt es bei den filigranen Klauen des Jungviehs nicht», erklärt er. Man müsse vorsichtig sein. «Sonst ist es eher kontraproduktiv», warnt der Agronom. Mit dem Klauenschnitt gelte es vor allem den Auftrittswinkel von 55° zu bewahren. Einen bestimmten Zeitpunkt für die Klauenpflege gebe es nicht. Da die erste Klauenpflege aber definitiv ein Stressfaktor sei, rät der Berater den Zeitpunkt klug zu wählen. «Führt den Klauenschnitt nicht unmittelbar vor oder nach einem Stallwechsel oder dem Alpgang durch. Auch eine Woche vor oder nach der Belegung sowie in den drei letzten Wochen vor der Abkalbung empfehle ich nicht», erklärt er.

Im Zusammenhang mit der Klauengesundheit gelte es zudem den BCS (Body Condition Score) der Tiere im Auge zu behalten. «Ist die Kuh überkonditioniert, vermittelt ihr der Körper, dass es ihr gut geht, wodurch die Kuh weniger frisst. Im Umkehrschluss schmilzt sie deutlich mehr Fett ein», erklärt der Agronom. Als Erstes werde dabei das Fettpolster in der Klaue zwischen Knochen und Lederhaut eingeschmolzen. «Das Fettpolster dient dazu, Schläge vom Boden abzufangen und entlastet so das Skelett», erklärt er. Durch das Wegschmelzen des Fettgewebes beginne sich das Klauenbein zu deformieren und drücke dann auf die Lederhaut. «Das ist extrem schmerzhaft. Die Kühe zeigen ein krampfhaftes Aufstehen, schlagen vermehrt mit dem Schwanz und grätschen die Füsse nach hinten raus. Von aussen sehen die Klauen aber normal aus», beschreibt er. Einmal weg, werde das Fettpolster zudem nie mehr aufgebaut. Auftreten würde das Problem vorwiegend bei Erstlaktierenden einige Wochen nach dem Abkalben. Auch das Risiko von Totgeburten erhöht sich mit einem erhöhten BCS.