Als wäre sie im Zirkus, steigt Svea ganz selbstverständlich mit ihren Vorderbeinen auf das handgezimmerten Podest. «Svea ist mehr Pferd als Kuh», sagt Sibylle Zwygart mit einem Lächeln. Das Tier ist eine ihrer vier Kuschelkühe.
Es war der 11. Juli 2013 als Sibylle Zwygarts Lieblings-Jerseykuh Sarna die Drillinge Svea, Svenja und Sven zur Welt brachte. Leider hatten Svens männliche Hormone bereits im Bauch des Muttertiers auf seine Schwestern gewirkt. Sie verhinderten die Entwicklung der Geschlechtsorgane bei Svea und Svenja, so dass die beiden unfruchtbar waren. Sven wäre zwar normal fruchtbar gewesen, aber Sibylles Vater hatte damals keine Verwendung für einen Stier.
Gesucht: Arbeit für die Drillinge
Die Tochter überredete den Vater, die Drillinge dennoch zu behalten. Sie musste ihm jedoch versprechen, mit den Dreien Geld zu verdienen und ihnen eine sinnvolle Aufgabe zu geben. Eigentlich sogar den Vieren, denn zur Kuschelkuh-Familie gehört auch Sibylles «Seelenkuh» Pierra, die sie ihrem Vater abgekauft hatte. Pierra ist eine Kuh der Rasse Swiss Fleckvieh.
Zuerst bot Sibylle Zwygart mit ihren vier Kühen Bauernhofstunden für Kinder an, damit etwas Geld in die Kuh-Kasse kam. Das Angebot stiess aber auf wenig Nachfrage. Bald darauf kam Sibylle auf die Idee, Paten für ihre Kühe zu suchen. «Das allein erschien mir jedoch zu einseitig, ich wollte mit den Tieren eine Gegenleistung erbringen.»
Erfolge mit Kuhkuschel-Angebot
Schliesslich stiess die 28-jährige Baselbieterin auf eine Idee aus Holland: Kuhkuscheln. Dabei erfahren angespannte Menschen im Kontakt mit den tiefenentspannten Kühen eine Stressminderung. Das Kuhkuscheln kam an. «Als ‹Buure-TV› zum Filmen vorbeikam und bald darauf die Zeitung ‹20 Minuten› anklopfte, kam richtig Schwung in die Sache», sagt die Tierärztin.
Mit viel Herzblut bot Sibylle Zwygart beinahe jedes Wochenende Kuhkuscheln an. Bis es ihr zu viel wurde. Die Doktorandin, die aktuell an ihrer Dissertation an der Nutztierklinik in Bern arbeitet, entschied kürzer zu treten. Mittlerweile sind Kuhkuschelstunden nur noch sporadisch möglich. Viel lieber vermittelt sie in Kursen Wissen zur Sprache der Kühe. Beispielsweise lernen die Kursteilnehmer, wie sie sich als Wanderer in der Nähe von Mutterkuhherden richtig verhalten.
Praxisorientiert erleben die Teilnehmer die «Sprache der Kühe» beim Herumtreiben der Drillinge gleich selbst. Sibylle Zwygart selber hat diese Sprache schon immer verstanden. Kaum konnte sie laufen, fand man sie regelmässig zwischen, auf und manchmal fast unter den Kühen im Stall. «Mein Grossvater hat sich ständig Sorgen gemacht, dass sie mich verletzen. Aber ich hatte schon immer eine ganz besondere Beziehung zu Kühen.»
Kuhflüstern als Lebensschule
Noch einen Schritt weiter geht Sibylle Zwygart mit ihren «Natural Cowmanship»-Kursen. Es geht dabei um die Zusammenarbeit von Tier und Mensch. Die Bezeichnung stammt ursprünglich aus dem Pferdebereich und wird dort «Natural Horsemanship» genannt. Die Methode wurde vom amerikanischen «Pferdeflüsterer» Pat Parelli entwickelt. Ihr Ziel ist, ein Pferd auszubilden, ohne es dabei mit Druck zu unterwerfen oder gar seinen Willen zu brechen.
«Pferde kann man noch eher mit Druck unterwerfen, Kühe hingegen nicht», sagt Sibylle Zwygart. Kühe brauchen viel Geduld und Motivation, sonst schalten sie auf stur. Auf die Idee, Kühe zu erziehen, kam sie aus der Not heraus. Sie wollte unbedingt ein eigenes Pferd haben, bekam aber keines. «So habe ich halt angefangen, mit Pepsi, der Mutter von Kuschelkuh Pierra, einfache Dressurübungen zu machen.»
Ihre vier Kuschelkühe beherrschen nicht alle die gleichen Übungen. Aber einen Schlitten ziehen, können mittlerweile alle vier. Vor allem Svenja liebte diese Aktivität und liess sich sehr fein über die Zügel lenken. Doch wenige Wochen nach dem Interview-Termin musste die Kuh zu Sibylle Zwygarts grösstem Bedauern eingeschläfert werden. Von Kindern bis maximal 40 Kilogramm können die Kuschelkühe auch geritten werden. Hier ist es Ochse Sven, der sich gerne zuvorderst einreiht. Sveas Stärke ist die Bodenarbeit. Sie kann zum Beispiel seitwärts gehen, was für eine Kuh nicht ganz einfach zu erlernen ist.
Geduldstraining für Zweibeiner
Geduld braucht es bei allen Kuschelkühen. So legen sie sich weder auf Kommando hin, damit man mit ihnen kuscheln kann, noch lassen sie sich vorschreiben, wann sie Mittagsruhe halten oder Wiederkäuen. Der Mensch muss sich der Kuh anpassen, nicht umgekehrt. Als Gegenleistung bringen sie den Zweibeinern Geduld bei. Oder auch, professioneller zu führen. «Soll eine Kuh tun, was man von ihr möchte, muss man voll und ganz von sich überzeugt sein. Kühe merken jede noch so kleine Unsicherheit.» Deshalb könnte sich Sibylle Zwygart vorstellen, künftig mit ihren Kühen auch Führungsseminare anzubieten. Denn wer eine Kuh dazu bringt, rückwärts oder im Kreis zu laufen, erfährt mit dem eigenen Körper, was echte Führungsqualität bedeutet.
Svea ist mittlerweile vom Podest hinuntergestiegen. An der Seite ihrer Kuschelfreunde beginnt sie, in aller Ruhe wiederzukäuen. Mit einer Gelassenheit und Achtsamkeit, die vielen Menschen guttun würde.
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