Seit bald 30 Jahren legt der ÖLN den Mindeststandard für eine umweltgerechte Landwirtschaft in der Schweiz fest. An ihm rüttelt auch in der aktuellen Diskussion um die Weiterentwicklung der Agrarpolitik kaum jemand.
«Der ÖLN hat es geschafft, zum akzeptierten Standard zu werden», sagt David Rüetschi, Geschäftsführer der Schweizerischen Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor (Sals). Er hofft, dass ein neues Indikatorsystem künftig ähnlich hohe Akzeptanz und Allgemeingültigkeit erlangt. Dieses Indikatorsystem soll aber auf gemeinsamer Entwicklung und Freiwilligkeit beruhen.
Index war zu sperrig
Nachdem die Sals vor einem Jahr ihren Nachhaltigkeitsindex präsentiert hat, habe man eine gewisse Überforderung festgestellt, erinnert sich David Rüetschi. Das Konstrukt aus 300 Indikatoren stiess zwar auf Interesse, war aber zu sperrig. «Wir wollten uns daher auf die wesentlichen Indikatoren beschränken, die sich zudem mit bestehenden Daten messen lassen.»
Entstanden ist ein Prototyp, den die Sals und die IG Agrarstandort Schweiz (IGAS) kürzlich an der Gerzensee-Tagung unter Ausschluss der Medien präsentiert haben. Die beiden Organisationen spannen in diesem Projekt trotz unterschiedlicher agrarpolitischer Positionen zusammen. Sie erheben keinen Besitzanspruch auf das Indikatorsystem, obwohl sie die Kosten für dessen Entwicklung selbst getragen haben.
Maximal 25 Indikatoren
Für die neun bisher ausgearbeiteten Indikatoren waren Sals und Igas in Kontakt mit Branchenvertretern und haben sowohl Datenzugang als auch -verfügbarkeit berücksichtigt. Als Prototyp ist eine Website online (siehe Link am Ende des Textes), die auf «wissenschaftlich solidem Fundament» eine Standortbestimmung in den Bereichen Ökologie (Treibhausgase, Nährstoffe, Pflanzenschutzmittel, Antibiotikaeinsatz), Ökonomie (Gewinnrate, Lebtagleistung) sowie Soziales und Ethik (Arbeitsbedingungen und Sicherheitsvorfälle, artgerechte Tierhaltung) vornimmt und sie grafisch darstellt. So ist das System handlich, aber noch nicht ausgereift. Angestrebt sind maximal 25 Indikatoren – und auf die müssten sich die Branchen einigen, betont David Rüetschi.
Er ist zuversichtlich, dass das möglich sein wird. Die Gerzensee-Tagung mit rund 90 Vertreter(innen) aus allen Stufen der Wertschöpfungskette habe das gezeigt. «Jetzt geht es darum, Ziele zu definieren und dazu passende Indikatoren zu ergänzen», so der Sals-Geschäftsführer.[IMG 2]
Zentral dabei ist die Frage, was «Nachhaltigkeit» heissen soll. Diesem Gummibegriff gilt es, mit messbaren Zielen eine Form zu geben, so das Credo. Wo das Indikatorsystem theoretisch eingesetzt werden könnte, darin sind sich Sals, Igas und das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) einig: Auf Stufe Landwirtschaftsbetrieb, für Labels, Zielvereinbarungen innerhalb der Wertschöpfungskette, Beschaffungsanforderungen von Abnehmerseite, wirkungsorientierte Abgeltungen oder Zustandsanalysen (Monitoring).
Als Datenquellen würden etwa Kantonssysteme, Farmmanagement- und Informationssysteme (FMIS), TVD, Treuhand-Datenbanken, Maschinendaten, Satelliten und weitere infrage kommen. «Ein Label könnte beispielsweise festlegen, welche Werte in den jeweiligen Indikatoren erreicht werden müssen und selbst die Gewichtung vornehmen», erklärt Rüetschi.
BLW unterstützt
«Es ist zentral, dass wir wissen, was wir wollen», findet auch BLW-Direktor Christian Hofer. Indikatorsysteme könnten einen Beitrag zur Motivation und Stärkung der Selbstverantwortung der Akteure in der Wertschöpfungskette leisten. Sie könnten ausserdem dabei helfen, das Zukunftsbild des Bundes für 2050 zu konkretisieren. Aber, «ob und wenn ja, welche Indikatoren z. B. für Direktzahlungen Verwendung finden können, bedarf einer sorgfältigen Analyse». Das BLW zeigt sich zwar offen und sieht das Mitwirken aller Akteure der Wertschöpfungskette als zentrale Voraussetzung für den Erfolg. Die Initiative zur Entwicklung von Branchenindikatoren müsse aber weiterhin von der Branche selbst kommen. «Der Bund unterstützt und motiviert sie in ihrem Engagement», beschreibt Hofer.
«Begeisterung wäre übertrieben, aber es besteht wohlwollende Offenheit», fasst David Rüetschi seinen Eindruck von der Haltung des BLWs zusammen. Der Fokus des Projekts «Unsere Indikatoren» liege nicht auf die viel diskutierten, wirkungsbasierten Direktzahlungen. «Es geht darum, messbare Ziele zu setzen, die in den Wertschöpfungsketten gemeinsam umsetzbar sind», so Rüetschi. Zielvereinbarungen könnten da eine Hilfe sein. Den Weg zum Ziel, sprich die richtigen Massnahmen, bestimmen die Beteiligten selbst.
Freiwilligkeit bleibt
Ein neues Indikatorset soll dereinst als gemeinsame Referenz für eine nachhaltige Entwicklung dienen, deren Verwendung aber freiwillig bleibt. Ende Juni ist vorgesehen, dass die Branchen über ihre Beteiligung an einer Plattform für ein gemeinsames Indikatorsystem entscheiden. Das Interesse der Branchen sei unterschiedlich, beobachtet David Rüetschi. «Aber wenn gewichtige Branchen sich beteiligen, gibt es einen Mitnahmeeffekt», hofft er.
Der Zeitplan passe gut zu den Arbeiten an der AP 2030. Ob die Indikatoren künftig für betriebliche Vergleiche, als Grundlage für Abgeltungen oder für Marktanreize genutzt werden, bleibt den Branchenakteuren überlassen. «Das System soll praxisnah, wissenschaftlich fundiert und von der gesamten Wertschöpfungskette erarbeitet werden», halten Sals und Igas fest.
Ein bisschen wie der ÖLN – aber eigentlich ganz anders. «Im Gegensatz zum ÖLN, der Massnahmen beschreibt – und dies immer detaillierter – ist der Ansatz der Indikatoren zielbasiert», betont David Rüetschi. Er erhofft sich davon mehr Freiheit und Motivation auf den Betrieben.
