Dieses Jahr feiert Holstein Switzerland sein 125-jähriges Jubiläum. Im zweiten Artikel dazu kommen wir noch einmal zurück zu den Anfängen der Holsteinisierung in der Schweiz. Der Druck, dass man in den 1960er-Jahren endlich Holsteinsamen aus Übersee importieren durfte, war vor allem einer Mutter-Sohn-Anpaarung geschuldet. Doch auch die künstliche Besamung, die in den Jahren 1965/66 bewilligt wurde, erleichterte vieles.
Ein Erbfehler
Aus dieser Mutter-Sohn-Anpaarung, die in den 1960er-Jahren stattfand, wurde ein schöner Stier geboren, natürlich noch aus der alten Rasse, der Freiburger Schwarzflecken. Dieser Stier siegte am Stierenmarkt in Bulle und man setzte ihn Ende der 1960er-Jahre massenhaft im Kanton Freiburg als Natursprungstier ein – mit dem Resultat, dass viele seiner Kälber einen Gendefekt aufwiesen. So kam der Erbfehler der sogenannten Schlittenkälber hervor, der auf den Stier mit Namen Mouton aus Sâles FR zurückging.
Die Schwarzfleckviehrasse kam weiter unter Druck, neues Blut fehlte, die Inzuchtgefahr stieg. Damit man die Rasse retten konnte, musste unbedingt neues Blut her, am besten aus dem Ausland. In dieser Zeit wurden viele friesische Kälber und Kühe aus Frankreich und Deutschland über die Grenze geschmuggelt. Endlich hob der Bundesrat, auf Druck der Züchter, im Jahr 1966 die Rassenzonen auf. Die Situation für das Schwarzfleckvieh verbesserte sich ein wenig, gleichzeitig wurde die Besamung liberalisiert, und der Samenimport wurde unter gewissen Bedingungen zugelassen. Die bekanntesten Farmen, die man dann in Übersee besuchte, hiessen Romandale und Hanover Hill.
Die Romandale-Farm war im kanadischen Ontario zu Hause. Viele Kühe wogen über eine Tonne und viele von ihnen waren selbstgezüchtet. Einer der bekanntesten Stiere aus ihrer Zucht hiess Romandale Reflection Marquis. Die Hanover-Hill-Farm war bekannt für ihre Stierenzucht. Diese wurden oft liniengezüchtet, man denke nur an den legendären Hanover Hill Starbuck oder an Hanover Hill Triple. Bei den Kühen hiessen die Stars von Hanover Hill Brookview Tony Charity, Rachel oder Kandy.
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Stiere von Deutschland
Bevor man aber nach Übersee reiste, suchte man im deutschen Ostfriesland nach geeigneten Stieren zum Importieren. So kamen die Stiere Albert und Ali in die Schweiz und standen im Raum Bulle im Natursprung im Einsatz. Im Jahr 1966 importierte der damalige Schweizerische Schwarzfleckviehzuchtverband zum ersten Mal 1000 Holstein-Samendosen aus Kanada. Nach einem vorsichtigen Start nahmen die Samenimporte explosionsartig zu. 1973 wurden schon gegen 30'000 weibliche Tiere mit Holstein-Sperma besamt. Die ersten importierten Holsteinstiere hiessen Telegrand, Fairlea Royal Mark oder Barilee Lucky Boy. Doch der Bund hemmte erneut die Entwicklung der produktiven Kuh durch eine Einschränkung des Samenimports. Mit der Zeit konnte sich die Holsteinkuh aber in der ganzen Schweiz verbreiten.
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Ein eigenes Programm
Als die ersten Schweizer Holsteinkühe einen Blutanteil von 88 Prozent aufwiesen, suchte man die besten Tiere aus und paarte sie mit bewährten Holsteinstieren an. Die am meisten Erfolg versprechenden Stierkälber wurden an die KB-Station verkauft, um so eigene nachzuchtgeprüfte Holsteinstiere zu züchten. Gaulois oder Theophill hiessen die ersten guten nachzuchtgeprüften Schweizer Holsteinstiere. Im Jahr 1981 senkte der Bund den Anteil vom importierten Sperma von 100 auf 33 Prozent. Nicht angeschlossene Betriebe hatten bereits 1975 kein Anrecht mehr auf importiertes Sperma. Sanitäre Anforderungen schränkten später den Zugang zu interessanten Stieren zusätzlich ein. Doch die Züchter konnten aufzeigen, dass die Holsteinisierung in Sachen Leistung, Melkbarkeit und Euterqualität nur Vorteile brachte. In den 1990er-Jahren konnten endlich viele staatliche Vorschriften reduziert werden.
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Tausende Züchter
Die Holsteinzüchter wollten schon früh aufzeigen, welche Erfolge sie mit importierten Samen erreichen konnten. Im Jahr 1971 hat man die Expo Bulle ins Leben gerufen. Dort wurden die ersten gekreuzten 80 Holsteinkühe und 140 Rotflecken präsentiert. Das Ziel war, die Entwicklung der Viehzucht im Kanton Freiburg zu präsentieren. Die Zeitung «La Gruyère» berichtete damals von Tausenden Züchtern, welche die Ausstellung besuchten. Neben dem kantonalen Landwirtschaftsamt war auch die kanadische Botschaft vor Ort und beteiligte sich am Tag nach der Schau an der Durchführung eines Seminars.
Die lineare Beschreibung
Bis in die 1980er-Jahre wurden die Holsteinkühe an den kantonalen Beständeschauen auch mit den vier Noten für ihre Exterieurs punktiert, wie es heute noch bei Swissherdbook gehandhabt wird. Im Jahr 1990 reisten aber Markus Hitz, Zuchtverantwortlicher beim Holsteinverband, sowie Jacques Chavaz, damaliger Direktor (1990 bis 2002), nach Italien. Alle Länder aus der Vereinigung nahmen an diesem Workshop teil und man stellte fest, dass diese Länder die lineare Beurteilung (LBE) schon kannten, nur die Schweiz nicht. Bereits ein Jahr später reiste eine Schweizer Delegation für zwei Wochen nach Kanada, um das lineare System kennenzulernen. Doch nicht immer war man der gleichen Meinung, vor allem beim Vor- und Nacheuter gingen die Meinungen bei den Beurteilungen auseinander. Trotzdem ähnelt heute die LBE in der Schweiz sehr stark dem kanadischen. Im Jahr 1995 entschied sich der Schweizerische Holsteinverband als erster, die kantonale Punktierung aufzuheben und die integrale lineare Beschreibung und Einstufung mit der Schaffung eines eigenen LBE-Dienstes einzuführen.
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Eine besondere Kuh
Kehren wir noch einmal zurück ins Jahr 1982: Damals kam es in Bulle zu einer Jahrhundertversteigerung, denn die Familie Oscar Dupasquier wanderte nach Kanada aus. In der Markthalle Bulle wurden alle ihre Tiere versteigert. Drei Tiere gingen an dieser Gant für mehr als 30 000 Franken weg. Eine von ihnen war die bekannte Expo-Bulle-Siegerin von 1981: Riquita. «Es kamen an dieser Auktion so viele Leute, dass einige davon auch auf die Dächer der Expo-Bulle-Hallen stiegen, um noch etwas sehen zu können. Leider gingen dabei auch einige Dachziegel zu Bruch, die wir nachträglich bezahlen mussten», sagt Oscar Dupasquier in einem Video zur 125-Jahr-Feier von Holstein Switzerland lachend. Die erste Schweizer Holsteinkuh, die auch im Ausland für Furore sorgte, war die Leader-Tochter Rebeka von Alexandre und Denise Papaux aus Les Ecasseys FR. Rebeka gewann 2003 die Expo Bulle und im Jahr 2004 holte sie eine gute Platzierung an der Europaschau in Brüssel. Im selben Jahr konnte Rebeka zum zweiten Mal mit dem Siegertitel an der Expo Bulle auftrumpfen.
Immer mehr schwarze Tiere
Ohne motivierte Züchterinnen und Züchter wäre die Holsteinzucht in der Schweiz niemals so weit gekommen, wie sie heute ist. Der kanadische Richter Thierry Jaton sagt es so: «Ich habe überall auf der Welt schöne Kühe gerichtet, doch nirgends ist die Leidenschaft an der Viehzucht so gross wie in der Schweiz.» Die elegante Holsteinkuh – einschliesslich Red Holstein – macht heute über 45 Prozent des Milchviehbestandes aus. Es gibt 79 Zuchtgenossenschaften und Züchtervereine in 25 Kantonen. Holstein Switzerland zählt mehr als 1940 Mitglieder mit über 125 000 weiblichen Holsteintieren. Ob die Holsteinisierung in der Schweiz weiter zunehmen wird, bleibt offen. Bekannt ist nur, dass auch Swissherdbook schon bald mehr schwarze Tiere hat als rote.
Schwarze Kälber mussten weg
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Kommentar von Peter Fankhauser
Durch die Entscheide der Behörden und der Zuchtverbände ging in den 1960er-Jahren viel wertvolle Genetik verloren. Die Züchter durften damals nicht entscheiden, welche Genetik und wie viel davon sie importieren konnten. Doch die Geschichte wiederholte sich 20 Jahre später. In den 1980er-Jahren durften die Züchter beim damaligen Fleckviehzuchtverband zum ersten Mal auch Rotfaktorstiere einsetzen. Mit der Auflage, dass die schwarzen Kuh- und Stierkälber geschlachtet oder vom Betrieb verbannt werden mussten. Nur die roten Kälber durften auf dem Betrieb bleiben. Wenn man sich das heute vorstellt, kann man nur den Kopf schütteln. Auch damals ging wertvolle Genetik verloren. Aber das ist noch nicht alles: Als die schwarzen Tiere beim Fleckviehzuchtverband endlich toleriert wurden, mussten diese an der Expo Bulle separat laufen. Sie durften weder mit den Holsteintieren vom Holsteinverband konkurieren noch mit den RH-Kühen vom Fleckviehzuchtverband . Die Klassierung dieser Kühe fand in eigenen Kategorien statt.
Schaut man die Zahlen an, nehmen die schwarzen Holsteintiere laufend zu. In zwei, drei Jahren überholen sie bei Swissherdbook sogar die roten Kühe. Ist das ein gutes oder schlechtes Zeichen? Die Zunahme spricht sicher für die Rasse, im Gegenzug dürfen die anderen Rassen den Anschluss nicht verlieren. Früher stand bei der Holsteinkuh vor allem die Milchleistung im Vordergrund. Heute gibt es Holsteinstiere, die auch im Gehalt und vor allem in den funktionalen Merkmalen überzeugen können. Dazu kommt noch das hornlose Gen, das sich immer mehr Züchter wünschen. Die Holsteinzucht kann weltweit aus einem riesigen Pool schöpfen, die anderen Rassen haben hier einen grossen Nachteil. Schlussendlich darf heute jeder Züchter entscheiden, welche Rasse am besten auf seinen Betrieb passt. Und das ist auch gut so, denn man stelle sich vor, es gäbe auch hier plötzlich Einschränkungen. p.fankhauser@bauernzeitung.ch
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