Seit der Betriebsübernahme 2020 hat ein Bergbauer (Name der Redaktion bekannt) von Milchvieh auf Bio-Weiderinder umgestellt. Er schrieb in seinem Leserbrief, dass die Eltern 15 Milchkühe hielten. Er gab die Milchviehhaltung auf und hält nun 23 bis 25 Rinder und Ochsen zwischen halb- und zweijährig.
Rinder fressen mehr
Damit kommt er auf 9,5 GVE und erreicht noch knapp den Mindesttierbesatz. Er sagt: «Meine Tiere fressen deutlich mehr Futter als vorher die 15 Milchkühe. In diesem Jahr wird es aufgrund der Trockenheit eng mit dem betriebseigenen Futter, ich müsste eigentlich weniger Tiere halten. Aber wenn ich nicht mehr den Tierbesatz erreiche, fehlen mir rund 10'000 Franken», sagt der Landwirt aus dem Berggebiet. Seiner Meinung nach müsste der GVE-Faktor für Jungvieh mindestens um 0,1 GVE erhöht werden.
GVE und Sömmerungsbeiträge
Die GVE-Faktoren für Jungvieh sind nicht nur bei diesem Junglandwirt ein Problem, sondern auch für einige Alpbetriebe. So gibt es Rinderalpen, die wegen der 0,6 GVE-Faktoren für über 730 Tage alte Rinder die erforderlichen Normalstösse nur knapp erreichen. Mehr Tiere auf diesen Alpen würde aber zu Übernutzung führen, worauf die BauernZeitung schon 2020 hinwies. Liegt man unter den erforderlichen Normalstössen, werden die Sömmerungsbeiträge gekürzt. Andere Alpen sind froh, dass die GVE beim Jungvieh nicht höher sind. So können sie mehr Rinder sömmern.
Alles bleibt wie es ist, oder?
Auf taube Ohren stösst man mit dem Änderungswunsch des Bergbauern beim Bundesamt für Landwirtschaft. Der Mindesttierbesatz bleibe unverändert in Kraft. «Ob dieser ein Thema bei der Beratung der AP 22+ wird, ist offen. Aus unserer Sicht ist keine Anpassung vorgesehen», sagt Jonathan Fisch vom BLW. Auch bei den GVE-Faktoren für Rindvieh seien keine Änderungen geplant.
Begreiflicherweise ist der junge Landwirt aus dem Berggebiet enttäuscht. Er sagt: «Okay, das Thema ist für mich gegessen. Ich werde mich umorientieren und Lösungen finden müssen – eventuell Mutterkühe halten.»
GVE, Direktzahlungen und SAK
Die Faktoren für Grossvieheinheiten (GVE) aus der landwirtschaftlichen Begriffsverordnung fliessen in die Standardarbeitskräfte (SAK) ein und damit in das bäuerliche Bodenrecht zur Bemessung der Gewerbegrenze. Wichtig sind sie zum Erreichen des Mindesttierbesatzes für die Versorgungssicherheitsbeiträge. Auch spielen sie eine Rolle in den Tierwohlprogrammen, den Nährstoffbilanzen sowie in der Strukturverbesserungsverordnung. Wie viele GVE jede Tierkategorie ausmacht, ist also sehr relevant und vor allem einkommenswirksam.
Änderungen für Mutterkühe, Bisons, Lamas ...
Dazu gab es schon diverse Vorstösse und Änderungen. So zählen heute auf politischen Druck hin Mutterkühe und Bisons als 1 GVE wie Milchkühe. Für Lamas, Alpakas wurden ebenfalls GVE-Faktoren definiert.
Für Aufzuchtbetriebe schwierig
Die tiefen GVE-Faktoren für Jungvieh sind nicht nur ein Problem für Bergbauern und einige Alpen. Die BauernZeitung fragte nach bei Christian Freiburghaus, der in Neuenegg BE (Talzone) einen Betrieb mit Aufzuchtrindern führt. Freiburghaus sagt: «An das, was nicht zu ändern ist, muss man sich anpassen. Ist halt so mit der Agrarpolitik.» Wenn man bei einem tiefen GVE-Besatz nicht mehr auf die erforderliche Anzahl SAK komme, könne das einem jungen Betriebsleiter die Betriebsübergabe erschweren und den Weg für Investitionshilfen versperren. Dabei seien die GVE-Faktoren aber nicht das vordergründigste Problem. Was man seiner Meinung nach ändern müsse, sei die Berechnung der SAK: «Beispielsweise sollten nichtlandwirtschaftliche Bestandteile wie zum Beispiel Photovoltaikanlagen auch in die SAK-Berechnungen einfliessen, wenn sie eng verbunden sind mit landwirtschaftlichen Gebäuden», sagt Freiburghaus. Man sieht, das eine Problem führt schon zum nächsten.
Nationalrat Dettling forderte eine Erhöhung
Das Problem ist bekannt. Einer, der sich für eine Änderung stark machte, ist der Schwyzer Nationalrat (SVP) Marcel Dettling. So forderte er bereits 2017 in einem Postulat eine Erhöhung des GVE-Faktors um je 0,1 bei den Rindern im Alter von 365 bis 730 Tagen sowie von über 730 Tagen. «Der Bundesrat musste gegen seinen Willen den Vorstoss entgegennehmen», sagt Dettling. Passiert sei aber nichts. Laut der damaligen Antwort auf das Postulat, nachzulesen im Bundesratsberichts 2020, sagte das BLW unter anderem, dass durch eine Erhöhung des GVE-Faktors für Jungvieh der Tierbestand um total 32 600 GVE steigen würde und rund 30 200 Betriebe höhere Beiträge hätten. Die SAK der Ganzjahresbetriebe würden um rund 940 steigen. Mit dieser Antwort war für den Bundesrat das Problem erledigt und er schrieb das Postulat ab.
Marcel Dettling müsste, wenn er weiterhin eine Anpassung der GVE-Faktoren anstreben will, nochmals einen Vorstoss machen, und zwar verbindlich in einer Motion mit einem konkreten Auftrag an den Bundesrat.
«Ich habe es auf dem Radar», sagt Dettling, denn die Innerschweizer Betriebe mit Aufzucht hätten ein Problem bei Stallneubauten. Berechnet werden die Abmessungen für Aufstallungssysteme nach den Agroscope-Normen. Hochtragende Rinder mit 0,6 GVE brauchen aber gemäss den Stallbaunormen gleich viel Platz wie eine Milchkuh mit 1 GVE. Also muss grösser gebaut werden. Die Investitionshilfen jedoch richten sich nach der Anzahl GVE. «Diesbezüglich wäre für unsere Schwyzer Aufzuchtbetriebe eine Anpassung der GVE-Faktoren für Jungvieh wünschenswert.» Einen konkreten Vorstoss bezüglich Änderung der GVE-Faktoren plant Dettling in nächster Zeit nicht. Er versucht dies über die neue AP zu regeln.
«Wer hats erfunden?»
Da fragt man sich doch, «Wer hats erfunden?» Natürlich die FAT (heute Agroscope)! Die damalige Gruppe Arbeitswirtschaft erarbeitete seit Mitte der 1980er-Jahre arbeitswirtschaftliche Kennzahlen, denen zum Teil auch die GVE- und SAK-Faktoren zugrunde liegen. «Sowohl die heutigen Ansätze für die SAK als auch für die GVE-Faktoren sind auf jeden Fall diskussionswürdig, und haben nur noch zum Teil eine wissenschaftliche Grundlage», sagt Matthias Schick, damaliger Mitarbeiter der FAT.
Matthias Schick wechselte 2017 als Bereichsleiter zum Strickhof und zu Agrovet-Strickhof. Ein willkommener Anlass für die damalige Agroscopeleitung, die Tätigkeiten in den Bereichen Arbeitswirtschaft und Bauwesen grösstenteils abzuschaffen. «Niemand kennt mehr die Grundlagen und keiner beschäftigt sich wissenschaftlich mit den GVE-Faktoren», so das Fazit von Schick.
Es braucht politischer Druck
«Gschrüblet» wird viel an der Agrarpolitik, meistens stehen da weder das Wohl eines Bauern im Mittelpunkt noch die praktische Umsetzung, sondern politisch-gesellschaftlicher Druck. Das ist zum einen schlecht – siehe Massentierhaltungs-Initiative –, zum anderen ist politischer Druck nötig, damit sich auch etwas bezüglich GVE-Faktoren bewegen würde. Bleibt abzuwarten, ob dies auch in der Parlamentsberatung zur neuen Agrarpolitik aufs Tapet kommen wird.