Bis 2027 müssen die Kantone Projekte für regionale Biodiversität und Landschaftsqualität aufgleisen. Man würde meinen, die rund drei Jahre bis dahin würden reichen, um alles auf die eine «neue» Spur zu bringen. Zumindest der Kanton Graubünden hat das schon geschafft (siehe Kasten). Aber so ist es nicht, zumindest nicht in den Augen der übrigen kantonalen Amtsstellen, die sich zusammen mit dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) an einer von der Agridea organisierten Tagung am Inforama Rütti in Zollikofen zusammenfanden.
Zeitplan setzt unter Druck
Der Zeitplan ist zu ambitiös, hiess es seitens der Teilnehmer(innen), insbesondere, da die entsprechenden Richtlinien noch gar nicht bekannt sind. Der vorgesehene Fahrplan hängt von den Ergebnissen der Vernehmlassung ab. Folgendes ist geplant:
- Mitte Jahr 2024: Entwurf der BLW-Richtlinie
- Herbst 2024: Endgültige Fassung der Richtlinie
- Januar 2024: Ausführungsbestimmungen gehen in die Vernehmlassung
- 2025 bis 2026: Die Kantone müssen die neuen Projekte auf die Beine stellen, die unter Art. 76 e LwG laufen würden.
- 2026: Projekte für die Bewilligung beim BLW einreichen
- Ab 1.1. 2027: Projekte laufen
«Das Ziel ist vereinfachen, Wirkungsorientierung und Synergien nutzen», sagte Matthieu Raemy vom BLW an der Tagung. Es muss ja nicht alles neu erfunden werden, sondern es können bewährte Massnahmen weitergeführt und andere Massnahmen verbessert werden. Hierbei zeigt sich einmal mehr, dass es einfacher ist, neue Gesetze und Verordnungen zu kreieren, als diese abzuschaffen oder wie in diesem Fall zu fusionieren. Zurzeit gibt es 137 Landschaftsqualitätsprojekte (LQ) und über 1000 Vernetzungsprojekte. Deren Anzahl soll schweizweit auf etwa 140 beschränkt werden. Bei den LQ gibt es über 1000 Massnahmen, bei der Vernetzung etwas über 100. Neu ist geplant, dass auf Bundesebene 10 bis 20 Massnahmen festgelegt würden, dazu kämen projekt- und regionenspezifische Massnahmen.
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Organisatorisches Gerangel
Das heisst abspecken. Aber nach welchen Kriterien? Wenn eine Massnahme sowohl Biodiversität und Landschaftsqualität erfüllen muss, dann würde es keine Beiträge für Holztröge mehr geben. Sollen Beiträge für Massnahmen, die häufig umgesetzt werden, beschränkt werden – beispielsweise Holzzäune auf maximal 3 km pro Betrieb? Es ist klar, wenn die kantonalen Amtsstellen auf diese Weise Massnahme für Massnahme durchgehen, sind sie während Wochen und Monaten beschäftigt. Manchmal sind in den Kantonen unterschiedliche Amtsstellen für Vernetzung und LQ zuständig. Dann gibt es ein Gerangel zwischen den Fachstellen Naturschutz und Landwirtschaft – und die haben ja meistens das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Dann müssen auch noch die Trägerschaften aufgelöst werden. Manchmal liegt die Trägerschaft bei bäuerlichen Netzwerken, Bezirksvereinen oder Einwohnergemeinden. All diese nicht-staatlichen Trägerorganisationen werden entmachtet. Werden die das einfach so hinnehmen? Ja, das müssen sie wohl – wenn auch zum Teil zähneknirschend.
Lernen statt sanktionieren
Die vorgestellten DZV-Bestimmungen zum Artikel 76 e LwG werden Anfang 2024 noch in die Vernehmlassung gehen. «Deshalb sind die hier vorgestellten Bestimmungen nicht definitiv», sagte Matthieu Raemy.Angedacht ist, dass die Projekte nach dem Prinzip «Lernen statt sanktionieren» laufen sollen. Während der ersten vier Jahren sei eine Beratung obligatorisch, und zwar Einzelberatungen oder höchstens in Kleingruppen. Es gäbe keine quantitativen Ziele zu jeder Massnahme und keine Sanktionen, wenn 80 Prozent der Ziele nicht erreicht seien. Bei diesen Ausführungen lupfte es einem im Vollzug tätigen Kantonsvertreter den Hut. «Das ist visionär planerisch von Leuten angedacht, die keine Ahnung von Vollzug haben», rief er in den Saal. Zumal, und da schlossen sich weitere Teilnehmer an, dass für staatliche Ausgaben gesetzlich ein Kontrollmechanismus vorgesehen sei.
Wobei wir dann bei den Geldern sind. Bisher gab es 113 Millionen Franken für die Vernetzung und 150 Millionen Franken für die Landschaftsqualität. Für die Periode 2026 bis 2029 sollten die Beiträge summiert werden, was dann jährlich 263 Millionen Franken für den neuen Beitrag nach Artikel 76 LwG geben würde. So ist es zumindest im landwirtschaftlichen Zahlungsrahmen vorgesehen, dessen Vernehmlassung noch bis zum 24. Januar 2024 läuft.
Kommen wir zur Verteilung der Gelder: «Die Beiträge pro Massnahme müssen sich an Kosten und Werten der Massnahme orientieren und werden jährlich bezahlt», so Matthieu Raemy. Die Papiervereinbarungen sollen wenn möglich abgelöst und die Massnahmen direkt in den kantonalen Systemen erfasst werden. Bei den Massnahmen übernimmt der Bund höchstens 90 Prozent der in einem Projekt festgelegten Beiträge. Für die Restfinanzierung hat der Kanton zu sorgen. Auch kann der Bund laut Raemy Höchstbeiträge je Hektare und je Normalbesatz festlegen. Laut Rückmeldungen an der Tagung würden es einige Kantone vorziehen, die Beitragshöhe eigenständig, festzulegen – «so könne der Kanton besser steuern, was, wo und wie gefördert würde».
Gerechte Beitragsverteilung
Angesichts dessen, was mit der Ökologischen Infrastruktur angedacht ist, gab es an der Tagung unmittelbar Interventionen der Teilnehmer. Ins Feld geführt wurde die Verteilgerechtigkeit. Ob damit etwa gemeint sei, dass es dann nur noch für diese Schwerpunkträume Beiträge nach Artikel 76 e LwG geben würde? Gehen deshalb Landwirte ausserhalb dieses Perimeters leer aus, mögen sie noch so viel für Biodiversität und Ökologie tun? Wo bleibe da Fairness und Gleichbehandlung? Hoffentlich werde dabei die Landschaftsqualität nicht auf der Strecke bleiben. Die Tagung und der Austausch mit dem BLW brachte mehr Fragen auf, als dass es konkrete Antworten gab. Weniger Administration, bessere Wirkung und vor allem mehr Synergien soll das Zusammenführen der Beitragsarten für Landschaftsqualität und Vernetzung bringen. Der Zeitplan ist klar, aber die Richtlinien für die Massnahmen und die Ausführungsbestimmungen zum neuen Artikel 76 e Landwirtschaftsgesetz sind erst in am Entstehen. Verunsicherung schafft zusätzlich die Planung einer Ökologischen Infrastruktur auf kantonaler und nationaler Ebene.
Wo liegt der Haken?
Über all diesen Vorgaben thront die «Ökologische Infrastruktur». Wer noch nie davon gehört habe, sollte die Ohren spitzen. Analog dem schweizweiten Bahn- und Strassennetz soll die Natur national bis 2040 kartografisch und fein verästelt in Kern- und Vernetzungsgebiete sowie in Schwerpunkträume abgebildet werden.
- Kerngebiete sind langfristig gesicherte Biodiversitäts-Hotspots von hochwertiger Qualität.
- Vernetzungsgebiete sollen diese ökologisch wertvollen Flächen verbinden. Das können Hecken im Landwirtschaftsgebiet, Trittsteine oder naturnahe Bäche sein.
- Schwerpunkträume sind das Planungsergebnis zur räumlichen und inhaltlichen Schwerpunktsetzung für die Umsetzung.
Der Verein Info Species erarbeitet als Dachorganisation die Grundlagen für die Planung und Umsetzung dieser Ökologischen Infrastruktur (ÖI). «Auf 2024 sollten dann alle Kantone eine brauchbare Grundlage für eine Fachplanung ‹Ökologische Infrastruktur› fertigstellen», erklärte Referent Fridli Marti von der Quarda Mollis GmbH, der diese Infrastrukturplanung vorstellte. Die Perimeter für die Beiträge regionale Biodiversität und Landschaftsqualität würden entsprechend dieser Karten abgeleitet.
Nachgefragt bei Daniel Schaffner, Mitinhaber der Agrofutura AG, Brugg
«Eher Gegenteil von administrativer Vereinfachung»
Was halten Sie von den Plänen des BLW, wie sie an der Tagungpräsentiert worden sind, Landschaftsqualität und Vernetzung zusammenzuführen?
[IMG 3] Daniel Schaffner: Das macht grundsätzlich Sinn. Ich konnte nie nachvollziehen, dass man bei der Einführung diese beiden Bereiche strikt getrennt hat – einerseits haben gewisse Aspekte der Landschaftsqualität auch einen ökologischen Nutzen und andererseits bereichert die Vernetzung die Landschaft.
Es wird allerdings eine Herausforderung sein, zu vereinheitlichen und zu vereinfachen und dabei gleichzeitig Bestehendes weiterzuführen, das in den Kantonen gut funktioniert.
Was bringt diese Übung den Bauernbetrieben?
Ich bin skeptisch, wenn beim Zusammenführen von LQ und Vernetzung von administrativer Vereinfachung gesprochen wird. Meistens ist das Gegenteil der Fall – das hat sich in der Vergangenheit oft gezeigt. Parallel laufen zudem noch andere Entwicklungen, beispielsweise die Risikominimierung beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Zielkonflikte sind vorprogrammiert. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Einen ökologisch wertvollen Tümpel wird man im Ackerbaugebiet bei einer normalen landwirtschaftlichen Bewirtschaftung aufgrund der Abschwemm- und Abdriftauflagen kaum mehr anlegen können.
Zum Teil spielten Ökobüros eine grosse Rolle bei der Einführung von Landschaftsqualität- und Vernetzungs-projekten. Schwimmen Ihnen nun mit dem neuen Art. 76 e LwG die Felle davon?
Es ist es eine Mär, zu glauben, wir von den Beratungsbüros könnten in Bundesbern lobbyieren, um Aufträge zu ergattern. Als Beratungsbüro beschränken wir uns darauf, die Anliegen unserer Kunden gut zu bearbeiten. Wenn sich Kundenbedürfnisse ändern, muss man sich anpassen. Die Agrofutura berät zum Beispiel im Mandat des Kantons Aargau unsere Landwirte im Bereich der Biodiversitätsförderung. Wir gehen davon aus, dass solche Beratungen bei Landwirtinnen und Landwirten weiterhin ein Bedürfnis bleiben werden. Zurzeit bieten wir zusammen mit der Agridea und dem FiBL deshalb einen Lehrgang zur gesamtbetrieblichen Biodiversitätsberatung auf Landwirtschaftsbetrieben an.
Nachgefragt bei Gaby Volkart, Bäuerin aus Puidoux, Geschäftsführerin Ökobüro Atena in Fribourg
«Der lokale Bezug geht verloren»
Vielfach wurde an der Tagung der Zeitplan für die Zusammenlegung von Landschaftsqualität und Vernetzung als zu knapp beurteilt. Wie sehen Sie das?
[IMG 4] Gaby Volkart: Der Zeitplan ist ambitiös – vor allem in Hinblick auf die Ökologische Infrastruktur (ÖI), auf der die neuen Projekte basieren sollten. Theoretisch sollen diese ÖI-Planungen auf Frühling 2024 stehen, aber es gibt Kantone, die sind noch nicht sehr weit. Die Kantone koordinieren die ÖI mit allen Akteuren auf kantonaler Ebene – was wiederum Zeit braucht. Wichtig ist, dass sich dabei auch die Landwirte einbringen. Stehen die Planungen einmal, werden daraus Fördermassnahmen für Feucht- und Trockenzonen sowie für Mosaiklebensräume abgeleitet. Wichtig wäre es, diese Massnahmen mit jenen für regionale Biodiversität und Landschaftsqualität abzustimmen. Aber für diese Koordination wird der Zeitplan knapp.
Geht durch die ÖI und die Zusammenlegung von LQ und Vernetzung der lokale Aspekt verloren?
Die Vernetzungsprojekte widmeten sich in den vergangenen 20 Jahren Massnahmen zur Förderung von Leit- und Zielarten, zum Teil mit spezifischen Massnahmen für einzelne Arten. Mancherorts hat sich eine positive Dynamik entwickelt, sodass zielgerichtete regionale Massnahmen durchgeführt werden konnten. Auch brachten sich teilweise Gemeinden ein und haben Vernetzungsprojekte unterstützt. Der konkrete Einbezug der Gemeinden ist sicher schwieriger, wenn die künftigen Vernetzungs- und LQ-Projekte kantonal oder regional geregelt werden. Da haben Gemeinden kaum mehr Interesse, sich zu beteiligen.
Wird jetzt Ihre Trägerschaft vom Vernetzungsprojekt einfach abgeschafft?
Wir sind ein kleines Vernetzungsprojekt. Einige engagierte Landwirte setzen sich darin für regionale Massnahmen ein. Wir wurden schon einmal vom Kanton angefragt, ob wir uns einem grösseren Projekt anschliessen wollen. Aber unsere Trägerschaft entschied sich dagegen. Was wir haben, funktioniert, und der Austausch untereinander wird geschätzt, was in einem Grossprojekt nicht möglich wäre. Wir treffen uns zweimal jährlich zu einer Vorstandssitzung, dazu kommt eine fachlich orientierte Mitgliederversammlung und wir haben schon zweimal einen öffentlichen Anlass für die Bevölkerung durchgeführt, was sehr gut ankam. Das wird in Grossprojekten so nicht mehr möglich sein. Schade.
Nachgefragt bei Camilla Jenny, Umweltberatung Zürcher Bauernverband
«Soll vereinbar mit der landwirtschaftlichen Produktion sein»
Was denken Sie vom Zürcher Bauernverband über das Zusammenführen von Landschaftsqualität und Vernetzung?
[IMG 5] Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch sehr vieles offen. Erst wenn die Richtlinien des BLW vorliegen, wird es möglich sein, die Auswirkungen für die einzelnen Betriebe abzuschätzen. Grundsätzlich begrüssen wir die Abschaffung der quantitativen Ziele aus den Vernetzungsprojekten. Ebenso gehen die drei Stossrichtungen «Vereinfachung, Wirkungssteigerung und Synergien» in die richtige Richtung. Wichtig ist, dass die Vereinfachung auch wirklich bis zu den Betrieben ankommt, die Massnahmen wirksam sind und vereinbar mit der landwirtschaftlichen Produktion. [IMG 6]
Was halten Sie von der Absicht, die Projekte zukünftig an den Zielen der Ökologischen Infrastruktur (ÖI) auszurichten?
Natürlich ist es sinnvoll, die ökologischen Massnahmen aufeinander abzustimmen. Es ist jedoch noch offen, wie genau die Beiträge abgestuft werden sollen. Das Resultat darf nicht sein, dass Landwirte mit Flächen ausserhalb der Ökologischen Infrastruktur finanziell benachteiligt werden. Und ob diese Ausrichtung des Nachfolgeinstruments von Vernetzungsprojekten und Landschaftsqualitätsprojekten an der ökologischen Infrastruktur die erhoffte Koordination im Naturschutzbereich bringt, muss sich zeigen.
Haben Sie nicht die Befürchtung, dass es mit der ÖI ähnlich laufen wird wie mit den «Prioritären Potenzialflächen für Feuchtgebiete PPF», sodass die Bauern quasi vor vollendete Tatsachen gestellt werden?
Bei der Planung der Ökologischen Infrastruktur erwarten wir den Einbezug der Landwirtschaft von Anfang an. Gemäss einer ersten Information des Kantons Zürich ist man an der Erarbeitung dieser Fachplanung. Wie die Umsetzung aussehen könnte, ist zurzeit offen und nicht Bestandteil der Fachplanung. Der Weg über ein Direktzahlungsinstrument wie das Nachfolgeinstrument von Vernetzung und Landschaftsqualität muss jedoch immer freiwillig bleiben.
Graubünden macht es vor
Eine Vorreiterrolle nimmt der Kanton Graubünden ein. Das Amt für Landwirtschaft und Geoinformation (ALG) hat die Landschaftsqualitäts- und Vernetzungsprojekte schon auf das Jahr 2023 organisatorisch zusammengeführt. Die Gründe dafür seien Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt «Regionale Landwirtschaftliche Strategien» gewesen. Auch die administrative Vereinfachung (insbesondere weniger Projektberichte) hätte Sinn gemacht. Auch sei schon länger die politische Stossrichtung bekannt gewesen, dass der Bund die Projekte mittelfristig zusammenführen wolle. Das ALG fügte die Projektperimeter der Vernetzung mit jenen der Landschaftsqualität zusammen und reduzierte die Anzahl Trägerschaften. Pro Projektregion gibt es nur noch eine Trägerschaft, die für beide Projekte verantwortlich ist. Dazu ist zu erwähnen, dass sich die Ausgangslage etwas anders präsentierte als in anderen Kantonen. So waren die Trägerschaften der Vernetzungsprojekte wenig aktiv oder teilweise gar nicht mehr vorhanden. Aus diesem Grund war die Zusammenführung der Trägerschaften weniger problematisch. Es gibt nun in Graubünden 16 Projekte. Die Anzahl der Massnahmen in LQ und Vernetzung blieb unverändert. Dank der Zusammenführung haben die meisten Betriebe nun mit einem zuständigen Fachbüro nur noch einen einzigen Ansprechpartner.