Der indirekte Gegenvorschlag zur Biodiversitäts-Initiative ist vom Tisch. Seine Kernforderung – der Aufbau einer Ökologischen Infrastruktur (ÖI) – ist aber bereits seit über zehn Jahren beschlossen. Die kantonale Planung befindet sich in der Umsetzung. Was bedeutet das?

Lebensräume sichern

Abo Holzzäune sind eine beliebte Massnahme für die Landschaftsqualitätsbeiträge. Ob diese Massnahme nach dem Zusammengehen von Landschaftsqualität und Vernetzung noch Bestand haben wird, wird sich weisen. Tagung Fusion Landschaftsqualität und Vernetzung: Was bleibt? Was kommt? Monday, 20. November 2023 «Eine Infrastruktur dient laut Definition der Daseinsvorsorge», zitiert André Stapfer von der Fachgruppe Ökologische Infrastruktur. Darin engagieren sich neben Umweltverbänden die Kantone, städtische Fachstellen und die Forschung. «Mit dem Begriff ÖI wird dem Vorhaben die Bedeutung gegeben, die es verdient», findet Stapfer. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) definiert die ÖI kurz gesagt als Netzwerk natürlicher Flächen, das die diversen Lebensräume in der Schweiz sichert.

Je nach Region und Höhenstufe sei der aktuelle Zustand der ÖI sehr unterschiedlich. André Stapfer bezeichnet neben kaum genutzten, naturnahen Gebieten im alpinen Raum auch die Biodiversität im Schweizer Kulturland als wertvoll. Hierbei habe man das grösste Defizit in den Tallagen und dem Mittelland festgestellt. Wichtig ist neben der Qualität der Flächen deren räumlich Verteilung, damit einheimische Arten sich frei bewegen können – ÖI braucht es im Siedlungsraum genauso wie im Landwirtschaftsgebiet. Gerade auch Siedlungen, Gewässer, Bahn- und Strassenborde, alpine Flächen usw. sollten einen wichtigen Beitrag zur ÖI leisten, stellt André Stapfer fest. «Hier ist das Potenzial gross und der Einbezug dieser Flächen muss hohe Priorität haben.» Dank der ÖI lasse sich eine Biodiversitätslücke verhindern, von der die Landwirtschaft als Erste betroffen wäre. «Wenn solche Massnahmen in allen Bereichen – eben nicht nur in der Land- und Forstwirtschaft – gut geplant und sinnvoll vernetzt angelegt werden, ist allen geholfen», sagtStapfer.

«Der Nutzen ist enorm und wird deutlicher.»

André Stapfer, Fachgruppe ÖI über die ökologische Infrastruktur.

Umsetzung im Gange

Der Bundesrat hat 2012 in seiner Strategie Biodiversität und dem zugehörigen Aktionsplan festgelegt, dass eine ÖI schweizweit aufzubauen, zu erweitern und zu unterhalten sei. Die Kantone waren angewiesen, bis April 2023 einen «möglichst fortgeschrittenen Entwurf» der entsprechenden Planung einzureichen. «Die Umsetzung der Aufträge gemäss Programmvereinbarung ist im Gange», heisst es auf Nachfrage beim Bafu. Die Planung sei in den Kantonen zusammen mit allen betroffenen Politikbereichen (Landwirtschaft, Jagd, Fischerei, Natur- und Landschaftsschutz) erarbeitet worden. In der Landwirtschaft setze man sie mit bestehenden Instrumenten wie Biodiversitätsförderflächen und Vernetzungsprojekten um.

Viele Kantone geben auf ihren Websites einen Einblick in ihre Arbeit zur ÖI. So erklärt der Kanton Bern, man koordiniere im Rahmen der Ökologischen Infrastruktur die bestehenden Instrumente und Planungen, wo nötig werde ergänzt. Neben Kern- und Vernetzungsgebieten (Lebensräume zur Entwicklung und Fortpflanzung von Arten sowie Korridore als Verbindungswege) definiert der Kanton Bern Schwerpunkträume. Darin müssten die Qualität bestehender Gebiete verbessert oder aber neue Kern- bzw. Vernetzungsgebiete geschaffen werden.

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Der Strategie Biodiversität des Bundes zufolge sollten bis 2020 17 % der Schweizer Landesfläche als Kerngebiete der ÖI ausgeschieden werden. Dazu gehören nationale, regionale und lokale Biotope, deren Fläche sich 2021 allerdings auf lediglich 13,4 % belief (siehe Grafik). Das war für den Bundesrat einer der Gründe für die Ausarbeitung des indirekten Gegenvorschlags zur Biodiversitäts-Initiative. Wissenschaftlich ausgewiesen sei indes ein Bedarf von rund 30 % der Landesfläche zugunsten der Biodiversität für deren Erhalt in der Schweiz. Zur selben Zielgrösse – weltweit zu erreichen bis 2030 – hat sich die Schweiz mit der Unterzeichnung des Montreal-Abkommens bekannt.

Bei der Diskussion um die ÖI und wie gross deren Fläche sein soll, ist die Definition der dazugehörigen Kern- und Vernetzungsgebiete zentral. Was die Landwirtschaft angeht, werden von den Behörden QII-Flächen als Kerngebiete angesehen.

In Zahlen

30 Prozent der globalen Landesfläche für die Biodiversität – das verlangt das Abkommen von Montreal.
30 Prozent verlangt auch eine aktuelle Studie zur Sicherung der biologischen Vielfalt in der Schweiz.
17 Prozent Kerngebiete bis 2020 war das Ziel der Strategie Biodiversität des Bundes.
13,4 Prozent wurden bis 2021 erreicht.
23 Prozent der Landesflächen lassen sich laut Albert Rösti bereits für das Montreal-Zielanrechnen.
28 Prozent wären es ihm zufolge bis 2030, ohne neue Flächen ausscheiden zu müssen.
2024 kommt die Biodiversitäts-Initiative vors Volk.

In Einklang bringen

Die Umsetzung des Aktionsplans Biodiversität geht ab 2025 in die zweite Phase, für die auch eine Überprüfung der Ziele der Strategie Biodiversität vorgesehen ist. «Die Schweiz wird prüfen, ob und wie ihre Gebiete für die Biodiversität mit dem neuen Flächenziel des Übereinkommens von Montreal in Einklang gebracht werden können», so das Bafu.

Im Gegensatz zur Biodiversitäts-Initiative, deren Abstimmungskampf 2024 bevorsteht, ist das 30-Prozent-Ziel des Montreal-Abkommens bereits bindend. Aber Umweltminister Albert Rösti hat mehrfach betont, keine «harte Umsetzung» anzustreben, so auch im Ständerat. «Ich möchte etwas Entwarnung geben», sagte Rösti in der kleinen Kammer. Das Bafu habe berechnet, wie viele Schutzflächen in der Schweiz anrechenbar wären, und sei auf 23 % gekommen. «Wenn man alle Gebiete hinzuzählt, die noch zu schützen sind und von den Kantonen dafür eigentlich aufgegleist sind, wird der Anteil bis 2030 etwa 28 % betragen.» Nicht eingerechnet seien allerdings z. B. nicht mehr bestossene und nicht mehr genutzte Alpen, die aber sicher als Biodiversitätsflächen zählbar wären, so Rösti. «Wenn jetzt die Schweiz irgendwie auf internationalen Druck hin da noch mehr machen müsste, hätten wir sicher die nötigen Flächen.»

Die Debatte zum Gegenvorschlag zur Biodiversitäts-Initiative werde in die weitere Umsetzung des Aktionsplans Biodiversität einfliessen, stellte der Umweltminister in Aussicht. Es sei klar gesagt worden, dass man den Bereich der Ökologischen Infrastruktur hier nicht aufnehmen möchte. «Das werden wir entsprechend berücksichtigen», sagte Albert Rösti.

«Wir hätten die nötigen Flächen.»

Bundesrat Albert Rösti zu den Verpflichtungen im Rahmen des Montreal-Abkommens.

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Kostenlose Beratung

Noch ist also nicht entschieden, wie konkret der politische Druck zum weiteren Aufbau der ÖI in Zukunft ein wird. Aber «ÖI-Betroffene sind immer auch ÖI-Nutzende», bemerkt André Stapfer. Der Nutzen sei enorm und werde immer deutlicher, sei es im Zusammenhang mit Nützlingen, Trinkwasserversorgung, Naturgefahren oder dem Klimawandel. Als wesentlich erachtet er in der Landwirtschaft eine kostenlose betriebliche Beratung zum Thema Biodiversität. Damit würden Wirksamkeit und Akzeptanz der Massnahmen für eine bessere ÖI gestärkt. «Es darf nicht sein, dass Beratungen zum Pflanzenschutz auf dem Hof gratis sind und die Landwirte für eine ökologische Beratung zahlen müssen», findet Stapfer. Ausserdem müsste der Bereich Ökologie seiner Meinung nach in der Ausbildung deutlich vertiefter unterrichtet werden. Dies im Sinne der «Produktion» artenreicher Lebensräume als ebenfalls wichtiger Zweig des landwirtschaftlichen Einkommens.

Biodiversitäts-Initiative zur ÖI

Da sie auf Verfassungsebene ansetzt, ist die Biodiversitäts-Initiative wenig konkret formuliert. Sie will u. a. festlegen, dass Bund und Kantone für die zur Sicherung und Stärkung der Biodiversität erforderlichen Flächen, Mittel und Instrumente sorgen. Damit dürfte (auch) die Ökologische Infrastruktur (ÖI) gemeint sein.

Ohne Flächenziel
Der indirekte Gegenvorschlag war da sehr viel konkreter und sollte ursprünglich das Ziel von 17 % der Landesfläche als Kerngebiet für die Biodiversität ins Gesetz schreiben. Die am Ende abgelehnte Version hatte sich auf Massnahmen im Siedlungsraum beschränkt und kein Flächenziel mehr enthalten.

Zu wenig Spielraum
Eine Hauptkritik an der Biodiversitäts-Initiative betrifft geforderte Bewahrung schützenswerter Landschaften, Ortsbilder, geschichtlicher Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler. Da der «Kerngehalt der Schutzwerte ungeschmälert» erhalten werden müsste, sehen die Gegner zu wenig Spielraum für Güterabwägungen. V. a. Landwirtschaft und Energieproduktion würden eingeschränkt, so die Befürchtung.