Eines ist klar. Es ist nicht das Lieblingsthema von Christian Hofer. Der Lanat-Vorsteher weiss, dass die Wildtierproblematik gerade auch im grössten Agrarkanton ein heisses Eisen ist. Und einer macht die Sache zunehmend hitziger. Es ist M76. Der Wolf, der in der Region Schangnau "sein Unwesen treibt". Jüngst hat er ganz in der Nähe des Hofareals der Familie Gerber, Kemmeri, eine Hirschkuh gerissen. Kein grosser Verlust, könnte man sagen. Denn die Landwirte im Dorf, das eine Fläche von 36 km2 umfasst, haben nicht nur den Wolf "auf dem Hausplatz", sondern auch Hirsche. 63 Stück weideten jüngst auf einer Parzelle der Gebrüder Klötzli (wir berichteten).

Vor 25 Jahren sei der erste Hirsch im Dorf gesichtet worden, erzählt Christian Klötzli. Und wie es in vielen Dörfern des Kantons Bern geht, über den ersten und vielleicht auch zweiten Hirsch im Dorf, freut man sich. Treten sie aber in Herden auf, richten sie Schaden an. Und das meist auf Land, das einen Besitzer hat. Und oft ist das ein Landwirt. Auch der Wald, in dem die Tiere leben, steht nicht selten in bäuerlichem Besitz.

Abschuss nach Jagdplanung

Christian Hofer ist als Lanat-Chef auch Vorsteher des kantonalen Jagdinspektorats, das ­wiederum zuständig für die Wildtiere im Kanton Bern ist. Und das natürlich alles im Rahmen der Gesetzgebung, wie diese vom Bund vorgegeben ist. Der Kanton Bern ist in 18 Wildräume gegliedert. Und für jeden dieser Wildräume besteht eine Wildraumkommission, die wiederum beratende Funktion hat, wenn es um die Bestimmung der Abschussraten geht.

Der Raum, den Wildtiere besiedeln, bietet ein gewisses Potenzial für die Tiere, dazu gehört einerseits die Nahrungsgrundlage, andererseits aber auch das Schadenpotenzial, das Wildtiere im jeweiligen Korridor anrichten. "Es ist nicht so, dass wir diese Populationen einfach wachsen lassen. Es gibt verschiedene Akteure, die hier unterschiedliche Interessen vertreten und in dieser Wildraumkommission eine Empfehlung ausarbeiten, was gejagt werden soll", sagt Hofer. "Es ist aber so, dass wir diese Bestände nicht ausrotten", ergänzt er. Das sei ein wichtiger Punkt. Denn hier bestünden auch Verfassungsaufträge. "Es geht auch darum, eine Balance zu erhalten, in welcher wir Räume finden, in denen sich die Wildtiere entwickeln können.» Doch wo sind diese Räume und was ist, wenn es zu Übergriffen im Siedlungsraum kommt?" Es ist wichtig, dass wir den Betroffenen zur Seite stehen", sagt Christian Hofer.

Zumutbare Vorkehrungen

Erster Kontakt ist die kantonale Wildhut. Konkret heisst das: Richtet ein Wildtier Schaden an, soll sich der Geschädigte beim Wildhüter melden. Dieser wird vor Ort eine Schadenabschätzung vornehmen. Diese Schäden werden allerdings nur vergütet, wenn der Landwirt im Vorfeld bereits "zumutbare Vorkehrungen" getroffen hat, damit diese nicht entstehen. Beispielsweise müsste ein Landwirt Silorundballen einzäunen, will er diese auch nachhaltig vom Hirsch schützen und in einem Scha-denfall Entschädigung geltend ­machen. Doch wie kommt der Landwirt zur Information, was zumutbare Schutzmassnahmen sind? Dafür gibt es eine Wegleitung zur Wildschadenverordnung.

Ernte und Nutztiere schützen

"Der Bauer hat ein intrinsisches Interesse daran, seine Ernte zu schützen. Das heisst, dass er immer wieder Massnahmen trifft, die ihn dabei unterstützen, seine Ernte vor möglichem Ausfall zu bewahren", erklärt Hofer. Das

sei nicht nur im Bereich der Wildtiere so, sondern beispielsweise auch, wenn Trockenheit droht. "Wenn bekannt ist, dass Wildtiere vor Ort sind, müssen gewisse Massnahmen getroffen werden", erklärt der

Lanat-Vorsteher, ergänzt aber im gleichen Atemzug, dass er damit aber die Schwierigkeit nicht bagatellisieren wolle. "Solche Dinge können für die Direktbetroffenen sehr hart sein. Wenn man ein Bild sieht, auf dem 63 Hirsche auf dem Land eines Bauern weiden, dann dürfen wir das auf keinen Fall negieren. Wir wollen die Betroffenen ernst nehmen." Und hier mache der Kanton Bern viel, ist der Lanat-Vorsteher sicher.

Beratend unterwegs

"Wir haben eine Wildhut, die das als Aufgabe wahrnimmt, vor Ort geht, die Schätzungen vollzieht und auch beratend zur Seite steht." Heuer hätten Wildhüter erstmals auch gezielt an Regionalversammlungen der Unterverbände des Berner Bauernverbands teilgenommen, mit dem Ziel, zu informieren. Die Kommunikation mit den Landwirten und das Wissen, wie die Abläufe im Bereich der Wildhut sind, sei etwas Zentrales. "Wir wollen die Betroffenen nicht alleine lassen und erachten es als wichtige Aufgabe, auf sie zuzugehen", so Hofer.

Lange fast ausgerottet

Es gab eine lange Zeit, in der die grösseren Wildtiere fast ausgerottet waren. Christian Hofer glaubt, dass genau dieser Umstand es noch schwieriger macht für die Betroffenen. Denn, nehmen diese Tiere wieder vermehrt Raum ein, den sie über lange Zeit nicht beansprucht haben, brauche es Anpassungen. Die Bejagung des Hirsches sei hart, erklärt Christian Hofer. Im Kanton Bern wurden 2018 1725 Hirsche geschätzt. Geplant war, 583 zu schiessen. Geschossen wurden schliesslich 587. Die Population soll sich so entwickeln, dass ein Nebeneinander möglich ist. Treten aber gehäuft Schäden auf, kann der Kanton reagieren. Nicht so bei Wolf und Co, wo es deutlich schwieriger ist. Grossraubtiere sind dem Grundsatz nach geschützt. Der Handlungsspielraum eines Kantons sei hier ganz klar beschränkt.

Nationale Debatte

"Die geschützten Wildtiere sind Teil der nationalen Debatte zur Revision der Jagdgesetzgebung. Es hängt sehr stark davon ab, wie auf nationaler Ebene mögliche Regulierungen auf der gesetzlichen Ebene festgelegt werden, oder eben auch nicht", weiss Hofer. "Wir müssen uns hier an die rechtlichen Rahmenbedingungen halten. Es gibt klare Regeln, ab wann ein Kanton bei einem geschützten Tier eingreifen kann. Und wenn er denn eingreift, kann von Bundesseite her sogar noch Einsprache gemacht werden", ergänzt der Lanat-Chef.

"Das ist nicht einfach der Jagdinspektor des Kantons Bern, der sagt, wir machen das jetzt so", schmunzelt Christian Hofer. So gebe es auch internationale ­Konventionen und Ansprüche, welche ganz einfach die Gesellschaft stellt. Die Rahmenbedingungen sauber und rechts­konform vollziehen und die Direktbetroffenen, sprich die Bauern, unterstützen, heisst also zusammengefasst der Plan, den der Lanat-Vorsteher verfolgt. Das hört sich etwas technisch an. Und ein wenig distanziert.

Hohe Emotionalität

"Die Betroffenheit und das Verstandenwerden", sagt Christian Hofer nach einer längeren Pause auf die Frage, wieso sich die Diskussion um den Wolf derart emotional gestalte. Früher gab es ein Nebeneinander von Wildtieren und Nutztieren. Es gab genügend Schalenwild (Hirsche, Gemsen, Rehe etc.), was die Beute der Grossraubitere war. Die Nutztiere waren behirtet. Dann wurde zuerst das Schalenwild fast ausgerottet und die Grossraubtiere sind auf die Nutztiere ausgewichen. Dann wurden die Grossraubtiere ausgerottet, über gewisse Jahre hinweg seien diese Tiere quasi inexistent gewesen.

«Es ist mir ein grosses Anliegen, dass den Bauern geholfen wird.»

Christian Hofer, Lanat-Vorsteher

Die Bauern konnten die Nutztiere frei weiden lassen. "Man muss sich das so vorstellen: Man ist im ländlichen Gebiet, hat eine bestimmte Form von Bewirtschaftung und jetzt kommen gewisse Tiere und verursachen Schäden und Kosten. Das verursacht Emotionen, einerseits wegen dem Verlust der Tiere und andererseits, weil man sich nicht verstanden fühlt von der Bevölkerung, die nicht direkt betroffen ist", sagt Hofer. Dass diese Tiere wieder Platz finden sollen in der Schweiz, sei ein gesellschaftlicher Entscheid. Das Parlament, also schliesslich die Gesellschaft, bestimme, mit welchen Tieren man wie umgehen solle. "Es ist mir ein grosses Anliegen, dass den Landwirten geholfen wird, aber andererseits auch, dass den Wildtieren der Raum gelassen wird, der gesetzlich vorgesehen ist", sagt Christian Hofer.

Zur Jagd im Kanton: www.vol.be.ch/vol/de/index/natur/jagd_wildtiere