Die Agrarpolitik ist seit der Sistierung des Pakets Agrarpolitik 2022+ (AP 22+) etwas aus den Schlagzeilen verschwunden. Hinter den Kulissen wird aber gefeilscht und geplant wie eh und je. Demnächst wird der Bundesrat das Verordnungspaket zu den Absenkpfaden präsentieren. Gleichzeitig will das Bundesamt für Landwirtschaft längerfristiger planen. Deshalb wird das nächste AP-Paket kaum vor 2030 fertig. Im Interview erklärt Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbands (SBV), warum er das begrüsst und wo bei der Umsetzung der Absenkpfade die schärfsten Klippen warten.
Markus Ritter, in Europa herrscht Krieg, sehen Sie Auswirkungen auf die Schweiz und ihre Landwirtschaft?
Markus Ritter: Ich bin schockiert über die Entwicklungen in der Ukraine und sorge mich um die Menschen dort. Über allfällige Auswirkungen auf uns – in unserem sicheren Hafen – zu reden, finde ich nicht angebracht. Im Moment sind unsere Gedanken bei den Opfern des Krieges.
Das SBV-Parlament hat letzte Woche eine Preisforderung von 5 % gestellt, mit der Milch-Richtpreiserhöhung ist ein erster Erfolg zu verzeichnen, wie gross ist die Chance, dass hier weitere Branchen nachziehen?
So gross wie selten! Die Fakten und Zahlen liegen auf dem Tisch. Wir gehen klar von einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit in der Branche aus und dass diese die Bauernfamilien nicht einfach auf den gestiegenen Vorleistungskosten sitzen lässt.
Der SBV befürchtet für 2023 weiter steigende Kosten durch die PI 19.475, im Frühjahrwird ein entsprechendes Verordnungspaket präsentiert, auf was müssen sich die Bauernfamilien gefasst machen?
Diese parlamentarische Initiative (PI) hat es in sich! Sie legt für die Landwirtschaft sehr ehrgeizige Ziele bei der Reduktion der Risiken beim Pflanzenschutzeinsatz und den Verlusten bei den Nährstoffen fest. Es kommt ein umfassendes Massnahmenpaket auf uns zu. Doch wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken. Wir möchten die Bauernfamilien dazu motivieren, die gute landwirtschaftliche Praxis unter allen Umständen einzuhalten, sich an den neuen Ressourcen- und Produktionssystemprogrammen zu beteiligen und bei neuen Branchenprogrammen mitzumachen. Auf der anderen Seite ist es zwingend, dass sie die damit verbundenen Zusatzkosten bei den Erlösen auch abgegolten erhalten. Die PI hat ein Preisschild!
Wo muss hier aus Ihrer Sicht noch korrigiert werden?
Der Bundesrat wird die Verordnungen im Frühling verabschieden. Wir hoffen, dass dieser seine ursprünglichen Vorschläge punktuell noch anpasst, z. B. bei derReduktion der Nährstoffüberschüsse oder der Biodiversitätsförderfläche auf der Ackerfläche. Diese Elemente würden die Lebensmittelproduktion massiv einschränken.
Die AP 22+ ist sistiert.Stattdessen diskutierte man aufgrund eines Postulatsbreit über Ernährungspolitik, Resultat ist ein umfangreicher Bericht, sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Das Ergebnis liegt noch nicht vor. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass mit dem Bericht der Grundstein gelegt wird, um die heutige einseitige Agrarpolitik in Richtung einer umfassenden Ernährungspolitik weiterzuentwickeln. Es geht nicht mehr, dass man immer nur über die Landwirtschaft spricht und dort alles bis ins letzte Detail regelt. Die Verarbeitung, der Handel und die Konsumenten müssen ihren Beitrag auch leisten. Es brauchte eine Entwicklung von Konsum und Produktion im Gleichschritt.
Haben diese Diskussionen auch eine Entspannung zwischen SBV und BLW und WBF gebracht?
Wir sind mit WBF und BLW in einem regelmässigen und konstruktiven Dialog.
Das BLW spricht von einem Horizont bis 2030, bevor das nächste AP-Paket in Kraft gesetzt werden könnte, wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Der kurzfristige Handlungsbedarf wurde über die PI Absenkpfad an die Hand genommen. Von daher ist es aus unserer Sicht wichtig, dass sich eine nächste Reformetappe auf den effektiven Anpassungsbedarf konzentriert und, wie erwähnt, die ganze Wertschöpfungskette in die Pflicht nimmt. Das wird anspruchsvolle Diskussionen geben, die Zeit brauchen.
Gleichzeitig kann man sich auch beim Bund vorstellen, die Agrarpolitik nurmehr alle acht statt alle vier Jahre zu revidieren, käme das dem SBV entgegen?
Ja, das ist eine sinnvolle Idee. Wir hören von den Bauernfamilien immer, dass Stabilität bei den Rahmenbedingungen ein zentrales Element ist. Die Bauernfamilien brauchen eine längere Planungssicherheit. Zudem kann man dringend nötige Anpassungen in der Zwischenzeit auch über den Verordnungsweg angehen.
Der Bund peilt auch eineVereinfachung des AP-Systems an. Die Stichworte lauten: Selbstverantwortung der Branche, Ziele statt Massnahmen? Wie stehen Sie einem solchen Paradigmenwechsel gegenüber?
Das müssen wir sauber und im Detail prüfen. Eine massnahmenorientierte Politik hat ihre Vorteile: Die Bauern wissen verlässlich, was sie umsetzen müssen. Der Nachteil ist, dass die Massnahmen bis ins letzte Detail gehen und teilweise dem gesunden Menschenverstand entgegenlaufen. Eine zielorientierte Politik gibt den Betriebsleitenden mehr Handlungsspielraum. Der Nachteil ist, dass wir in und mit der Natur arbeiten und deswegen nicht alle Faktoren beeinflussen können, die für die Erreichung der Ziele nötig sind.
Der Ständerat hat diese Woche die Massentierhaltungs-Initiative abgelehnt, wie optimistisch sind Sie in Bezug auf die Abstimmung im Herbst?
Wir können auch diese Abstimmung gewinnen, müssen aber sehr aufmerksam sein. Wir haben noch viel Arbeit vor uns, die wir seriös machen müssen. Zudem wünsche ich mir, dass sich wiederum die gesamte Landwirtschaft solidarisch zeigt und sich engagiert. Die nächsten Abstimmungen, bei der andere Hauptbetroffene sind, kommen! Es muss wieder ein Ruck durch die ländlichen Gebiete gehen, wie bei den Agrar-Initiativen im vergangenen Jahr. Wenn das klappt, dann sehe ich gute Chancen. Denn die Argumente sind auf unserer Seite. Unsere Tierhaltung ist im weltweiten Vergleich vorbildlich und für jeden Anspruch gibt es bereits ausreichend Angebote.
Welche agrarpolitische Baustelle betrachten Sie zurzeit als die Schwierigste?
Ganz klar die Parlamentarische Initiative Absenkpfad. Hier warten viel Arbeit und grosse Herausforderungen auf uns und auf alle Betriebe.
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Das BLW zur Zukunft der Agrarpolitik
Wir haben beim Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) nachgefragt, wie es mit der Agrarpolitik 2022+ (AP 22+) weitergeht.
Die verbleibenden Massnahmen der AP 22+ könnten bei einer Aufhebung der Sistierung ab 2025 in Kraft gesetzt werden, heisst es dort. Der Bundesrat könnte dann in einem nächsten Schritt eine Bilanz ziehen zum Potenzial und zur Wirkung der bis dann initialisierten oder bereits umgesetzten Branchenvereinbarungen sowie weiterer Anstrengungen von privaten Organisationen auf freiwilliger Basis. Einziger, aber nicht absolut verbindlicher Taktgeber für agrarpolitische Reformetappen seien die Bundesbeschlüsse zu den landwirtschaftlichen Zahlungsrahmen.
Auf die Frage, ob künftig Reformen statt alle vier nur noch alle acht Jahre möglich wären, erklärt das BLW:
- Zahlungsrahmen: Gemäss Artikel 6 des Landwirtschaftsgesetzes (LwG) können Zahlungsrahmen für maximal vier Jahre festgelegt werden.
- Rhythmus: Acht Jahre ergeben sich, wenn jede zweite Zahlungsrahmenbotschaft mit einer Gesetzesrevision verbunden wird. Dazwischen könnten nur die Zahlungsrahmen dem Parlament unterbreitet werden. Im Anschluss daran kann der Bundesrat Anpassungsvorschläge auf Verordnungsstufe in die Vernehmlassung geben und selber beschliessen.
- Praktische Gründe: Vor allem aus praktischen Gründen wurden die agrarpolitischen Gesetzrevisionen mit den landwirtschaftlichen Zahlungsrahmen vorgeschlagen. Ein gutes Beispiel waren die Botschaft AP 14-17 (Gesetzrevision und Zahlungs-rahmen) und AP 18-21 («nur» Zahlungsrahmenbotschaft).
Viel diskutiert wird in der Branche auch, ob man von einer massnahmenorientierten Agrarpolitik nicht auf eine zielorientierte AP umstellen könnte. Hier äussert sich das BLW wie folgt:
- PI als erster Schritt: Es handelt sich bei diesen Themen um ein breites Entwicklungsfeld im Postulatsbericht 20.3931/ 21.3015 zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik. Einen ersten Schritt dazu hat das Parlament mit der Parlamentarischen Initiative (PI) beschlossen.
- Branchen gefordert: Im Rahmen der Umsetzung PI. 19.475 sind neu auch die Branchen gefordert, eigenverantwortlich Massnahmen zu ergreifen, damit die von der Politik festgelegten Reduktionsziele bei Nährstoffverlusten und Pflanzenschutzmitteln erreicht werden. Neben den vom Bundesrat zur Umsetzung der PI 19.475 vorgesehenen Massnahmen können die betroffenen Branchen- und Produzentenorganisationen ebenfalls Massnahmen zur Risiko- bzw. Nährstoffverlustreduktion ergreifen. Diesbezüglich wurden bereits erste Überlegungen vonseiten der Branche gestartet. Dies ist ein erster Schritt im agrarpolitischen Kontext in Richtung mehr Selbstverantwortung.
Zum Schluss fragten wir beim BLW nach, inwiefern auch die «Nichtlandwirtschaft» in die Lösung der Umweltprobleme einbezogen wird. Dazu gab es folgende Antworten:
- Auch andere betroffen: Neben Änderungen im LwG enthält diePI 19.475 auch Gesetzesänderungen im Chemikalien- und Gewässerschutzgesetz. Diese betreffen nicht nur die Landwirtschaft.
- Alle Verkäufe mitteilungspflichtig: In einem ersten Schritt wird der Bundesrat voraussichtlich im April die Verordnungsänderungen im Landwirtschaftsbereich beschliessen. Im Vollzug sind auch nichtlandwirtschaftliche Kreise an der Umsetzung beteiligt. Mitteilungspflichtig sind alle Verkäufe an Abnehmerinnen und Abnehmer auch ausserhalb der Landwirtschaft wie Gemeinden oder Betreiber von Golfplätzen.
- Nächster Schritt: Als nächster Schritt bereitet das Bafu eine Änderung der Gewässerschutzverordnung vor. Das Uvek plant dazu demnächst eine Vernehmlassung zu eröffnen. Ein weiteres Verordnungspaket zur PI 19.475 könnte die Umsetzung der Regelungen im Bereich Biozide umfassen, bei dem das BAG (EDI) die Federführung hat.
