Der kleine Weiler Kundelfingen liegt zwischen den Thurgauer Ortschaften Schlatt-Paradies und Diessenhofen. Er umfasst einen Quell- und Naturpark, ein Restaurant, einen Hofladen, einen Angelpark und die grösste Fischzucht der Deutschschweiz. Weil im Kanton Thurgau in der Landwirtschaftszone weder Teiche gebaut noch erneuert werden durften, musste die ursprüngliche Landwirtschaftszone zu diesem Zweck in eine Fischzuchtzone umgezont werden. Zum Ausgleich wurde eine bestehende, rund zwei Hektaren grosse Weiherzone der Landwirtschaft zugeführt. Ricardo Polla, Immobilientreuhänder und und seit 2012 Besitzer des Kundeingerhofs, investierte einen zweistelligen Millionenbetrag in den Hof und die Fischzucht. Die alten Becken wurden abgerissen, der Bachlauf ­renaturiert und eine neue Produktionshalle gebaut.

 

1915 in die Fischzucht eingestiegen

Bis zur Säkularisierung gehörte der Kundelfingerhof zu den Klöstern Paradies und St. Katharinental und war danach über vier Generationen im Besitz der Familie Spiess. Der mit 55 Hektaren einstmals grösste Thurgauer Landwirtschaftsbetrieb gründete 1915 wegen der knappen Lebensmittelversorgung während des Ersten Weltkriegs eine Fischzucht. Mitte der 1990er-Jahre wurde die Landwirtschaft heruntergefahren und Land verkauft. Im Jahr 2012 kaufte der Immobilien-Treuhänder Ricardo Polla für vier Millionen Franken das noch etwa  20 Hektaren umfassende Anwesen. Der Quereinsteiger aus dem Zürcher Oberland wollte auf der mittlerweile für die Landwirtschaft zu klein gewordenen Fläche die Fischzucht weiterentwickeln.

 

Start im Dezember 2017

Im Dezember 2017 traf die erste Charge an Fischeiern in der neuen Anlage ein. Mittlerweile werden jährlich 250 bis 300 Tonnen Fische aufgezogen. Laut Geschäftsführer Martin Junker wird in der Schweiz eine Fischzucht im Haupterwerb als Industriebetrieb nicht subventioniert.

Im Bruthaus der Anlage werden Seesaibling und Regenbogenforelle aufgezogen. Sie wandern durch drei Stufen vom Aufzuchtbecken bis zum Verarbeitungsgebäude. Die Kundelfingerhof AG importiert zur Aufzucht standortgerechte Fischeier aus Kanada und Alaska. Die nordamerikanische Genetik wird bevorzugt, weil sie weniger krankheitsanfällig ist. «Drei- bis viermal im Jahr wird das Bruthaus mit 400 000 Eiern bestückt. Nach etwa vier Monaten kommen die kleinen Salmonide in den Aussenbereich, wo sie alle drei Monate nach der Grösse sortiert werden. Eine Regenbogenforelle braucht 14 bis 16 Monate, bis sie schlachtreif ist. Beim Saibling dauert es 20 bis 24 Monate, bis es so weit ist. In der Fischzucht sind unter der Obhut des Fischwirtschaftsmeisters Martin Bernauer fünf Mitarbeiter beschäftigt, in der Fischverarbeitung und der Räucherei sind es weitere zehn Personen.

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Die Hälfte des Umsatzes wird mit geräucherten Fischen erzielt.

Eigene Wasserquelle

«Wenn ich nur zehn Prozent des Wassers kaufen müsste, das wir für unsere Zucht benötigen, würde es schwierig, den Betrieb wirtschaftlich zu führen», sagt Martin Junker. Der Kundelfingerhof war früher im Besitz der grössten Quelle der Nordostschweiz. Aufgrund ihrer Mächtigkeit darf die Quelle gesetzlich aber nicht mehr im Privatbesitz sein. Um Planungssicherheit zu erlangen, hat Ricardo Polla die Quelle an den Kanton Thurgau verschenkt und sich dadurch langfristig die Wasserrechte gesichert. Für die naturnahe, langsame Aufzucht der Fische eignet sich sauberes Quellwasser aufgrund der ganzjährigen kon­stanten Wassertemperatur von 9 Grad besser als Bachwasser. Die Quelle erbringt eine Leistung von rund 5000 Litern in der Minute, was einer täglichen Durchflussmenge von knapp 8000 Kubikmetern entspricht. Das Wasser wird nur als Lebensraum für die Fische genutzt. Nach der Wiederaufbereitung fliessen über 99 Prozent der genutzten Wassermenge in den Rhein.

Zertifizierte Herkunft

Das Futter ist speziell auf die Fische abgestimmt. Das darin enthaltene Fischmehl und Fischöl wird überwiegend aus zertifizierter Herkunft bezogen. «Saibling und Forelle sind Raubfische und brauchen tierische Proteine für eine artgerechte Aufzucht», sagt Martin Junker. Die ebenfalls auf dem Kundelfingerhof aufgezogene Lachsforelle ist keine eigene Fischart, sondern eine Regenbogenforelle, die dank carotinhaltigem Futter mit Pigmenten von Krustentieren die gewünschte lachsähnliche, rötliche Fleischfärbung erhält. Lachsforellen bleiben etwa ein Jahr länger im Teich, bis sie ein Gewicht von etwa 3,5 Kilo erreicht haben.

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Ein Grossteil der Fischveredelung erfolgt in Handarbeit. 

Bevor die Fische elektrisch betäubt werden, ruhen sie mindestens 24 Stunden in speziellen Hälterungsbecken. Nach einem Kiemenschnitt blutet der Fisch im kalten Wasser aus und wird sofort weiterverarbeitet, filetiert, entgrätet und verpackt. Seit jeher ist das Räuchern Tradition auf dem Kundelfingerhof. Mittlerweile wird etwa die Hälfte des Umsatzes mit geräucherten Fischen erzielt. «Früher wurde in erster Linie geräuchert, um die Haltbarkeit vom Fleisch zu verlängern. Heute steht der Geschmack im Vordergrund», betonte Junker. Im Jahr 1966 wurde auf dem Hof die erste Heissräucheranlage in einer Schweizer Fischzucht gebaut.

In Salzlake eingelegt

Beim Heissräuchern wird die Forelle über Nacht in eine Salzlake eingelegt, dann im Rauchofen gegart und noch einige Stunden im Rauch veredelt. Beim Kaltrauchverfahren bleiben die Fische ein bis zwei Tage im Rauch. Damit das Fleisch zart und schnittfest bleibt und das Aroma langsam eindringen kann, darf die Rauchtemperatur dabei 20 bis 22 Grad nicht überschreiten. Auf diese Weise werden Lachsforellen, Seesaiblinge, sowie zugekaufter schottischer und norwegischer Lachs geräuchert. Der Gewichtsverlust ist beim Räuchern höher. Deshalb ist der geräucherte Fisch auch teurer.

Drei Tage im Vakuumbeutel

Als «Graved» wird eine aus Skandinavien stammende Veredelungsart bezeichnet. Der filetierte Fisch wird dabei trocken gesalzen und statt mit Rauch mit Kräutern und Gewürzen aromatisiert. Das Fleisch kommt dann noch drei bis vier Tage in den Vakuumbeutel, damit das Aroma einzieht.

Für die Fischveredelung verwendet der Kundelfingerhof ausschliesslich Schweizer Salz und Zucker. Die Räucherei wird mit reinen Buchenholzspänen betrieben. Die Restasche aus der Räucheranlage wird als Dünger und Bodenverbesserer weiterverwertet. Die Schlachtabfälle werden energetisch in der Biogasanlage der Speiseresteentsorgung Jakob Bösch im ausser-rhodischen Herisau genutzt.

Direktverkauf legt zu

Wie Martin Junker erläutert, hat sich wegen der Corona-Pandemie der Absatz von der Gastronomie zum Detailhandel und zum Direktverkauf verschoben. Rund 35 Prozent wird an die Gastronomie und der Rest an den Detailhandel geliefert oder direkt vermarktet. Der Umsatz im Selbstbedienungs-Hofladen stieg während der Corona-Pandemie von 5 auf 15 Prozent.