«Kaut es, spuckt die Knochen aus und nehmt mit, was euch gefällt», meint Joel Salatin zu seinen Ausführungen am Soil-to-Soul-Symposium. Der US-Amerikaner ist international bekannt und geht mit seiner 220-ha-Farm unkonventionelle Wege. Sein Vater habe einst «den billigsten Schandfleck» im Bundesstaat Virginia gekauft. Abfliessendes Regenwasser hinterliess mehrere Meter tiefe Gräben und baren Fels in den von den Vorbesitzern gepflügten Hanglagen. Während seiner Kindheit und Jugend habe er gesehen, wie sich neuer Boden bildete und sich die Lücken wie eine Wunde in der Haut schlossen. «Heute liegen 35 cm Erde auf dem Fels», so Salatin.

Um 16 Uhr neue Weide

Auf der Polyface Farm (übersetzt: «Hof der vielen Gesichter») wird kein Ackerbau betrieben, trotzdem gibt es eine Art Fruchtfolge, aber aus Tieren, nicht Kulturen. Zuerst werden die Weiden mit Rindern bestossen, jeweils mit 100 Tieren auf einer Koppel von 1/8 ha. Jeden Tag etwa um 16 Uhr kommen die Rinder auf eine neue Fläche. «Dann ist der Zuckergehalt des Grases am höchsten und es wird langsam kühler», schildert Joel Salatin. Das schaffe optimale Bedingungen, dass sich die Tiere rasch vollfressen. Und da sie wüssten, wann es auf die neue Koppel geht, und dass sie dort schmackhaftes Futter erwartet, sei das Treiben der Herde kein Problem. Durch den hohen Weidedruck in diesem Mob-Grazing-System fressen die Rinder laut Salatin auch Kräuter, die sie sonst vielleicht verschmähten. «Das Weiden ist damit genauso präzise wie ein Mähen der Flächen», sagt der Farmer.

Der Aufwand fürs Zäunen sei überschaubar. Nicht zuletzt dank 20 km vergrabener Wasserleitungen, mit der jede Weide erschlossen ist, um die Tränken zu speisen. Ein Durchfluss von 45–60 l/min reiche aus, weil sich die Rinder auf den kleinen Koppeln nie allzu weit vom Trog entfernen und daher nicht als grössere Gruppe zum Trinken aufbrechen.

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Ein Höhenunterschied von 300 Metern ermöglicht es Joel Salatin, die gesamte Wasserversorgung pumpenlos mit Regenwasser sicherzustellen. Zahlreiche nacheinander geschaltete Teiche sammeln in den bewaldeten Hügeln den Niederschlag.

Nach vier Tagen Hühner

[IMG 3]Genau vier Tage nach den Rindern kommen Legehennen in einem Mobilstall auf die abgegraste Weide. «Dann sind die Fliegenlarven in den Kuhfladen geschlüpft», begründet der Amerikaner den Zeitpunkt. Das Geflügel zerpflückt auf der Suche nach den Maden die Fladen und sorgt so für eine bessere Verteilung des Düngers. Gleichzeitig trügen sie zur Weidehygiene bei, da Vögel keine Wirtstiere für Rinderparasiten seien, sagt Joel Salatin.

Randbereiche zwischen Wald und Weide nutzt Salatin mit Freilandschweinen, wobei 35–50 Tiere in einer Gruppe ¼ ha während 5–12 Tagen richtiggehend umgraben. Diese Grabtätigkeit habe die jahrhundertealte Samenbank wieder aktiviert, erklärt Salatin. «Wir haben nie etwas gesät, aber es wachsen bei uns alte einheimische Gräser- und Kräuterarten.» Eine bestimmte Schweinerasse bevorzugt der Landwirt nicht, sondern kauft die Ferkel nach Körperform: Sie sollten «torpedoförmig» sein und nicht «aussehen wie Kisten». Salatin spricht von «Arnold-Schwarzenegger-Schweinen», die wegen unproportionaler Züchtung nur schlecht laufen könnten.

Über einen Meter Einstreu

«Die Schweine sind die cleversten Tiere auf der Farm, aber sie sehen schlecht», bemerkt Salatin. Um den Weidenwechsel zu erleichtern, nutze er daher für sie gut sichtbare hölzerne Koppeltore mit breiten Latten.

Im Winter stehen die Rinder im aus eigenem Holz gebauten, sehr einfachen Stall. Die Heuraufe darin lässt sich mit einem Flaschenzug nach oben befördern, denn während der kalten Monate wächst unter den Klauen der Tiere eine Matratze bis zu einer Dicke von über einem Meter. Sie besteht aus den Ausscheidungen der Rinder, deren Nährstoffe in einer «kohlenstoffreichen Windel» in Form von Holzschnitzeln und Heuresten aufgefangen werden. «Es eignen sich auch andere kohlenstoffreiche Materialien», ergänzt Salatin, «z. B. Erdnussschalen.» Pro m³ streut er zusätzlich 30–35 kg Maiskörner ein. Durch den Tritt des Viehs fermentiert das Ganze anaerob, was Wärme freisetzt und den Mais bekömmlich macht – bekömmlich für die Schweine, die im Frühling die Einstreu auf der Suche nach den Körnern intensiv durchwühlen.

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«So haben wir einen aeroben Kompost, der locker ist und dadurch leicht zu handhaben, um ihn auszubringen.» Die Ausbringung erfolge, vermischt mit Mineralstoffen, wenn der Boden dank höherer Temperaturen wieder aktiv wird. «Wenn wir etwa wegen Regen nicht die ganze Menge streuen konnten, folgt der Rest nach dem ersten Heuschnitt.» Dieser Kompost ist für Salatin der Schlüssel für den Boden- und Humusaufbau. Für die Schweine sei es ganz natürlich, Fermentiertes zu fressen. «Sie graben natürlicherweise im Boden bis in anaerobe Schichten.»

Die Mehrfachnutzung steht auf der Polyface-Farm im Vordergrund, sei es bei Flächen, Maschinen oder bei Infrastruktur. Ausserdem ist alles möglichst simpel gehalten: Mastpoulets kommen in niedrigen, mit Drahtgeflecht und Wellblech bestückten Käfigen auf die Weide, die sich zu Fuss von einer einzelnen Person versetzen lassen. Im Winter teilen sich Schweine, Kaninchen und Geflügel Folientunnels als Ställe, die dank Holztischen mehrere Ebenen aufweisen. Im Frühling steht der Boden darin gut gedüngt und umgegraben bereit für den Gemüsebau.

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Lohn für zwei Generationen

Sein System orientiere sich an der Natur als Vorbild, sagt Joel Salatin. Die Kosten hält er tief, die Flächen nutzt er mit verschiedenen Tierarten mehrfach, sämtliche Produkte verkauft er direkt in Hofläden oder landesweit per Postversand. Um eine Zukunft zu haben, sollte ein Betrieb seiner Meinung nach mindestens zwei Einkommen generieren – eins für die ältere und eines für die jüngere Generation. «So kann man vom Wissen der Alten und der Energie der Jungen profitieren», so seine Begründung. Niemand wolle schliesslich nur ein «teures Hobby» erben und weiterführen.

Salatin bildet Interessierte auf der Polyface-Farm aus und ermuntert sie, als Subunternehmer selbst Betriebszweige aufzubauen. So ändere sich das Gesicht der Farm mit den Menschen. Heute sind es 22 Angestellte, die nicht im Stundenlohn, sondern für eine vereinbarte Entschädigung arbeiten. Während Salatin international Anerkennung bekommt, nennen ihn die Landwirte in der Nähe einen «Bio-Terroristen». Grundsätzlich seien seine Nachbarn «wunderbare Menschen», nur ideologisch auf einem anderen Planeten. «Ich würde ihnen meine Enkelin anvertrauen. Aber nicht meinen Boden.»