Flower Boy läuft ruhig in den Anhänger. Hier enden seine Aufgabe und sein Lebensweg auf unserem Hof. Mein Mann Walter streicht ihm ein letztes Mal sanft, aber bestimmt über seinen im Sommerfell glänzenden Rücken. Der Red-Holstein-Zuchtstier wäre im September zwei Jahre alt geworden. In den nächsten Monaten werden in unserem Stall hoffentlich gesunde rote Kälber von ihm geboren. Heute tritt er im Viehwagen unseres Viehhändlers Toni Teuscher seinen letzten Gang an. «Dä Chätzer röit mi», sagt der Berner Oberländer. Seine blauen Augen schauen mich fragend an.

In dunkles Rot gekleidet

Flower Boy ist ein Bombastic-Sohn aus unserer Frida. Er stammt aus der züchterisch wertvollsten Linie unserer Herde. In dunkles Rot gekleidet liefen oder laufen mehrere F-Kühe durch unseren Laufstall. Frida ist zweifelsohne die Nummer eins. Und das macht sie mit ihrer Milchleistung, ihrer Gesundheit und auch im Melkstand geltend, den sie nur auf Aufforderung verlässt. Sie zeigt ihre Position aber auch an der Fressachse, die sie beim Öffnen mit einem zarten Kuhdomino demonstriert. Raus – hier kommt Frida.

Der Glaube an die kleine Kuh

Frida musste sich in ihrem Leben mehrfach behaupten. So wuchs sie als einziges Kuhkalb inmitten von jungen Zuchtstieren auf und musste ihren Platz an der Milchbar verteidigen. Ihr erstes Kalb verlor sie nach nur sechs Trächtigkeitsmonaten. Der Glaube meines Mannes an die damals noch kleine Kuh liess sie schliesslich am Leben. Ihre erste Leistung blieb äusserst bescheiden, aber ihre Ahnen gaben Sicherheit.

Frida startete durch. Antibiotika blieb ihr ein Fremdwort, ihre Tagesleistungen im IP-Suisse-Wiesenmilchprogramm stiegen rasch auf über 50 kg. Als sie am 20. September 2022 einem Stierkalb das Leben schenkte, war innert Sekunden klar: Er wird bleiben. Flower Boy (Blumenjunge) erhielt seinen Namen, weil – noch nass von der Geburt – auf seiner breiten Stirn eine weisse Blume hervorstand. Flower Boy glänzte in seiner Aufzucht mit Gesundheit. Er war ein Vieltrinker. Hatte der Nuggi-Kessel pro Mal nicht mindestens zehn Liter Inhalt, flog er einem geleert sofort ins Gesicht. Das wurde ihm verziehen und die Ration entsprechend erhöht. Flower Boy war – wie es sie auf unserem Betrieb einfach gibt – ein «Wunschkind».

Er rief uns zu Geburten

Fridas Sohn war genetisch hornlos. Seine Hornstummel machten seinen Kopf nicht wirklich schöner. Aber der Bombastic-Nachkomme vereinte auf sich Attribute, die wir in unserem Stall ganz gross schreiben, die wir aber der Konsumgesellschaft im Grunde erklären müssten. Flower Boy war funktionell und leistungsbereit und seine Genetik entspricht unseren Zuchtzielen. Zudem liess er uns nie eine Sekunde im Stich.

Ja, Toni Teuscher, mich reut der Stier auch. Wie andere vor ihm und andere, die nach ihm kommen werden. Und der Kerl reut mich derart, dass ich ihn nach seinem vielleicht (zu) kurzen Leben in unserem Stall nicht mehr hätte verstellen oder verkaufen wollen. Denn Flower Boy kannte unseren und auch seinen Kehr. Er kannte die Kühe auswendig, hatte sogar sichtbar Lieblingskühe – interessanterweise die schwarzen. Er sagte uns, wenn Besuch im Stall war, und rief uns nachts zu Geburten. Er war bei uns zu Hause. Er liebte die täglichen Streicheleinheiten von Onkel Hans, wusste, dass ich ihm stets eine Handvoll vom Futter von Amalka abgebe, die es nach vielen Jahren immer noch nicht gelernt hat, ihr Kraftfutter am Computer zu holen. Und er beobachtete unser Tun und sang uns zur Klauenpflege der Kühe ganze Lieder.

Nun ist sein Stall leer. Noch diese Woche werden im grossen Abteil mehrere bald einjährige Jungspunde einziehen. Seine Nachfolge ist für uns aber noch nicht gesetzt. Manchmal müssen wir warten, bis sich die Reihe zum letzten Ausnahmestier in unserem Stall wieder schliesst.

Das Trennen von Herzbuben

Flower Boy hätte deutlich älter werden können. Er musste seinen letzten Gang nicht antreten, weil er gefährlich geworden wäre. Und auch nicht deshalb, weil seine Nachfolge schon eingezogen wäre. Der Stier hat seine Aufgabe für die nächsten Monate beendet. Kühe, die in den nächsten Wochen und Monaten geführt werden, gehören nicht zu seinen Aufgaben. Entweder sind sie verwandt oder sie werden gesext oder mit Maststieren besamt.

Das Trennen von solchen Herzbuben, wie Flower Boy einer war, gehört zum Alltag der Bauernfamilien. Manchmal sind es eben Stiere – meistens aber Kühe. Sie schreiben auf unseren Höfen Geschichte, obschon sie keine Ausstellung gewinnen. Sie sind unsere besten Mitarbeiter. Sie ernähren die Schweiz und das tun sie vornehmlich aus Gras, das für unsere eigene Ernährung ohne sie schliesslich wertlos wäre.

Die Liebe zu diesen Tieren und der Abschied von ihnen bleibt für weite Teile unserer Gesellschaft unsichtbar. Stattdessen wird uns nur allzu gerne vorgeworfen, diese Tiere auszunutzen oder sie gar emotionslos zu töten. Begriffe wie tierische Produktion, Nutztierhaltung oder auch Leistung müssen weichen, weil ein grosser Teil der Bevölkerung den Bezug zwischen dem Steak auf dem Teller und dem Nutztier im Stall verloren hat.

Flower Boy war ein Nutztier und ich habe ihn dennoch in mein Herz geschlossen. Das eine schliesst das andere nicht aus. Der Wunsch, sein Leben zu beenden, anstatt ihn aus seinen Gewohnheiten zu reissen und zu verkaufen, war schliesslich grösser.

Sind Sie auch ein Kuhmensch? Schreiben Sie uns oder rufen Sie uns an und erzählen Sie Ihre Geschichten mit Herz aus Ihrem Stall. redaktion(at)bauernzeitung.ch oder Tel. 031 958 33 29.