In der Nutztierhaltung gehört der Griff zu Antibiotika für viele Tierärztinnen und Tierärzte noch immer zum Alltag. Doch es gibt Alternativen. Nicole Studer-Hasler, Tierärztin und Leiterin des Beratungsteams von Kometian, setzt auf Homöopathie und andere komplementärmedizinische Ansätze. Damit will sie nicht nur neue therapeutische Möglichkeiten eröffnen, sondern auch dazu beitragen, dass Antibiotika dort eingesetzt werden, wo sie wirklich nötig sind. Wir haben mit ihr über Motivation, Widerstände und die Zukunft der Tiergesundheitsarbeit gesprochen.
Was war Ihre persönliche Motivation, sich der Homöopathie im Tierbereich zu widmen – und welchen Stellenwert hat diese heute in der Schweizer Nutztierhaltung?
Nicole Studer-Hasler: Mein erster Kontakt entstand während eines Praktikums bei einem Tierarzt aus Kiesen BE. Er hat die Homöopathie und die Akupunktur mit der Schulmedizin zu einem natürlichen Ganzen kombiniert, was mich sehr fasziniert hat. Für mich war es in erster Linie eine Erweiterung der therapeutischen Möglichkeiten. Die Beobachtungen der Tierbesitzer, die ich immer spannend fand, und die individuelle Ausprägung der Krankheit bekamen plötzlich therapeutische Relevanz. Später war es dann auch eine Chance, den Einsatz von Antibiotika und anderen Medikamenten zu reduzieren.
Rund die Hälfte der Landwirtinnen und Landwirte ist heute offen für komplementärmedizinische Ansätze, etwa 50 % davon wenden diese auch tatsächlich an. Neben der Phytotherapie ist Homöopathie die am häufigsten eingesetzte Methode in der Nutztierhaltung.
Wie erleben Sie die Haltung der Tierärzteschaft gegenüber der Homöopathie?
In meiner «Bubble» spüre ich wenig Ablehnung. Viele schulmedizinisch orientierte Kolleginnen und Kollegen sind grundsätzlich offen – oder sie zeigen mir zumindest nicht, dass sie meine Arbeit als Unsinn betrachten. Auch an den Universitäten ist die Offenheit grösser geworden, was mich sehr freut. Aus der Praxis bekomme ich jedoch leider von Bäuerinnen und Bauern immer noch häufig die Aussage, dass sie nicht offen mit ihrem Tierarzt über den Einsatz der Homöopathie sprechen können. Das finde ich sehr schade, denn die Tierhalter sind schliesslich für die Gesunderhaltung ihrer Tiere verantwortlich und entscheiden, wie behandelt wird. Da sollte ein Dialog auf Augenhöhe stattfinden, um für das Tier das bestmögliche Ergebnis zu erzielen und dies ist nur möglich, wenn offen kommuniziert wird.
Homöopathie funktioniert. Warum gibt es dennoch Ablehnung?
Das müsste man diejenigen fragen, die nicht offen sind. Offenbar haben Kritiker nicht mitbekommen, dass es unterdessen einige Studien gibt, die der Homöopathie eindeutig mehr Wirkung als dem Placebo zugestehen.
Wo sehen Sie die Zukunft der Tiergesundheitsarbeit?
Es braucht die oben erwähnte interdisziplinäre Offenheit – nicht nur zwischen Schul- und Komplementärmedizin, sondern auch zwischen Medizin, Tierhaltung, Futterbau, Landwirtschaft und der gesamten Umwelt allgemein. Das müsste möglichst früh in der Ausbildung schon aufgebaut werden. Für die Tierhaltung wäre wichtig, Schnittstellen zu schaffen, um gesammelte Gesundheitsdaten zu vernetzen. So könnte man zB. erkennen, dass gewisse Betriebe sehr wenig Antibiotika einsetzen – und was sie konkret anders machen. Daten aus Melkrobotern oder anderen Systemen könnten Landwirten, Zuchtverbänden, Tierärzten und anderen Beratern helfen, Rückschlüsse zu ziehen. Aus diesen Informationen könnten alle profitieren: Die Guten würden noch besser, und die weniger Guten könnten lernen. Besonders wertvoll wäre es, wenn «Leuchtturmbetriebe» bereit wären, ihr Erfolgsrezept zu teilen.
Welche Rolle spielt der Klimawandel für die Tiergseundheit?
Der Klimawandel stellt die Tiergesundheit vor neue Herausforderungen. Viele Vektoren, die Krankheiten übertragen, fühlen sich hier zunehmend wohl. Wir können die Tierhaltung nicht vom Klimawandel entkoppeln – das wird uns künftig stark beschäftigen.
Gehen wir in die Praxis. Was unterscheidet Kometian von einem klassischen Tierarztbesuch?
Kometian bietet telefonische Beratung – mit oder ohne Mitgliedschaft – über eine 24-Stunden-Hotline. Die Therapie führen die Landwirtinnen und Landwirte selbst durch; die wichtigsten Mittel sollten auf dem Betrieb vorhanden sein. Mitglieder erhalten zudem eine Falldokumentation. Rückmeldungen der Landwirte sind wichtig, um beidseitig Erfahrungen zu sammeln. Je nach Schweregrad begleiten wir Fälle eng – teils mehrmals täglich telefonisch oder schriftlich, auch parallel zur tierärztlichen Behandlung.
Welche Voraussetzungen brauchen Landwirtinnen und Landwirte für die homöopathische Behandlung?
Ein Grundkurs oder eine Stallapotheke sind hilfreich, aber nicht zwingend. Auch Anfänger kommen mit klaren Anweisungen weit, Beratungen dauern dann einfach länger. Entscheidend ist die Beobachtungsgabe: Je genauer ein Tierhalter Symptome und Auslöser schildert, desto gezielter kann eine Behandlungsempfehlung gemacht werden. Homöopathie kann in Akutfällen innert Minuten wirken. Bei chronischen Krankheiten braucht es mehr Geduld – das gilt allerdings auch in der Schulmedizin.
Viele möchten einsteigen, wissen aber nicht, wo anfangen. Was raten Sie?
Austausch mit erfahrenen Kollegen, Kurse, Arbeitskreise und Fachliteratur sind ein guter Einstieg. Und natürlich Kometian: Die Hotline ist offen – für Mitglieder zu günstigerem Tarif, für Nichtmitglieder gegen Aufpreis. In der Beratung höre ich zuerst zu und frage dann gezielt zu den gezeigten Symptomen nach: Alter, Laktationsstadium, Fieber, Schmerzen, Verhalten, Atmung, Verdauung, Milchqualität… Ohne Symptome geht es nicht – wer ungenaue oder widersprüchliche Angaben macht, kommt nicht weiter.
Wie sehen typische Anwendungsfälle im Stall aus?
Rund um die Geburt ist Arnika sehr verbreitet – sowohl für die Kuh, als auch für das Kalb. Arnika ist das wichtigste und am häufigsten eingesetzte Verletzungsmittel. Aber nicht jede Verletzung benötigt Arnika. Grundsätzlich schadet man damit jedoch nicht. Bei akuten Entzündungen wie Husten, Mastitis, Panaritium oder Durchfall zeigt sich ebenfalls die Stärke der Homöopathie. In der Homöopathie geben wir das Mittel, das am besten zu den individuellen Symptomen des Patienten passt. Wir schauen, wie das Tier seine Krankheit zeigt. Schwitzt es bei Fieber oder bewegt es sich kaum noch oder ist es noch aktiv und bei gutem Appetit? Diese drei Fieberarten brauchen unterschiedliche Mittel: Belladonna, Bryonia, Ferrum phosphoricum.Wichtig ist auch der Auslöser. Gab es zum Beispiel einen markanten Kälteeinbruch, ist Aconitum ein wichtiges Mittel, egal ob der Patient eine Mastitis, einen Husten oder einen Durchfall zeigt. Am besten beginnt man mit einfachen Fällen. Bei Unsicherheit sollte man unbedingt eine Fachperson oder Kometian beiziehen. Mit jedem Fall lernt man dazu.
Wie beurteilt man den Therapieerfolg?
Ich beginne immer beim Allgemeinzustand und gehe dann zu den weiteren Symptomen. Ein einfaches «Besser» oder «Hat nichts genutzt» reicht mir nicht. Da frage ich immer nach «was ist besser?» oder «hat sich wirklich nichts verändert?». So lernen auch die Landwirte genauer zu beobachten. Wir möchten eine Heilung von oben nach unten oder beim Tier von vorne nach hinten. Zuerst muss das Befinden bessern, bevor die körperlichen Symptome weggehen.
Kann Homöopathie bei Seuchen wie Blauzunge oder Afrikanischer Schweinepest helfen?
Grundsätzlich ja. Sicher bei der Prophylaxe. Bei hochansteckenden Seuchen greift allerdings das Tierseuchengesetz. Dadurch sind uns therapeutisch Grenzen gesetzt, wenn kranke Tiere getötet werden müssen.Bei Seuchen verwenden wir allerdings einen anderen therapeutischen Ansatz. Die Individualität fällt weg, da viele Tiere dieselben Symptome zeigen, suchen wir das am besten zur Krankheit passende Mittel für Therapie und Prophylaxe. Bei der Prophylaxe ist das Ziel die Stärkung des Immunsystems. Wir geben den Impuls der zu erwartenden Symptomen und der Körper bereitet die Verteidigung dagegen vor.
Welche Rolle spielt Kometian in der Strategie gegen Antibiotikaresistenzen?
Wir konnten in einem Ressourcenprojekt klar darstellen, dass unsere Projektbetriebe einen deutlich geringeren Antibiotikaeinsatz aufweisen. Während eines Ressourcenprojekts senkten Kometian-Milchviehbetriebe die Behandlungen auf 40 pro 100 Kühe und Jahr – im Vergleich zu über 95 in der Schweiz insgesamt. Das ist ein deutlicher Unterschied. Die Anzahl aller antibiotischer Behandlungen pro 100 Kühe und Jahr konnte auf den Proiektbetrieben von 61 auf 39 gesenkt werden. Zum Vergleich: ein Schweizer Durchschnittsbetrieb liegt heute bei über 95 Behandlungen.
In welchen Krankheitsbildern wird Antibiotika am häufigsten ersetzt?
Vor allem bei Mastitis und Gebärmutterentzündungen, aber auch bei Abszessen, Atemwegserkrankungen, Durchfällen oder Augenentzündungen.
Wie stark ist Kometian heute aufgestellt?
Nach dem Ende des Ressourcenprojekts mussten wir unser Geschäftsmodell abspecken. Finanzen und Personal sind eng gekoppelt – wir bewegen uns im Spannungsfeld zwischen fairen Löhnen und der Zahlungsbereitschaft der Landwirte. Unser Ziel bleibt, die Beratungsdienstleistung zu erhalten, mit stärkerem Fokus auf Prophylaxe.
Und wenn Sie in die Zukunft blicken?
Ich bin überzeugt, dass die Homöopathie Antworten auf viele aktuelle und künftige gesundheitliche Herausforderungen bietet – nicht nur in der Tierhaltung, sondern auch im Pflanzenbau. Letztlich ist es eine One-Health-Medizin: Alles, was lebt, reagiert auf ähnliche Stressfaktoren. Dieses Wissen möchte ich sammeln und aufzeigen – für die Praxis, die Politik und die Gesellschaft.
Weitere Informationen: www.kometian.ch