«Rund 80 Prozent meiner Arbeit auf der Alp habe ich wegen dem Wolf», rechnet Philipp Jacobi vor. Alleine das Material, 70 Elektronetze, Flatterbänder, zwei unabhängige Viehhüter und vieles mehr. Für den Nachtpferch der 750 Schafe auf dem Hochplateau der Alp Stutz bei Splügen braucht er 20 Elektronetze. Bewacht werden die Schafe Tag und Nacht von fünf Kangalhunden. Rund drei Kilometer Elektrozaun schützen die Alp. Trotzdem hat Jacobi schon 24 Schafe an den Wolf verloren.
Lücke im Herdenschutz
«Sind die Hunde im Nachtpferch, spaziert der Wolf seelenruhig über den Grat. Der weiss genau, wann er flüchten muss und wann nicht», schildert Philipp Jacobi. Findet er abends nicht pünktlich alle Schafe, stehen sie manchmal morgens neben dem Nachtpferch, manchmal sind sie gefressen. Einige Weiden kann er nicht mehr nutzen, da er die Schafe dort nicht rechtzeitig zusammentreiben kann. Und eine weitere Lücke im Herdenschutz hat der Wolf entdeckt, nämlich dann, wenn es regnet oder Nebel hat. Ohne Sicht und mit Nebengeräuschen verlieren die Hunde den Überblick und bemerken so den Angriff nicht. So finden Angriffe tagsüber meist dann statt, wenn es auch für die Hirten zu rutschig und zu gefährlich ist, den Schafen nachzusteigen.
Hohe Kosten
Dank einem mobilen Wohncontainer ist immer jemand auf der Schafalp. Früher reichte ein Besuch alle ein oder zwei Tage zum Überwachen der Tiere. Heute überlegt sich Jacobi, ob es im nächsten Jahr einen zweiten Hirten braucht. Die Arbeit sei kaum zu schaffen und immer, wenn sich im System eine Lücke auftue, schlage der Wolf zu. Das sei extrem belastend und er wünscht sich Unterstützung: «Gute Hirten mit ausgebildeten Border-Collies zu finden ist fast unmöglich und kostet. Rund 25 000 Franken kostet mich ein Hirte pro Sommer», rechnet er vor. Kosten und Aufwände muss er selbst tragen. Alleine die Hunde kosten jedes Jahr rund 13 000 Franken. Dabei rechnet er eine halbe Stunde Arbeit pro Hund und Tag und keinen Akademikerlohn, wie er betont. Und dann, wenn er sie wiedermal unten im Dorf abholen muss, reicht die halbe Stunde bei weitem nicht. Das Futter kauft er palettenweise. 20 Kilogramm reichen ein paar Tage, die Tiere haben Stress, legen täglich viele Kilometer zurück, das braucht Kalorien. «Und im Winter kann ich sie nicht einfach in den Keller packen. Ich muss sie auch in den übrigen neun Monaten artgerecht halten und beschäftigen», betont er. Und da hat er auf dem Heimbetrieb im bernischen Meikirch schon mit Bikern, Joggern und Anwohnern intensive Diskussionen über die Wiederansiedlung des Wolfes und Sinn und Zweck von Herdenschutzhunden führen dürfen. «Stressen lasse ich mich davon nicht», sagt er und macht eine bedeutungsvolle Pause.
Alle Hunde erlaubt
Ein Kränzchen windet er dem Kanton Graubünden und der dortigen Herdenschutzfachstelle. Seine Kangals hatte er nämlich am offiziellen Zulassungsverfahren des Bundes vorbei selber gekauft. Teils im Ausland, weil hier keine zu bekommen sind. Da wusste er nicht, ob sie jemals als offizielle Herdenschutzhunde anerkannt werden. Doch in diesem Frühling sei es plötzlich schnell gegangen und der Kanton Graubünden habe im Eilverfahren alle Hunderassen für den Herdenschutz erlaubt. Schuld daran sind auch die schleppenden Verfahren des Bundes, wo die Antragsteller mehrere Jahre erfolglos aufHerdenschutzhunde warten. Eingesetzt werden dort lediglich Maremmano Abruzzese und Montagne des Pyrénées, zwei eher gemütliche Rassen, die vor allem bellen wenn der Wolf kommt. Erspähen hingegen die Kangals von Philipp Jacobi den Wolf, dann gehe es wüst: «Dann erkenne ich meine Hunde kaum wieder», sagt er, der mehrmals erlebte, wie die Hunde den Wolf abwehren. Doch der habe inzwischen genau gelernt, Distanzen einzuschätzen und wisse, wann er rennen müsse und wann nicht – und wann er gefahrlos ein Schaf erbeuten kann.
Ungewisse Zukunft
Besonders ein alter, erfahrener Wolf hat sich auf die Alp Stutz spezialisiert. Aus irgendeinem Grund munden ihm die Schafe von Philipp Jacobi trotz Zaun und Hunden besonders gut. Der töte sehr schnell und lautlos, fresse in kurzer Zeit grosse Teile des Schafes auf. Immerhin. Aber das Rudel hat sieben Welpen und die lernen von ihm, wo es die besten Schafe gibt. Von den geplanten Abschüssen erhofft sich Jacobi wenig. Auf die Frage, was er noch besser machen könnte beim Herdenschutz, hat er keine Antwort. Vielleicht mehr Hunde. Aber Ärger und viel Arbeit hat er schon mit fünf. Ein Rudel Kangals zu handeln ist kein Spaziergang, ganz abgesehen von den Kosten. Und bis das Rudel gut zusammenarbeitet, vergehen wieder zwei Jahre. Ob er dann den täglichen Kampf noch kämpfen mag? «Aufgeben möchte ich nicht, aber es ist alles extrem zermürbend, was man uns hier zumutet», sagt er und blickt in eine ungewisse Zukunft.