Hat die liberale Agrarpolitik zu einem Riesenschlamassel geführt? Die Antwort der Kontrahenten an der Wintertagung des landwirtschaftlichen Bezirksvereins Winterthur war ein klares Ja – wenn auch aus verschiedenen Gründen:
Nationalrätin Marionna Schlatter (Grüne) fand, die liberale Landwirtschaftspolitik beziehungsweise Ernährungswirtschaft sei ein Scherbenhaufen. Peter Grünenfelder, Direktor Avenir Suisse und Zürcher Regierungsratskandidat FDP, bashte die orangen Riesen und die Fenaco. Urs Wegmann, Landwirt aus Hünikon und Kantonsratskandidat SVP, kritisierte das Bundesamt für Landwirtschaft.
«Wir brauchen Perspektiven»
Was alles schiefläuft, wissen die Bauern am besten. Marc Peter, Landwirt aus Wiesendangen und Präsident des landwirtschaftlichen Bezirksvereins Winterthur, brachte es in seinem Eingangsreferat auf den Punkt: «Wettbewerbsfähig heisst einfach, mehr aus dem Betrieb und der Bauernfamilie herauspressen. Kehrtwenden sind aufgrund der hohen Investitionskosten und Verschuldung schwierig.» Die Bauern seien blockiert. Keiner wisse so recht, was machen. Was die Landwirtschaft brauche, seien Perspektiven und nicht Wunschdenken. Apropos Wunschdenken, die Referenten sollten tragbare Lösungen aufzeigen.
Ökologische Belastungsgrenze beachten
Laut Marionna Schlatter ist das heutige System aus einem Fortschrittsglauben entstanden, weil man es halt nicht anders beziehungsweise besser wusste. Sie plädiert für eine ausgewogene Entwicklung innerhalb der ökologischen Belastungsgrenzen und faire Preise für die regionale, bäuerliche Landwirtschaft. Ausserdem forderte sie Ernährungssouveränität statt Konzernmacht, sprach sich für das Gentech-Moratorium aus und dass mindestens 30 Prozent der Nutzfläche prioritär der Biodiversitätsförderung dienen solle.
Griffiges Wettbewerbsrecht
Zu den Vorschlägen von Schlatter meinte Peter Grünenfelder, dass es sich dabei um ein reines Regulierungspaket handle. Ihm ist vor allem die hohe Konzentration entlang der Wertschöpfungskette ein Graus. Er schätzt, dass rund 80 Prozent der Güter des täglichen Bedarfs von Migros, Coop oder der Fenaco stammen, und fordert ein griffiges Wettbewerbsrecht für die vor- und nachgelagerten Bereiche der Landwirtschaft. Zur Rechtsform Genossenschaft, wie es Migros, Coop und die Fenaco sind, sagte er, dass es sich um intransparente Strukturen ohne sichtbare Eigentümer handle, die immer mehr Mitbewerber aufkauften.
Abbau der Bürokratie
Ein weiterer Kritikpunkt ist für Peter Grünenfelder die Bürokratie. Der unternehmerische Freiraum der Landwirtschaft werde durch geschätzte 4000 Seiten Regulierungsvorschriften gebremst. Heute brauche fast jeder Betrieb einen juristisch geschulten «Knecht». Demzufolge sei eine Deregulierung notwendig und ein Abbau der Bürokratie.
«Heute braucht fast jeder Betrieb einen juristisch geschulten Knecht.»
Peter Grünenfelder, Direktor Avenir Suisse
Auch wenn Wahljahr ist, die Bauern wissen, was realistisch ist, und lassen sich nicht blenden. So meldete sich aus dem Plenum Simon Steinmann, Landwirt aus Ohringen, zu Wort. In keiner Branche sei ein Bürokratieabbau erreicht worden. Der Verwaltungsaufwand steige in jedem Bereich, sagte er nüchtern. Administrativer Abbau ist demzufolge eine Illusion.
«Bauern in der Falle»
Bürokratieabbau war denn auch kein Thema vom dritten Referenten, Landwirt Urs Wegmann. Er zeigte anhand seiner Betriebsentwicklung seit der Hofübernahme 2007, dass er heute eigentlich «in der Falle» sitze. Erst recht, seit er im vergangenen Jahr in einen Melkroboter investiert habe.
Was die Agrarpolitik gebracht habe? «Mehr Ausrichtung auf den Markt, eine massive Reduktion der Hilfsstoffe, Steigerung des Tierwohls und grosse Anstrengungen für eine Verbesserung der Biodiversität», sagt er, wenn Letztere auch nicht gefruchtet hätten. «Im Gegenzug sind wir der Politik mehr denn je ausgeliefert.» Die Einkommen in der Landwirtschaft seien immer noch unterdurchschnittlich, und der Trend zu Nebenerwerbsbetrieben halte an, fasste Wegmann seine Kritik zusammen.
