Kühe sind sensibel, und zwar auf eine Weise, die für Menschen – im wahrsten Sinne des Wortes – nicht auf den ersten Blick nachvollziehbar ist. Denn sie leben in einer anderen Sinneswelt: Mit unscharfem Blick und dafür einem sehr kleinen toten Winkel, einem Gehör auch für die für Menschen unhörbaren Töne, einem zusätzlichen Riechorgan und Haaren am Maul zum Tasten. Warum steht die Kuh vor der offenen Stalltüre und weigert sich einzutreten, obwohl die anderen schon drin sind? Vielleicht, weil sie gerade nur ein schwarzes Loch vor sich sieht. Oder weil sie Stress riecht.

Panoramablick, aber unscharf

Die Welt mit den Augen einer Kuh sehen, das ist gar nicht so einfach vorstellbar. Denn die Unterschiede zu unserem Sehsinn sind doch ziemlich gross. Das fängt mit der Stellung der Augen im Kopf an: Bei Rindern sitzen sie seitlich, im menschlichen Gesicht sind beide nach vorne ausgerichtet. Die Tiere haben somit und dank ihren horizontal-länglichen Pupillen einen besseren Rundumblick – allerdings nur mit jeweils einem Auge nach links und rechts, was das Abschätzen von Distanzen stark erschwert und das seitliche Geschehen verschwimmen lässt. Die Weitsicht ist auch eingeschränkt und wird nach etwa zehn Metern undeutlich.

Aufnahmen des «Kuhblicks» durch eine Virtual-Reality-Brille des Landwirtschaftliche Bildungszentrums Echem in Deutschland: 

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Laut dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) ist bei Rindern die rechte Gehirnhälfte auf das Einordnen potentieller Gefahren spezialisiert. Sie ist mit dem linken Auge verbunden. Daher versuchen die Tiere meistens, Unbekanntes mit dem linken Auge zu erfassen und können in Stress geraten, wenn das nicht gelingt.

Flackernde Lampen stören

Dank einer reflektierenden Schicht im Auge (Tapetum luciudum), wie sie auch Katzen haben, sehen Rinder bei Dunkelheit besser als Menschen. Die Anpassung von Hell auf Dunkel dauert aber etwa 10mal länger, weshalb man den Tieren beim Eintreten in einen Stall genügend Zeit lassen sollte. Flackerndes Licht, reflektierende Pfützen und Schatten auf dem Boden irritieren. Da ein Flackern in der Beleuchtung für den Menschen nicht immer sichtbar ist, kann man sich mit dem Handy helfen: Zeigen sich durch die Kamera dunkle Streifen, die durch das Bild wandern, flackert die Lampe. Das Gerät solle für diesen Test möglichst nah an die Lichtquelle gehalten werden. Je dunkler die Streifen, desto stärker das Flackern.

Die Sache mit dem roten Tuch

Was die Farben angeht, nehmen Rinder vor allem Blau und Grün wahr. Man nimmt an, dass sie keine Rottöne, dafür aber Kontraste besser sehen können. So viel zum Nutzen des roten Tuchs der Stierkämpfer. Vielmehr verunsichern als die Stofffarbe dürften die schnellen Bewegungen der Torerors: Diese sind wegen seiner höheren Einzelbildwahrnehmung für den Stier detaillierter sichtbar und wirken dadurch bedrohlicher. Gerät das Tier in Panik, verstärkt sich sein Tunnelblick.

Trotz dieser Einschränkungen gilt das Sehen als einer der Hauptsinne von Rindern. Von der Seite sollte man sich nur langsam nähern, um die Tiere nicht zu erschrecken.

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Rinder hören hohe Töne

Tiefe Töne sind für Rinder schlechter hörbar als hohe. Man begründet dies damit, dass letztere in der Natur eher Warnrufe und damit für Fluchttiere wichtiger sind. Auch die Ultraschalltöne, wie sie Fledermäuse zur Orientierung einsetzen, nehmen Kühe wahr. Die unabhängig von einander beweglichen Ohren unterstützen den guten Hörsinn zusätzlich.

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Kälber erkennen ihre Mütter an deren Stimme und umgekehrt. Ungewohnte und vor allem laute und hohe Töne machen Rindern Angst oder können störend wirken. Deutsche Untersuchungen haben in Landwirtschaftsbetrieben eine Vielzahl von Geräuschen gefunden, die in diese Kategorie fallen – seien es Elektromotoren, Hydraulik- und Wasserpumpen mit kleinem Rohrquerschnitt und viel Druck, Gleichrichter von Photovoltaikanlagen oder quietschende Türen. Gerade wenn sich Rinder an eine neue Umgebung gewöhnen sollen oder vermehrt Unruhe im Melkstand herrsche, lohne sich möglicherweise die Suche nach einem Geräusch als Ursache.

Mit Kühen sollte man tief und ruhig sprechen, so die Schlussfolgerung der Beratungsstelle für Unfallverhütung in der Landwirtschaft. Wiederkehrende Geräusche wie z. B. jenes des Futterwagens werden schnell positiv oder negativ verknüpft.

Gute Nase und ein Organ mehr

Auch was die Leistung des Geschmackssinns angeht, sind Rinder Menschen überlegen. Ihre feine Nase hilft ihnen im Sozialverhalten in der Herde, da sie Artgenossen aus grosser Entfernung an ihrem Duft erkennen können. Sie riechen aber auch über das Jacobson-Organ die Angst anderer und werden entsprechend nervös, wenn sie einem gestressten Tier folgen sollen. Pheromone, also hormonelle Stresssignale, werden über Urin, Kot und Haut ausgeschieden. Sie warnen Herdenmitglieder vor Gefahr und gelten als Ursache dafür, dass Kühe in Angst koten. Besonders intensiv genutzt wird das im Boden der Nasenhöhle sitzende Jacobson-Organ beim Flehmen, z. B. um den Brunstzyklus einer anderen Kuh zu erkennen.

Auch den Stress von Menschen riechen Rinder, denn die Duftsignale sind dieselben wie bei ihren Artgenossen. Bei der Stallarbeit ausgeglichen zu sein, beruhigt somit auch die Tiere.  Kommen Besucher in den Stall, können betriebseigene Überkleider helfen, Unruhe durch unbekannte Gerüchte zu vermeiden.   

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Vier Geschmacksrichtungen

Was nicht gut schmeckt, lehnen Kühe ab. Dabei hilft ihnen ihr leistungsfähiger Geschmacksinn z. B. nur sauberes Wasser zu trinken. Die Rinderzunge kann süss, sauer, bitter und salzig unterscheiden

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Empfindsame Haut

Im Umgang mit Rindern sei sehr wenig physischer Druck nötig, heisst es in einem Merkblatt des FiBL. Die Tiere seien in der Lage, eine einzelne Fliege auf ihrem Rücken durch das Fell hindurch zu spüren. Aus diesem Grund könne – wenn die Kuh es gelernt hat – ein Fingertippen ausreichen, um das Tier zur Seite treten zu lassen. Neben ihrer empfindsamen Haut tragen Rinder Tasthaare am Maul, die dank der Verbindung zu feinen Nervenfasern ein sensibles Befühlen des Futters erlauben.

Als Fluchttiere zeigen Kühe Schmerzen in der Regel weniger offensichtlich als etwa ein Hund. Während letzterer laut jault, wenn man ihm auf den Schwanz tritt, leiden Rinder still. Um Schmerzen trotzdem zu erkennen, braucht es daher eine gute Beobachtung im Stall.

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Weitere Informationen und Quellen: