Bioprodukte sind derzeit aufgrund der sinkenden Kaufkraft weltweit unter Druck. Die Zahlen aus der Schweiz werden erst im April publiziert. Aber an der Basis brodelt es hier und dort, weil die Richtlinien weiter verschärft werden. Wir haben Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli dazu befragt.
«Ihr Labelorganisationen habt grossen Nachholbedarf, um das Vertrauen der Basis (eurer Arbeitgeber!) zurückzugewinnen» schrieb Ihr Berufskollege Sepp Sennhauser kürzlich in der BauernZeitung. Verstehen Sie, was er meint?
Urs Brändli: Ich behaupte, es gibt keine bäuerliche Organisation, die so basisdemokratisch aufgestellt ist, wie Bio Suisse. Als Präsident von Bio Ostschweiz kennt gerade Sepp Sennhauser all diese Möglichkeiten bestens. Wenn er bei Bio Suisse etwas ändern möchte, weiss er, wie vorzugehen ist. Bisher kamen diesbezüglich keine Anträge von ihm.
Er hat unter anderem moniert, dass Bio Suisse den Parteien im nationalen Parlament empfohlen hat, die Motionen gegen die 3,5 % BFF auf der Ackerfläche und die Schleppschlauchpflicht abzulehnen. Ist das korrekt?
Richtig, im Bereich Nährstoffe kommen ja laut Bundesrat jetzt 15 % Absenkung. Das ist anspruchsvoll, aber erreichbar. Wichtiger scheinen mir Schleppschlauch-Obligatorium und die 3,5 %. Beim Schleppschlauch gelangen die Nährstoffe, vor allem der Stickstoff, direkt in den Boden. Für Biobetriebe, die ein sehr beschränktes Düngerangebot haben, ist gerade das sehr positiv. Dass dies Mehrkosten mit sich bringt, ist unbestritten, aber ich gehe davon aus, dass ein grosser Teil dank höherem Nährstoffeintrag in den Boden kompensiert werden kann.
Gibt es viel Protest gegen diese Haltung beim Schleppschlauch?
In meinen Gesprächen mit Bio-Kolleginnen und -Kollegen war es bisher nur Sepp, der so vehement dagegen ist. Die Ausnahmen sind ja umfangreich, von den rund 20 Hektaren auf unserem Betrieb müssen wir lediglich 3 mit Schleppschlauch begüllen, obwohl wir das Gerät schon auf allen Flächen angewendet haben. Er sorgt zudem dafür, dass wir die Bevölkerung mit weniger Emissionen belasten und trägt massgeblich zum Absenkpfad bei. Da kann die Landwirtschaft gar nicht drauf verzichten.
Und warum waren Sie für die 3,5-%-Massnahme?
Wir alle wissen, dass die Biodiversität trotz Anstrengungen weiter schwindet. Dass der Bund da noch stärker fördern will, ist richtig und nachvollziehbar. Dass das jetzt auch im Ackerbau passiert, ist für den Biolandbau enorm wichtig. Jetzt werden die Nützlinge dort gefördert, wo man sie effektiv auch benötigt. Aber ich bin überzeugt, dass auch konventionelle Betriebe profitieren werden, da immer mehr Wirkstoffe wegen ihrer Giftigkeit verboten werden.
Der Ärger der Biobasis ist also nicht nachvollziehbar?
Dass einige Biobauern und -bäuerinnen verärgert sind, kann ich nachvollziehen. Die gewährten Massnahmen wie etwa Saat in weiten Reihen sind im Biolandbau schwierig bis fast nicht machbar. Wir werden uns beim BLW für entsprechende Lockerungen einsetzen. So könnte man sagen, wenn ein Betrieb schon 17 % BFF hat, muss er die 3,5 % nicht machen.
Sie haben die Wirkstoffe erwähnt. Die Bio-Wirkstoffe werden zum Teil wie Spinosad exzessiv verwendet, auch ausserhalb des Biolandbaus. Droht da nicht erhöhte Resistenz-Gefahr?
Die Resistenzgefahr bei Spinosad kann ich nicht beurteilen. Es beschäftigt uns sehr, wenn solche Mittel eingesetzt werden müssen, auch wenn die Giftigkeit ja sehr rasch abgebaut wird. Aber es ist unbestritten: Werden diese Mittel zum falschen Zeitpunkt eingesetzt, können sie für Bienen und Nützlinge schädlich sein.
Ist das Ausweichen der konventionellen Landwirtschaft auf Bio-Hilfsmittel für Sie eine positive Entwicklung oder ein Problem?
Das macht uns auf der einen Seite stolz, auf der anderen Seite hat der Biolandbau die Entwicklung dieser Hilfsmittel grösstenteils in Eigenregie finanziert. Der Bund hat seinerzeit finanziell noch sehr wenig unterstützt, das hat sich zum Glück geändert. Wir müssen jetzt aufpassen, dass wir beim allfälligen Einsatz der Gentechnologie nicht noch einmal denselben Fehler machen und nur auf einen Weg setzen.
Wie würde Sie selber die Stimmung an der Basis beschreiben?
Wir haben 2018 eine Umfrage bei den Biobauern gemacht. Für die meisten ist ein fairer Preis und ein guter Absatz entscheidend. Wenn ich mit Biobäuerinnen und -bauern rede, stelle ich fest, dass diese grundsätzlich positiv eingestellt sind. Um den Puls zu fühlen besuchen wir –ein Vorstands- und/oder Geschäftsleitungsmitglied von Bio Suisse– die Versammlungen aller 33 Bio-Suisse-Mitgliedorganisationen im Frühjahr.
Wie sieht es denn aus mit den Mitgliederzahlen? Vor Jahresfrist haben rund 50 Betriebe die Segel gestrichen. Was erwarten Sie heuer.
Die Zahlen präsentieren wir am 4. April. Der grösste Teil der 50 Betriebe die Ende 2021 zu konventionell oder zur Bio-Verordnung gewechselt haben, dürften Milchbetriebe sein, die Mühe haben mit den neuen Fütterungsvorschriften. Ich bin zuversichtlich, dass wir per 1. Januar 2023 eine positive Bilanz aufweisen können. Wir brauchen dringend Produzenten für gewisse Produktebereiche.
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Schon länger sucht man in verschiedenen Bereichen neue Produzenten, aber offenbar ist das Angebot zu wenig attraktiv für Umsteller.
Wir haben jetzt während mindestens vier Jahren sehr zurückhaltend kommuniziert und keine Produzenten aktiv gesucht. Und doch sind auch in diesen Jahren viele auf Bio umgestiegen. Den Schalter umzulegen und zu sagen, jetzt brauchen wir 15 000 Hektaren Bio-Ackerfläche, weil die Nachfrage weiter gestiegen ist: Das müssen die Bauern zuerst mitkriegen und realisieren. Das entspricht ja immerhin etwa 500 Betrieben. Im Acker- und Gemüsebau habe ich grossen Respekt vor Umstellern. Aber wenn man heute die technischen Hilfsmittel und die Erfahrungswerte sieht, dann ist die Herausforderung sicher nicht mehr so gross, wie vor 15, 20 Jahren.
Die Betriebe, die Ihr sucht, sind ja nicht reine Ackerbaubetriebe. Viele halten auch Tiere. Durch die Verschärfung der Fütterungsvorschriften hält Ihr wahrscheinlich diese Betriebe vom Umstellen ab.
Ich bin stolz auf die Kraftfutterreduktion auf maximal 5 Prozent. Wir reden ja viel von der Erhöhung des Selbstversorgungsgrads. Da leisten Wiederkäuer ohne Ackerfutter-Bedarf einen grossen Beitrag. Klar gibt’s auch Betriebe, die mit ihren Zuchtzielen fast nicht ohne Kraftfutter arbeiten können. Diese werden über kurz oder lang in die Kritik geraten. Mit der Futter-Beschränkung auf die Schweiz versprechen wir Standort-gerechten Anbau. Das ist gerade für Ackerbau-Betriebe überhaupt kein Problem. Sie können ihren Kühen ein sehr ausgeglichenes Futter-Angebot vorlegen. Da sehe ich wenig Hindernisse, eher dann, wenn einer 10 000 Liter oder mehr produzieren will.
Aber man hört, dass sich viele Biobetriebe schwer tun mit der 100-Prozent-Schweizer-Futter-Vorschrift.
Es ist klar, der Einstieg 2022 war nicht einfach. Ich hätte mir ein etwas weniger trockenes Jahr gewünscht. Das war leider nicht so. Ich möchte jedem Betrieb empfehlen, sich Gedanken zu machen: Wer jedes Jahr etwas Futter zukaufen muss, sollte sich einen Partnerbetrieb suchen, der ihm regelmässig Futter liefern kann. Oder vielleicht noch besser: Ein paar Tiere abbauen, denn die Trockenheits-Phasen werden eher noch zunehmen.
Sie haben also keinerlei Bedenken, dass die Betriebe zum Teil überfordert sind?
Wir haben den Entscheid 2018 an der DV gefällt. Man hatte dreieinhalb Jahre Zeit, sich darauf einzustellen. In der Zwischenzeit sind z.B. Anlagen zur Trocknung von Luzerne in der Schweiz gebaut worden. Wir müssen uns manchmal ein bisschen zwingen zum Glück. Wir werfen den Konsument(innen) oft vor, dass sie auf Billigprodukte aus dem Ausland ausweichen, aber wenn wir ehrlich sind, haben wir das z.B. mit Bio-Luzerne aus Italien auch gemacht.
Urs Niggli, pensionierter Biopapst hat kürzlich eine Biokrise konstatiert, geben sie ihm Recht?
Wir stellen das Gegenteil fest. Wie gesagt, suchen wir etwa 500 Betriebe. Das hat mit der Nachfrage zu tun. Und ich bin zuversichtlich, dass wir das hinkriegen. So eine Chance darf sich die Schweizer Landwirtschaft nicht entgehen lassen.
Offenbar ist das Angebot zu wenig attraktiv, sonst würden die Bauern Ihnen ja zuströmen.
Wir haben attraktive Preise. Und die Landwirtschaft hat gewisse Herausforderungen zu bewältigen. Im Zusammenhang mit den Absenkpfaden kommt vielleicht der eine oder andere auf die Idee, umzusteigen. Viele Biomethoden und -mittel sind schon heute im konventionellen Landbau weit verbreitet. So gesehen, gibt es deutlich mehr Bio im Land, als es die 11 Prozent Bioabsatz oder die 17 Prozent Betriebe vermuten lassen würden. Wir sind weiter auf dem Weg zum Bioland Schweiz als viele annehmen.
Wie steht es um die Konkurrenz mit IP-Suisse?
Konkurrenz beflügelt und tut gut. IP-Suisse wird jeweils nervös, wenn die ÖLN-Anforderungen steigen, dann müssen sie die Anforderungen erhöhen. Und wir werden nervös, wenn IP die Richtlinien verschärft. Unser gemeinsames Ziel muss sein: 50 % nachhaltiger Konsum in der Schweiz, dann haben wir 100 % nachhaltigen Anbau im Land. Diesen teilen wir uns dann auf zwischen Bio und IP (schmunzelt).
Die grossen Detailhändler sind im Verruf, überhöhte Margen für Bioprodukte abzusahnen. Ist das berechtigt oder eine unnötige Diskussion?
Es ist eine Diskussion, die allen Nachhaltigkeits- und Tielwohl-Labels schadet. Die Konsument(innen) werden vor dem Regal stehen und sich sagen, ich würde ja gerne Labels kaufen, aber da verdienen nur Coop und Migros viel Geld damit. Dabei engagiert sich z.B. Coop seit 30 Jahren und hat dazu beigetragen, die Knospe aus der Nische zu führen. Das BLW vergleicht regelmässig konventionelle und Bio-Warenkörbe. Am durchschnittlichen Mehrpreis von 50 % hat sich über die Jahre nichts geändert. Für eine Familie mit vier Personen bedeutet dies circa 65 Franken Mehrkosten pro Monat. Ich denke, der Handel und die Konsument(innen) haben den Mehrwert von Bio erkannt und sind bereit, dafür mehr auszugeben. Es gibt auf jedem Hof Kulturen, die besser rentieren und solche, die weniger eintragen. So verhält es sich auch mit den rund 3800 Naturaplan-Produkten, die Coop im Angebot führt, 90 % davon mit der Knospe. Diese rentieren nicht alle gleich gut.
Warum kann denn beispielsweise Aldi ein anspruchsvolleres Label als Bio Suisse haben und trotzdem günstiger sein?
Ich weiss nicht, wie sich der Preis von Aldi zusammensetzt. Aus Sicht von Bio Suisse als Produzentenverband ist unser wichtigstes Anliegen, dass sich der Mehraufwand, den unsere Mitglieder für ihre Produkte leisten, auch in einem höheren Produzentenpreis widerspiegelt. Tierwohl und Schutz der natürlichen Ressourcen müssen ihren Preis haben. Das Problem sind aus meiner Sicht nicht in erster Linie die Margen, sondern die ewigen Aktionen und Tiefstpreis-Angebote. Wer kauft denn künftig noch Fleisch zu normalen Preisen? Das ist wie beim Waschmittel, das kauft auch niemand mehr zum normalen Preis. Das ist eine verheerende Entwicklung.
Das Problem ist wohl, dass die Produzentenpreise aufgrund zu hoher Margen tiefer sind, als sie sein könnten, war das der Grund, dass die Biomilchmenge im letzten Jahr um 2 % zurückging?
Das Angebot ging zurück, weil das Futterangebot so tief war. Ich glaube kaum, dass die konventionelle Produktion attraktiver war. Der Biomilchpreis hat im 2022 um 9 Rp. zugelegt, gleichzeitig ist das Kraftfutter deutlich teurer geworden. Ich bin überzeugt, dass die Bioproduktion wirtschaftlich gesehen im Vergleich zur konventionellen besser abschneidet.