Es begann mit einer Stallerweiterung, brachte den wichtigsten Betriebszweig aus der Bahn und führte zu einer Enteignung, immerhin aber auch zu einem nationalen runden Tisch. Und, für den Betriebsleiter Patrick Müller das Wichtigste: Nach jahrelangem Kampf gegen Streustrom brachte er seine Milchviehherde wieder auf Kurs.

Es begann vor 17 Jahren

Diese Geschichte könnte einen zum Poltern oder Verzweifeln bringen, doch Patrick Müller erzählt ruhig und sachlich. Mit einigen Jahren Distanz zur Sache legt er nun einen Schlussbericht vor; diesen sei er all jenen schuldig, die beteiligt waren und sich interessiert hätten, findet er.

Hier gehts zum Schlussbericht von Patrick Müller

Patrick Müller führt den Talacherhof in Lengnau mit Milchwirtschaft und Ackerbau. Vor 17 Jahren vergrösserte er den Stall um 30 auf 60 Plätze, baute den Melkstand auf acht Plätze aus und erstellte einen neuen Auslauf. Die Ausführung des Potenzialausgleichs, umgangssprachlich Erdung genannt, sei ihm beim Bauen wichtig gewesen, stellt der Landwirt vorab klar.

Die Freude über den neuen Stall trübte sich bald. Die Melkbarkeit der Kühe verschlechterte sich von Tag zu Tag. Der Milchproduzent traf Abklärungen und zog Fachleute bei. Die stellten Streustrom im Melkstand fest. Durch die Stallerweiterung hatte sich die Distanz zu einer Hochspannungsleitung um 26 Meter auf 78 Meter verringert.

«Ich hätte die Durchleitung unterschrieben.»

Patrick Müller verweigerte aber das Recht für Swissgrid, weil sein Problem ungelöst blieb.

Kühen ging es schlecht

Trotz diverser Massnahmen ging es mit der Melkbarkeit und dem Allgemeinzustand der Kühe auf dem Talacherhof weiter bergab. Der Betrieb stand zeitweise wegen hoher Zellzahlen kurz vor einer Milchsperre. Der Medikamenteneinsatz war hoch, Tiere mussten frühzeitig ausgemerzt werden. Allein der Ertragsausfall lag im sechsstelligen Bereich. Patrick Müller kämpfte an mehreren Fronten, arbeitete mit Veterinärmedizinern an der Tiergesundheit, führte auf dem Hof bauliche Massnahmen durch und ging auf juristischem Weg gegen den Stromkonzern vor.

Die Hochspannungsleitung

Aufschlussreich war die temporäre Abschaltung der Hochspannungsleitung in dieser Zeit «Dabei ergaben Messungen beim Potenzialausgleich auf dem Betrieb eine Reduktion des Streustroms um 90 Prozent», so Patrick Müller. Als der Stromnetzbetreiber eine Vertragsverlängerungen für die Durchleitungsrechte auf Müllers Grundstück verlangte, verweigert er dies. «Wäre das Problem auf meinem Betrieb gelöst worden, hätte ich unterschrieben.»

Der Potenzialausgleich

Drei Jahre dauerte diese schwierige Zeit für den Milchproduzenten, dann kam die Kehrtwende mit dem Bau eines Fahrsilos. Auf Anraten des Melkberaters wurde dort der Potenzialausgleich realisiert und mit dem Potenzialausgleich des Betriebs zusammengeführt. Und alle Beteiligten staunten. «Nach wenigen Tagen verbessert sich der Zustand der Milchviehherde», erinnert sich Patrick Müller. Innerhalb von vier Wochen sank die Zellzahl um 50 Prozent, die Milchleistungen stiegen. «Da wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.» Zusammen mit dem Betriebselektriker wurden weitere Massnahmen durchgeführt, die gemäss Patrick Müller wieder eine Topmilchqualität mit Zellzahlen unter 100'000 brachten.

Die Freude an der Milchwirtschaft kehrte zurück, der Clinch mit der Stromnetzbetreiberin Swissgrid blieb. Müller unterschrieb keinen neuen Vertrag für das Durchleitungsrecht.

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Strom vom Magnetfeld

Einige Jahre später führte Swissgrid erneut eine Messung auf dem Betrieb durch. «Sie zeigten, dass der Streustrom von den Hochspannungsleitungen via Magnetfeld auf meinen Betrieb gelangt», wie Patrick Müller schon lange vermutet hatte. Das bestreite Swissgrid gar nicht – hingegen sei für das Unternehmen nicht erwiesen, dass dieser Streustrom die Tiere beeinträchtigt. Darum wird der Landwirt nicht für den entstandenen Schaden entschädigt. Swissgrid bezahlt lediglich alle Messungen und einen Teil von Müllers Anwalts- und Gerichtskosten. Die Durchleitungsrechte wurden durch Enteignung erzwungen – der Landbesitzer hat nichts mehr zur Durchleitung des Stroms über sein Land zu sagen.

Nationaler runder Tisch

Verschiedene Organisationen hatten Patrick Müller im Kampf gegen den Stromkonzern unterstützt, vom Aargauer Bauernverband über den Milchverarbeiter bis zum Milchverband. Daraus entstand ein runder Tisch auf nationaler Ebene mit den beteiligten Interessengruppen wie Netzbetreiber, Schätzungskommission, Starkstrominspektorat, Gebäudeversicherung, Telekommunikation, Erdungsspezialisten, Bauernverbänden, Tiergesundheitsorganisationen, SMP und Parlamentariern. Ziel wäre eine Sensibilisierung der Teilnehmenden auf die Problematik und die Suche nach Lösungen gewesen. Doch Patrick Müller erlebte verhärtete Fronten, «die Verantwortung für das Problem wurde hin- und hergeschoben». Immerhin einigten sich die Beteiligten schliesslich auf einen Grenzwert von maximal einem Volt Spannung beim Potenzialausgleich. Zudem wurde eine Website erstellt mit Informationen für Landwirte. Das findet Müller wegen der Abzocker auf dem Markt wichtig: «Die ziehen den verzweifelten Bauern das Geld aus der Tasche, ohne Verantwortung zu übernehmen.»

«Tiere reagieren viel empfindlicher.»

Müller vermisst Spannungsgrenzwerte beim Potenzialausgleich.

Patrick Müller hätte sich von diesem runden Tisch mehr erhofft, insbesondere verbindliche Grenzwerte für Tiere. «Die gibt es für Menschen, aber nicht für Tiere, dabei reagieren die bis zu zehnmal empfindlicher.» Erst wenn es verbindliche Grenzwerte für Tiere gebe, könnten Stromkonzerne in die Pflicht genommen werden. Aber diese wollten dem Problem gar nicht auf den Grund gehen, es sei ein zu heisses Eisen; dabei werde dieses Thema in Zukunft noch wichtiger. Er folgert: «Die Politik muss eingreifen. Hier sind unsere bäuerlichen Vertreter im Parlament gefordert.»

Vorschriften anpassen

Weiter kritisiert er die Bauvorschriften: «Man weiss, dass der Strom von den Kühen weggehalten werden soll. Trotzdem bestehen Bauvorschriften, die genau das Gegenteil bewirken, beispielsweise doppelte Armierungen im Tierbereich gegenüber den weiteren betonierten Flächen auf dem Betrieb.» Eine Kuh brauche doch weniger armierten Untergrund als Betonboden, der von schweren landwirtschaftlichen Fahrzeugen befahren werde.

Weitere Informationen: https://agripedia.ch/streustroeme