Der letzte Schnee verabschiedet sich allmählich von den Strassen des Industrieviertels in Dietikon ZH. In einer der Räumlichkeiten sortiert ein Mitarbeiter die runden, 1,5 cm grossen Kokons der Gehörnten Mauerbiene (Osmia cornuta) von den etwas kleineren Kokons der Roten Mauerbiene (O. bicornis) in separate Behälter – sie sehen braunen Kaffeebohnen zum Verwechseln ähnlich (siehe Bild).
«In einem solchen Kokon wartet die Mauerbiene darauf, endlich auszuschwirren», sagt Tom Strobl, einer der Mitgründer von «Pollinature». In ihrem Wintergehäuse ist die heimische Biene bereits voll entwickelt; ihre Funktionen sind herabgesetzt, bis im Frühling die Temperaturen wieder steigen und sie aus ihrem schützenden Kokon schlüpft – bereit, zahlreiche Kern- und Steinobstblüten zu bestäuben.
Mit dem Einsatz von Mauerbienen wird die Bestäubung verbessert
Seit August kommen täglich tausende Kokons der Mauerbienen O. cornuta und O. bicornis in der Aufbereitungszentrale von «Pollinature» an. «Wir erhalten die Kokons von privaten Kunden und Obstbauern zurück, um sie von Parasiten zu befreien und bis zum nächsten Frühjahr kühl zu lagern – ein simulierter Winterschlaf sozusagen. Im Frühjahr gehen die Mauerbienen wieder zurück an die Kunden. Das gehört zu unserem Service», erzählt Tom Strobl.
Das Schweizer Unternehmen – bei den Privaten auch bekannt als «Wildbiene+Partner» – bietet seit 2013 Mauerbienen zur Verbesserung der Bestäubungssituation in der Schweiz an. In Europa sind sie bisher die einzigen auf dem Markt mit einem vergleichbaren Service. «Unsere privaten Kunden erfreuen sich daran, aktiv an der Vermehrung der heimischen Wildbiene mitzuwirken. Dem gewerblichen Obstbau bieten wir eine optimale Bestäubung und demzufolge einen Mehrertrag. Denn wir sorgen dafür, dass die Mauerbienen am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt bestäuben», so Strobl.
Flug schon bei sehr niedriger Temperatur
Ende März zeigen sich schon die ersten Blüten der Steinobstsorten Aprikose und Zwetschge, die innerhalb von ein bis zwei Wochen bestäubt werden müssen. Ziemlich schnell folgen ihnen auch schon die Kirschen. Nicht unwahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt sind kältere Tage. Honigbienen, die im Obstbau üblicherweise für die Bestäubung zum Einsatz kommen, sind allerdings dafür bekannt, nur bei Schönwetter und Temperaturen ab 12°C auszufliegen. «Ein Risiko für Obstbauern, die auf eine gute Ernte angewiesen sind», sagt Tom Strobl. Hummeln, die zwar auch schon früh und bei Schlechtwetter fliegen, zeigen sich weniger effizient und nachhaltig. «Sie müssen nach dem Einsatz entsorgt werden, da es sich um fremde Arten handelt.»
Die Mauerbiene hingegen fliegt bei Sonne und Windstille bereits ab 4°C. Von dieser Eigenschaft liess sich Claudio Sedivy, Doktor der Biologie und Mitgründer von «Pollinature», damals überzeugen, als er vor der Gründung eine wissenschaftliche Arbeit über die Mauerbiene im Obstbau verfasste. «Hinzu kommt ihr geringer Flugradius von nur 50 bis 80 m. Sie bleiben also innerhalb der Anlage und gehen aufgrund ihrer Spezialisierung auf hölzerne Rosengewächse nicht an andere Blüten wie die des Rapses», fügt Strobl hinzu. Weiter unterscheiden sich die kleinen Helfer durch ihr fehlendes Sozialverhalten: Sie besitzen keine Königin – jedes Mauerbienen-Weibchen kann also Eier legen.
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Tom Strobl, Mitgründer von «Pollinature», mit einer «Osmipro»-Nisteinheit. Darin befinden sich Schilfröhrchen mit Kokons. (Bilder ke)
Mauerbienen können ergänzend zu den Honigbienen eingesetzt werden
Mauerbienen lassen sich in geschlossenen Systemen einer Niederstamm-Obstanlage, aber auch in Tunnelsystemen einsetzen. «Dies ist ein grosser Vorteil dieser Wildbiene», sagt Tom Strobl. Denn Honigbienen fliegen nach dem Sammelflug meist nach oben und können sich so im Hagelnetz verfangen. Im Tunnel verlieren sie die Orientierung. «Die Mauerbiene hingegen fliegt bodennah durch die Baumreihen.»
Soll man demzufolge ganz auf die Honigbiene verzichten? Im Gegenteil, sagt Strobl. «Die Mauerbienen können ergänzend zur Honigbiene eingesetzt werden. Weil sie auch bei schlechtem Wetter fliegen, geben sie eine gewisse Sicherheit und verbessern durch ihre Interaktion sogar die Bestäubungsleistung der Honigbienen in der Obstanlage.
10 % befruchtete Blüten für einen Vollertrag nötig
Schlagkräftige Argumente für Obstbauer Thomas Hungerbühler aus Neukirch-Egnach TG. «Gerade bei den Kirschen ist es sehr wichtig, dass die Bestäubung funktioniert. Das Blühwetter ist relativ kurz und für einen Vollertrag benötige ich zehn Prozent befruchtete Blüten», sagt er. Seit zwei Jahren bestellt Hungerbühler seine Mauerbienen bereits bei «Pollinature». Überzeugt von den fleissigen Helfern war er bereits zuvor: «Ich habe vorher schon Mauerbienen gezüchtet. Der Aufwand war mir jedoch zu gross. Deswegen habe ich mich für den guten Service von ‹Pollinature› entschieden.»
Rund 500 Bienen für einen Hektar im Einsatz
Das junge Team besuchte Thomas Hungerbühler bei seiner ersten Bestellung: «Wir haben uns zusammengesetzt und besprochen, wie viele Boxen mit Mauerbienen ich für meine Sorten benötige und wo sie optimal in der Anlage platziert sind.» Auf Hungerbühlers 40 Hektaren – mit 11,5 ha Kirschen, 7 ha Birnen und 21,5 ha Äpfeln – werden im Frühjahr 50 bis 55 dieser Boxen aufgestellt. In einer befinden sich rund 500 Mauerbienen:
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Video: Quelle Thomas Hungerbühler
«Weil im Kirschenanbau die Quantität sehr wichtig ist, empfehlen wir, bis zu fünf der sogenannten ‹Osmipro›-Nisteinheiten alle 100 Meter an einem sonnenexponierten, vor Wind und Pflanzenschutz geschützten Ort, aufzustellen. Bei Kernobst reichen ein bis drei Boxen pro Hektare», erklärt Tom Strobl.
Auf Abruf bereit zu arbeiten
Zwei bis drei Wochen vor der Blütenöffnung benachrichtigt Thomas Hungerbühler «Pollinature», wann er seine Nisteinheiten benötigt. Die gelieferten Boxen stellt er in seiner Anlage auf. Die Kokons mit den Mauerbienen befinden sich in separaten Röhrchen und können zirka eine Woche kurz vor der Blüte bestellt werden. «Diese lagere ich noch im Kühlschrank ein paar Tage, bis es dann so weit ist. Denn sobald ich sie aufmache, fangen die Mauerbienen mit ihrer Arbeit an.» Hungerbühler ist überzeugt von den Mauerbienen. «Die Kosten sind vergleichbar mit Hummeln und ich stelle einen gleichmässigen Mehrertrag fest.» Noch bis Ende Februar können die fleissigen Helfer bei «Pollinature» bestellt werden. «Danach haben wir nur noch begrenzte Mengen zur Verfügung», so Strobl.
Bis Ende Februar Mauerbienen bestellen
Eine Nisteinheit inklusive Beratungs- und Pflegeservice kostet im Abo 220 Franken pro Jahr. Ab vier Nisteinheiten gibt es einen Mengenrabatt. Die Mauerbienen von «Pollinature» können auch direkt bei der Landi bezogen werden.
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In Thomas Hüngerbühlers Kirschenanlage fliegen die Mauerbienen genau dann, wann er es braucht. Nämlich zur Blütenöffnung. (Bild Thomas Hüngerbühler)