Abo Das Schweizer Mittelland ist stark landwirtschaftlich geprägt. Hier wurde bezüglich ökologischer Infrastruktur ein grosses Defizit festgestellt. Strategie Biodiversität Beschluss bekommt Risse: Was wird nun aus der Ökologischen Infrastruktur? Tuesday, 19. December 2023 Der Mensch mag klare Grenzen. Sie machen das Leben – und die Landwirtschaft – einfacher: Hier das Ackerland, das Gemüsebeet oder die Weide, da die Biodiversität. Beides mit Nützlingsstreifen, Hecken oder Feldbäumen zu vermischen, macht die Bewirtschaftung komplizierter. Dafür sind die Nützlinge vor Ort, Laufkäfer können Schneckeneier vertilgen, Schwebfliegenlarven eine Blattlausinvasion verhindern und Wiesel die Schermäuse in Schach halten.

«Land Sparing» in Amerika

Es ist eine von zwei grundlegenden Strategien zum Erhalt der Biodiversität, den Naturschutz nicht auf speziell reservierte Gebiete zu beschränken. Die Fachwelt spricht von «Land Sharing», also dem Teilen von Landflächen. Das Gegenteil ist «Land Sparing», man kann es gut am Beispiel von Amerika erklären: Dort gibt es riesige zusammenhängende Ackerbaugebiete, auf denen Getreide oder Mais wächst. Sonst nichts. Daneben wird in Nationalpärken touristenwirksam die Wildnis zelebriert. Wohl einer der bekanntesten ist der Yellowstone-Nationalpark, für die Natur gleichsam «aufgespartes» Gebiet.

Nun liegt es aber in der Natur der Sache, dass sich Biodiversität schlecht an einem Ort stellvertretend für andere sammeln und bewahren lässt. Im Yellowstone gibt es ganz andere Lebensräume, als sie in den ackerbaulich genutzten Ebenen möglich wären. Entsprechend sind auch die Arten im Park nicht jene, die andernorts leben würden. Das ist einer der Haken beim Ansatz von Land Sparing. Der andere ist der Umstand, dass die verbliebene Landwirtschaftsfläche Gefahr läuft, durch intensive Nutzung ausgelaugt und mit der Zeit ihrer Fruchtbarkeit beraubt zu werden. Im Falle von Amerikas Korngürtel und mit den Luftaufnahmen endloser Getreidefelder vor Augen, ist das gut vorstellbar.

Die Wissenschaft sagt ja

Aber was ist mit der Schweiz? Sie ist um ein Vielfaches kleiner und kleinräumiger als Amerika. Braucht es bei unseren kleinen Feldern, die obendrein mit einer geregelten Fruchtfolge und im Rahmen diverser Programme zu einem wachsenden Teil eher extensiv bewirtschaftet werden, überhaupt noch weitere Bemühungen in Richtung Land Sharing?

Die Wissenschaft sagt Ja. Eine Studie aus dem Jahr 2023 kommt zu dem Schluss, dass 30 Prozent der Schweizer Landesfläche zum Schutz der Biodiversität eingesetzt werden müssen, um diese zu erhalten. Mit dem Ansatz von Land Sharing bedeutet das nicht, dass auf allen diesen Flächen keine angepasste Nutzung mehr stattfinden darf. Wertvolle Lebensräume wie Trockenwiesen und -weiden sowie artenreiche Fettwiesen sind z. B. grösstenteils auf eine extensive Nutzung angewiesen. So lässt sich auch verhindern, dass der Druck – und damit die Intensität – auf den verbliebenen Landwirtschaftsflächen steigt.

Neben den 30 Prozent der Landesfläche geistert der Begriff der ökologischen Infrastruktur durch die Politik. Beides betrifft nicht nur die Landwirtschaft: Erstens braucht es auch im Siedlungsraum Lebensräume und zweitens müssen diese mit dem Umland sowie untereinander vernetzt sein. Dank dieser ökologischen Infrastruktur finden verschiedene Tier- und Pflanzenarten einen Ort zum Überleben und ihre Populationen können sich austauschen.

Der Mensch hängt auch mit drin

Lohnt sich der Aufwand? Ja, denn es geht um mehr als den Erhalt ein paar schöner Schmetterlinge. Es sind Netze aus Arten, die zusammen- und voneinander abhängen. Es wäre anmassend, zu glauben, die Wissenschaft würde alle Beziehungen in diesem Netz verstehen und könnte daher die Folgen des Artenverlusts vorhersehen. Der Mensch hängt ebenfalls mit drin, auch wenn man unsere Spezies allzu oft aus der Natur ausklammert. Je mehr Lebensräume, Arten, Sorten sowie Populationen erhalten bleiben und miteinander im Austausch stehen, desto sicherer wird das Netz. Darauf sind wir angewiesen, gerade im Hinblick auf die Folgen des Klimawandels, die sich längst bemerkbar machen. Weiterhin bleibt das Austarieren von Biodiversitätsschutz und Lebensmittelproduktion nicht einfach. Aber angesichts von enormem Food Waste und ungesunder Konsummuster gibt es auf der Nachfrageseite klaren Handlungsspielraum. Im Gegensatz dazu lassen sich die Bedürfnisse von Laufkäfern, Wieseln oder Feldlerchen nicht verhandeln.

Heile, kleine Welt in der Schweiz und produktives Vollgas in den USA? Man muss ja nicht überall dieselben Fehler machen. Manche sagen auch, es sei kein Wunder, dass die Regenerative Landwirtschaft in den USA entwickelt worden ist – die dortigen Landwirt(innen) hätten schlicht keine andere Wahl gehabt, als nach ganz neuen Wegen zu suchen.

Die Schweizer Landwirtschaft macht vieles gut und verbessert sich laufend. Es ist auch in ihrem Eigeninteresse, das zu tun. Und es gilt, die dafür nötige Unterstützung einzufordern.