«Hier auf dem Betrieb war der Wolf bisher kein Problem.» Als Präsident der Alpgenossenschaft Widderalp indessen sei der Herdenschutz ein präsentes Thema, sagte Pius Neff eingangs der Tagung «Herdenschutz in der Praxis», die kürzlich auf seinem Betrieb bei Schlatt AI stattfand. Organisiert wurde der Anlass von den Landwirtschaftsämtern der beiden Appenzell.

Wolfsbestände wachsen

Herdenschutzhunde kommen auf der Widderalp im Alpstein nicht infrage. Ein Grund sind die vielen Wanderer. Zudem ist es schwieriger, Alppersonal zu finden, wenn zusätzlich Erfahrung mit Herdenschutzhunden vorausgesetzt wird. Die Schafe werden nun seit 2021 mit etwa fünf Kilometern Zaun vor Wölfen geschützt. Bisher mit Erfolg. «Ob dies am Zaun liegt oder Glück ist, lässt sich allerdings nicht beantworten», so Pius Neff.

Carmen Näf, Herdenschutzbeauftragte von Appenzell Innerrhoden, führte die rund zwei Dutzend Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einer Übersicht zu den Reglementen und Verordnungen in das brisante Thema ein. Aktuell gibt es 26 Schweizer und 11 grenzüberschreitende Rudel. Die Entwicklung des Wolfsbestandes zeigt nach oben.

Rudelbildung vorhersehbar

«Auch mit einer aktiven Regulierung wird der Wolfsbestand zunehmen, jedoch verlangsamt», so der Ausserrhoder Wildhüter Silvan Eugster. Zur Wolfssituation im Appenzellerland und der Schweiz sagte er: «Rudel kommen nicht plötzlich. Meistens ist es vorhersehbar, in welchem Gebiet sich ein Wolfsverband bildet.»

Es dürfte so nicht mehr ewig gehen, bis sich um den Alpstein herum ein Rudel bildet. Wölfe ernähren sich von Wildtieren wie Hirschen, Rehen und Gämsen. Gleichwohl reissen sie immer wieder auch Nutztiere. Vor allem Schafe fallen ihnen zum Opfer. Der Wolf ist ein Hetzjäger, verfolgt die Tiere. Er nutzt das, was er am einfachsten findet: das schwächste Tier. Flüchtende Tiere lösen beim Wolf einen Tötungsinstinkt aus. «Wenn der kleinste Verdacht auf einen Wolfsriss bei einem Nutztier hinweist, ruft den Wildhüter an», appellierte Silvan Eugster. «Der Wildhüter kann so die Situation beurteilen und weitere Beteiligte informieren.»

Ein Rudel ganz nah

Bruno Hassler, Landwirt und Kutschner aus Valbella GR, hält auf seinem Betrieb 80 Ziegen mit zurzeit 70 Gitzi und rund 20 Schafen. «Der Wolf ist ein Riesenthema für uns», sagte Bruno Hassler zu Beginn seines Referats. So wie jetzt hier in Appenzell sei es bei ihnen vor fünf Jahren gewesen. Rund um den Betrieb, der in der Bergzone IIund IV liegt, lebten Wolfsrudel. Das «Lenzerhorn-Rudel» sei sogar ganz in der Nähe. «Wir haben höchstens zwei bis drei Nächte einen ruhigen Schlaf. Dann ist er wieder da», so der Bündner. «Ich habe den Wolf schon vom Schlafzimmer aus fotografiert.»

Polizei auf dem Betrieb

Um seine Tiere vor dem Wolf zu schützen, hält Bruno Hassler seit längerem Herdenschutzhunde. Die Haltung von Herdenschutzhunden sei eine Herausforderung, die für Startschwierigkeiten sorgte. Wiederholt sei die Polizei auf den Betrieb gekommen, weil seine Hunde bellen. Die Einheimischen hätten durchwegs verständnisvoll auf die Hunde reagiert. Am meisten Reklamation gegeben habe es im stark frequentierten Tourismusgebiet von den Zweitwohnungsbesitzern. Er müsse sich mit Paragrafen wehren, weil er seine Tiere schützen wolle, so Hassler. Herdenschutzhunde würden alles anbellen, was Reisszähne hat, erklärte Hassler: «Die Nutztiere sind die Familie der Herdenschutzhunde. Dafür stehen sie mit dem Leben ein.»

Zaun oder Hunde?

Skeptisch zeigt sich Bruno Hassler gegenüber Herdenschutzzäunen: «Der Maschenzaun hält die Wölfe für einen gewissen Zeitraum zurück.» Doch wenn der Wolf Hunger habe, springe er darüber. Wenn der Herdenschutz mit Hunden funktioniere, sei es wunderschön. Die Schulung und Haltung verlange allerdings einiges, damit die gewünschte Wirkung erzielt werden kann.

Sven Baumgartner, St. Galler Herdenschutzbeauftragter, zeigte im praktischen Teil verschiedene Zaunsysteme sowie deren Anwendung. Für ihn sei die erste Schutzmassnahme der Zaun: «Herdenschutzhunde sollen dort eingesetzt werden, wo ein Zaun nicht möglich ist.» Speziell erwähnte Baumgartner, dass gerissene Tiere nur entschädigt werden, wenn das Herdenmanagement stimmt.